Eileen ist keine typische Heldin. Sie ist keine hübsche, sympathische Projektionsfläche. Ihre Unscheinbarkeit mischt sich mit schlechter Kleidung und inneren düsteren Abgründen. Unter ihrer Oberfläche brodelt sie. Und doch ordnet sie sich brav den Wünschen ihrer Umgebung unter. Voller Zynismus kommentiert ihr älteres Ich ihre jüngere Version auf der Bühne. Ihr älteres Ich zu sehen wirft die Frage auf, ob ein Teil von ihr niemals den Selbsthass von damals zurück gelassen hat.
Eileen – eine Antiheldin mit schamhafter Fassade und brutalen Gedanken
In der Inszenierung des Buches Eileen von Ottessa Moshfegh setzt das Theater Bremen auf leuchtende Farben, Doppelbesetzungen und ein multimediales Bühnenkonzept. Die Protagonistin Eileen wird als zaghafte und eigensinnige Antiheldin ihrer eigenen Geschichte porträtiert. Hinter ihren verhaltenen Bewegungen und der trotzigen Fassade verbergen sich viel Sensibilität und durchlebte Traumata. Shirin Eissa verkörpert die Rolle der jungen Eileen perfekt. Sie ist vieles in einem: sensibel, frustriert, verschüchtert, abgestumpft, voll von ungestilltem Verlangen und Mordgelüsten. Ihr Leben scheint von außen leidenschaftslos und gähnend langweilig.
Sie teilt sich die Rolle mit Irene Kleinschmidt, welche die heutige, in die Jahre gekommene Eileen darstellt. In weiteren Rollen sind Mirjam Rast als Rebecca und die Gefängniswärterin und Siegfried W. Maschek als Vater von Eileen, später auch als Mutter eines Häftlings, zu sehen.
Die 24-jährige Eileen lebt zusammen mit ihrem alkoholkranken, paranoiden Vater in einer neuenglischen Kleinstadt. Sie ist wie jede andere Stadt in der Umgebung x-beliebig, austauschbar. Eileen nennt sie nur X-Ville. Seit dem Tod ihrer Mutter haben sich die psychischen Probleme von Eileens Vaters zusehends verschlechtert. Er beschimpft sie und erwartet gleichzeitig von ihr umsorgt zu werden. Alkohol für ihn zu kaufen ist Teil der Alltagsroutine. Das jahrelange Trauma hat Eileen hart gemacht und voller Abscheu auf alles, vor allem auf sich selbst. Vom Ausbruch aus ihrem Leben kann sie nur träumen. Manchmal kann sie mit ihrem Vater zusammen die Welt hassen. Zusammen können sie die Nachbarn verfluchen und trinken. Dann erinnert sie sich, dass er wie jeder Bösewicht seine guten Seiten hat.
Unter der Woche arbeitet Eileen in einer Strafanstalt für männliche Jugendliche. Sonderlich erfüllend ist das für sie nicht. Eine Kamera auf der Bühne fängt ihr Gesicht ganz nah ein, projiziert sie auf einer großen Leinwand: Eileen, wie sie ungeduldig während der Arbeit auf einem Stück Holz herumkaut. Ihr Inneres sucht Wege der Flucht. Mit vollem Eifer stürzt sie sich in die Fantasie von dem Wärter Randy. Sie dreht sich sehnsüchtig nach ihm um und stalkt ihn.
Die Beziehung zweier Frauen, die sich ähnlicher sind als sie scheinen
Die kleinste Inspiration könnte Eileens Leben erwecken. Die Person, die ihr diesen Kick gibt, ist Rebecca. Hinter einem in orangene Farben getauchten Vorhang kommt sie mit einer kleinen Nebelmaschine qualmend zum Vorschein. Ihre Gestalt ist exzentrisch und elegant. Eileen will sie hassen, wie sie jeden hasst. Doch die Direktheit und die Komplimente von Rebecca lassen sie Verbundenheit mit der neuen Angestellten der Strafanstalt spüren.
Sie ist vieles für Eileen. Eine Mutterfigur, eine Mentorin, eine Person, von der sie sich Liebe erhofft. Vor allem aber die strahlende, kultivierte und schön gekleidete Frau, die Eileen gerne sein würde und naiv anhimmelt. Rebecca sieht die verletzlichen Teile in Eileen, sie sieht Eileens Geschichte. Sie zieht Eileen mit sich und gibt ihr die Aussicht auf ein schöneres Leben. Ein Kuss nach einem betrunkenen Kneipenabend lässt Eileen in den siebten Himmel fliegen. Und Eileen, fassungslos darüber einen Funken Aufmerksamkeit und Liebe zu bekommen, wird sich später von Gefühlen geleitet von Rebecca in ein Verbrechen ziehen lassen. Wie Eileen später entdeckt, verbirgt sich hinter Rebeccas zärtlich ungestümer Maske eine innere Brutalität. Vielleicht ist es gerade das, was beide verbindet: Moralische Graubereiche und verborgene traumatische Erfahrungen.
Rebeccas Erscheinung spielt mit den Erwartungen der Zuschauer*innen. Immer wieder stellt sich die Frage nach ihren Motiven. Was will sie von Eileen? Wer ist sie wirklich? Ein Teil von ihrer glitzernden Ausstrahlung prallt gegen Ende auf die schale Realität. Ein Teil von ihr wird auch nach Ablauf des Stücks ein Mysterium bleiben. Am Ende bleibt nur die Frage, ob Rebecca wirklich wichtig genug ist, um sich weiter Fragen zu stellen. Ist ihre Erscheinung nicht einfach nur eine Aufforderung für Eileen, ihr Leben umzukrempeln?
Totenmasken aus Plastik als spielerische Accessoires in einer vibrierenden Inszenierung
Den düstersten Abgründen menschlichen Handelns spielerisch begegnen – das kann die Autorin und das kann auch die Inszenierung. Sei es durch live Kamerafahrten auf die Schauspieler*innen und interessante Kameraeinstellungen, die winzige Details der Gesichter auf die Bühnenleinwände projizieren. Sei es auch durch die variierenden, grellen Farben oder die Aufteilung der Erzählung auf zwei Eileens. Die Aufführung bietet viel. Das Spielerische prägt sich ein. Es gibt den düsteren Themen der Geschichte einen Ausgleich.
Die Farben der Aufführung beißen sich mit dem düsteren Thema des Stückes. Und trotzdem passt alles zusammen. Kontrastreiche Farben, die den Ton der Erzählung untermalen. Schwarz-weiße Filmaufnahmen dazwischen hinein gesprenkelt. Eine sanfte, melancholische Soundkulisse entführt eine*n in eine andere Welt, nach X-Ville. Die Sounds und Farben des Stücks sind vibrierend und wirken als sanfte Atmosphäre, die die Zuschauenden noch stärker in das Geschehenen saugen.
Eileen ist gefangen in einer Welt voll mit Totenmasken. Sie alle tragen sie zwischendurch. Eine durchsichtige Plastikmaske, die die Gesichter der Schauspieler*innen zwischendurch unlebendig wie tote, puppenartig steife Gestalten wirken lässt. Im Buch erzählt Eileen von ihrer Totenmaske, im Stück wird sie durch das Stück Plastik symbolisiert.
Triggerwarnung und verstörende Inhalte
Schon vorweg, in der Stückbeschreibung, warnt das Theater mit der Thematisierung von sexualisierten Gewalttaten an Kindern. So weiß jede*r hoffentlich, auf was mensch sich mit dem Stück einlässt. Trotzdem sei hier noch einmal ausgesprochen, dass dieses Thema im späteren Teil des Stücks erschreckend detailreich thematisiert wird. Zwar wird dies nicht direkt gezeigt, sondern von einer Figur in einer langen Erzählung wiedergegeben. Die Ausreizung der Erzählung ist kaum zu ertragen. Es baut sich eine grausame Intimität mit der wiedergegebenen Geschichte bei den Zuschauenden auf.
Makabrer Charme einer etwas anderen Protagonistin – abschließende Gedanken
Das Zuschauer*innen-Erlebnis ist eine emotionale Achterbahnfahrt durch Eileens unterschiedliche Gefühlszustände. Von grausam, lethargisch bis liebend, idealisierend, herrisch, zynisch, ungeduldig, rasend wütend bis kalt und bedacht. Die Protagonistin ist das, was ich mir von einer weiblichen Hauptrolle wünsche: Nicht hübsch und liebenswert zu sein, sondern komplex. Sowohl das Buch als auch die Inszenierung zeigen Eileen als vielschichtigen Charakter. Als eine Frauenfigur, die wir leider noch zu wenig gewöhnt sind. Allein wegen Eileen als tragendem Charakter lohnt es sich, der Aufführung einen Besuch abzustatten. Vielleicht schwingt in uns Mitleid, wenn wir sie beobachten, sowie Grauen, vielleicht sogar Verachtung. Wir sehen eine Frau, die mit ihren Dämonen kämpft, in einer Gesellschaft, die es ihr nicht leicht macht. Einem System, das sie unterdrückt und klein hält.
Am Ende möchte ich Eileens älterer Version glauben, dass sie im Alter glücklicher geworden ist. Und ich will ihr glauben, dass ihr Bett heute voller Liebe ist, weil sie dort alleine schläft. Doch die Worte hinterlassen einen beißenden Nachgeschmack.
Wenn ihr jetzt Lust habt euch ein eigenes Bild vom Stück zu machen, dann findet ihr hier die weiteren Aufführungstermine für diese Spielzeit.
mit: Shirin Eissa, Irene Kleinschmidt, Siegfried W. Maschek, Mirjam Rast
Live-Kamera Cantufan Klose
Regie: Elsa-Sophie Jach; Bühne: Marlene Lockemann; Kostüme: Belle Santos; Licht Norman Plathe-Narr; Musik: Stella Sommer;
Dramaturgie: Theresa Schlesinger
Roja
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