Eine steile These: Das Patriarchat ist schuld, dass es viele praktische Erfindungen gar nicht ins Licht der Öffentlichkeit schaffen. So lautet denn auch der volle Titel des Buches von Katrine Marçal: Die Mutter der Erfindung – Wie in einer Welt für Männer gute Ideen ignoriert werden.
Erfindung und Erfolg
Der erste Teil des Buches ist einigen Erfindungen gewidmet, die sehr lange brauchten, um endlich von der Allgemeinheit wahrgenommen und erfolgreich zu sein. So heißt die erste Überschrift: 1. Kapitel … in dem wir das Rad erfinden und fünftausend Jahre brauchen, bis wir auf die Idee kommen, es an einen Koffer zu montieren. Bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es Prototypen von Rollkoffern, es dauerte aber bis 1972, bis sich Bernard Sadow die Idee patentieren ließ und damit erfolgreich wurde. Die Erklärung dafür laut Marçal: Touristische Reisen waren lange den Reichen vorbehalten und die konnten sich Kofferträger leisten. Selbst zu Beginn des Massentourismus galt es als „unmännlich“, seinen Koffer nicht selber zu tragen – und Frauen reisten ja nicht alleine. Das änderte sich erst im 20. Jahrhundert, aber Rollkoffer blieben bis in die 60er Jahre ein „Nischenprodukt für britische Frauen“ (S.24).
Auch Elektroautos gibt es schon seit der Erfindung des Automobils. Sie waren sogar die ersten, die schneller als 100 Stundenkilometer fuhren. Aber sie galten als „vergleichsweise feminin“ (S.37) und konnten sich somit nicht durchsetzen… Marçals Fazit:
Es lässt sich nicht sagen, ob die frühen Elektroautos für eine Zukunft stehen, die tatsächlich hätte eintreten können. Sicher ist dagegen, dass nur wenige Muster unser Denken so grundlegend prägen wie Geschlechtervorstellungen. Sie entscheiden mit darüber, welche Maschinen wir bauen. Und welche Zukunftsvisionen wir uns ausmalen können. (S.52)
Technik gleich Mann?
Auch in den folgenden Teilen des Buches erklärt die Autorin anhand vieler Beispiele, wie die Konnotation von Ideen und Erfindungen als weiblich für deren Umsetzung hinderlich sein kann. So vor allem bei technischen Erfindungen. Technik und Maschinen werden dem männlichen Erfindergeist zugeschrieben. „Weibliche“ Tätigkeiten und Fertigkeiten dagegen wurden und werden gering geschätzt und von der Geschichtsschreibung „vergessen“.
Schließlich lernen wir schon in der Schule, dass auf die Bronzezeit die Eisenzeit folgte. Von einem Töpfereizeitalter oder einem Flachszeitalter ist da nicht die Rede. Dabei ist die Entdeckung, dass Lehm sich durch Hitzezufuhr härten lässt (…) kein geringerer technologischer Fortschritt als die Nutzung von Bronze oder Eisen. (S.71)
Oder aber Tätigkeiten, die lange von Frauen kompetent ausgeübt wurden, erfuhren, sobald sie von Männern übernommen wurden, eine gesellschaftliche Aufwertung. Dies gilt für viele Arbeitsabläufe, die während der Industrialisierung, aber auch später, von Maschinen ausgeführt werden konnten.
Sobald Maschinen ins Spiel kamen, wurde die Produktion von Männern übernommen. (S.75)
– und dann auch besser bezahlt.
Ausnahme: Influencerinnen
Anders scheint es mit Influencerinnen zu sein, die mit dem Aufkommen von Reality-Shows und Social Media-Plattformen erfolgreich wurden und damit horrende Summen verdienen können. Und das erstaunlicherweise mit bisher nicht als wirtschaftliche Tätigkeiten anerkannten Aktivitäten, wie die mediale Vermarktung ihres Familienalltags, Einkaufen von Haushaltsprodukten und dergleichen. Aber ist das emanzipatorisch? Marçal meint:
Die Emanzipation kann nicht darin bestehen, die Konsumlogik des Warenhauses auf unser ganzes Leben auszudehnen. (S.145)
Was wäre wenn?
Im Kapitel mit der Überschrift „Körper“ befasst sich Marçal mit dem Phänomen, dass alles, was mit dem Körper zu tun hat, Frauen zugeschrieben wird, Denken und Geist jedoch dem Mann. Und Letzteres erfährt wiederum mehr Anerkennung. Weswegen bei der Entwicklung von Robotern und „Künstlicher Intelligenz“ vor allem mathematisch berechenbare Schritte eine Rolle spielen. Daher konnte ein Computer bereits 1996 den amtierenden Schach-Weltmeister, Garri Kasparow schlagen. Anders sieht es allerdings mit vornehmlich so „einfachen“ körperlichen Tätigkeiten wie zum Beispiel dem Hausputz aus. Oder auch so komplexen wie dem Tennisspielen.
Die Frage ist natürlich, ob es geholfen hätte, wenn mehr Frauen unter den Forschern gewesen wären. Wären die Pioniere der künstlichen Intelligenz nicht ein kleines Grüppchen weißer männlicher Akademiker gewesen, hätte die Forschung dann Hausputz als eine dem Schachspiel ebenbürtige Problemstellung anerkannt? Und hätte uns das in der technologischen Entwicklung weiter vorangebracht? Möglicherweise. (S.183)
Aber natürlich wissen wir das nicht mit Sicherheit. Jedoch:
Aber diese Vorstellung von Männlichkeit – die nichts mehr fürchtet als die Macht des Körpers – war es, die neue Technologien nach ihrem eigenen Ideal geformt hat.
Deshalb haben wir jetzt Maschinen, die Garri Kasparow schlagen können.
Aber nicht Serena Williams. (S. 189)
Und in Zukunft?
Ähnlich wie zur Zeit der Industriellen Revolution erleben wir gegenwärtig eine Ära des technologischen Wandels, der zu Massenarbeitslosigkeit führen wird. Und wieder wird das eine Neuverteilung der Geschlechterrollen mit sich bringen. Gleichzeitig stehen wir vor ungeheuren Herausforderungen wie der Klimakatastrophe. Marçal sieht aber eine Chance:
„Wenn wir Frauen und das, was wir ihnen zuschreiben, nicht länger ignorieren, entsteht eine neue Erzählung über uns selbst, die Wirtschaft und die Welt (…) und es eröffnen sich neue Wege.“ (S.246/247)
Fazit
Katrine Marçal ist es gelungen, eine kurzweilige, gut lesbare und oft witzig erzählte Abhandlung zu schreiben. Gut recherchiert und kenntnisreich belegt sie mit vielen Beispielen die These, dass „in einer Welt für Männer gute Ideen ignoriert werden.“ Und dass das sich ändern sollte. Absolut empfehlenswert.
Irene Meyer-Herbst
Sandra Hutter meint
ke, dass ihr solch inspirierende Werke mit uns teilt und uns dazu ermutigt, unsere eigenen Gedanken und Ideen fliegen zu lassen. Ihr seid eine wahrhaftige Quelle der Inspiration! Liebe Grüße und weiterhin so spannende Beiträge,
Sandra Hutter