Patriarchalen Ansprüchen, Unterdrückungen und Erwartungshaltungen zieht Saralisa Volm mit ihrer Bestandsaufnahme des weiblichen Körpers in „Das ewige Ungenügend“ einen Strich durch die Rechnung.
Die autobiographische Erzählung mit Exkursen in wissenschaftliche Studien und hin zu weiteren feministischen Denker*innen widmet sich Fremdbestimmungen, denen der weibliche Körper in patriarchalen Leistungsgesellschaften ausgesetzt ist. Jedoch liefert die 37-jährige Schauspielerin Saralisa Volm auch sehr intime, schmerzhafte Einblicke in ihre Erfahrungen mit gestörtem Essverhalten, Sexismus am Arbeitsplatz in der Kunstbranche oder sexualisierter Gewalt und Missbrauch.
Patriarchale Machtstrukturen am eigenen Leib
Es geht bei Saralisa Volms Erzählungen viel um Macht. Macht und Kontrolle über den eigenen Körper oder die völlige Kontrolllosigkeit, die daraus resultiert. Männer, die sich in einer Position der Macht über den weiblichen Körper sehen und Frauen, die dem ausgeliefert sind. Der Drang nach Macht und Kontrolle über den weiblichen Körper entspringe den patriarchalen Gesetzen unserer Gesellschaft und dem Druck für Flintas, ins Raster zu passen.
Dabei lässt Saralisa Volm aber keine Ambivalenz aus – im Gegenteil. Sie umarmt jeglichen Widerspruch oder alles, was den Anschein macht ein Widerspruch zu sein und lässt sie koexistieren.
„Ich will zu angezogen und zu nackt sein. Ich will zu laut und zu leise sein. Ich will zu gebildet sein und trotzdem ab und an Bullshit reden. Ich will Schamhaar tragen zu operierten Brüsten und verkatert Sport machen. Menschen sind komplex, ambivalent und needy. Get the fuck over it.“ (S.244)
Gerade als Flinta ist man tagtäglich Erwartungshaltungen, Stereotypen, Gefahren, Verurteilungen, Bewertungen und anderen Formen patriarchaler Unterdrückung ausgesetzt. Es ist ungefähr so wie Balsam für die Seele, zu hören, dass man sich als Flinta akzeptieren darf, egal was für Ambivalenzen man in sich trägt oder wem man wieder nicht gerecht geworden ist. Saralisa Volm rebelliert mit schamloser Akzeptanz, die sie sich aber auch hart erarbeiten musste.
Triggerwarnungen fehlen
Der Weg hin zur Akzeptanz über ihren Körper führt Saralisa Volm über einige unschöne Umwege, die bildhafte Beschreibungen über Bulimie nicht auslassen. So schrecklich, so triggernd. Eine Warnung wäre diesbezüglich angemessen, denn obwohl viele Flinta den Begriff der Essstörung nicht zum ersten Mal hören, können solche radikalen Schilderungen der einen oder anderen Person zu nahe gehen. Auf der anderen Seite erzählt die Geschichte von der Person Saralisa Volm und die dunklen Zeiten gehören nun ja genau so zu ihr wie die schönen, denn der Kampf gegen den Körper war für die Autorin lange ständiger Begleiter. Demgegenüber verfolgt Kunst auch oft den Anspruch, die konsumierende Person da zu berühren, wo es am vulnerabelsten ist.
Sex als Akt der Überwindung
Sex stellt für viele Menschen ein Gefühl von Intimität und Nähe dar. Doch was, wenn die eigene Beziehung zum Körper verfeindet und von Kontrollwahn geprägt ist? Saralisa Volm kämpft mit den Erfahrungen sexuellen Missbrauchs, die sich auch auf ihr späteres Sexleben auswirken. Dementsprechend dachte sie lange, sie sei entfremdet von ihrem Körper, den sie „weder schön, noch liebenswert fand“ (S.177). Auch hier äußerte sich der Drang nach Kontrolle und eine negative, von Traumata geprägte Körperwahrnehmung, indem sie bei Erregung mit ihrem Partner nicht loslassen, nicht genießen konnte.
Selbstakzeptanz statt Selbstliebe-Hype
Die Autorin hinterfragt den Hype um Selbstliebe, der oft auf den sozialen Plattformen und in der Popkultur ausgelebt wird und plädiert für eine Selbstakzeptanz. Sich selbst mit all seinen Ambivalenzen, Eigenheiten und Widersprüchen zu akzeptieren und das alles auch gar nicht unbedingt zu werten.
Frieden mit dem eigenen Körper zu schließen, indem man auch auf andere Körper versöhnend und positiv gucke, statt zu urteilen. Stereotype und Annahmen für sich selbst hinterfragen und umwerfen. Radikale Hoffnung und Mut fürs Weiterkämpfen.
Saralisa Volm – „Das ewige Ungenügend“
Ullstein-Verlag, ca. 22€
Jule
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