!!Triggerwarnung!! Der folgende Beitrag thematisiert Gewalt an Frauen und kann belastend und retraumatisierend wirken.
Immer wieder mischen sie sich unter die Schlagzeilen: „Beziehungstaten“, „Eifersuchtsdramen“ oder „Familientragödien“. Allerdings ist damit weder ein Stück von Shakespeare, noch ein schrecklicher Unfall gemeint. Es ist in der Regel von Mord die Rede. Mord, der in Watte gepackt und mit weniger schockierenden Wörtern umschrieben wird. In den meisten Fällen handelt es sich um Mord an Frauen durch den (Ex-)Partner, wenn über ein solches „Drama“ oder eine „Beziehungstat“ berichtet wird.
In Deutschland passiert das jeden zweiten bis dritten Tag. Zuletzt auch am 24. März in Delmenhorst, wo ein Mann seine Ehefrau vor den Augen der Kinder mit einem Messer tödlich verletzte. Allein im Jahr 2019 wurden in Deutschland, laut Bundeskriminalamt, 117 Frauen von ihren (Ex-)Partnern getötet und trotzdem bleibt der gesellschaftliche Aufschrei aus. Denn was macht eine solche Wortwahl mit einer so grausamen Tat? Es verharmlost sie und, noch schlimmer, impliziert die Mitschuld des Opfers. Immerhin stellt man sich eher einen Konflikt vor, der eskalierte, als einseitig ausgeübte häusliche Gewalt. „Drama“ oder „Tragödie“ sind Begriffe aus Schauspiel und Theater und haben in Zusammenhang mit der Tötung eines Menschen absolut keine Verwendungsberechtigung.
Das Wort, das in solchen Fällen eigentlich die Medienlandschaft dominieren sollte, ist Femizid.
Femizid – Geschlechtsspezifische Gewalt
Der Begriff Femizid steht für die Tötung einer Frau aufgrund ihres Geschlechts und ist in Deutschland bisher kaum bekannt. Meist handelt es sich dabei um sogenannte Trennungstötungen: Etwa zwei Drittel der Femizide in Deutschland werden während oder nach dem Ende einer Trennung verübt, wie die Tageszeitung Neues Deutschland berichtet. Aufmerksam wurde man in Deutschland auf das Phänomen erst durch die lateinamerikanische Frauenbewegung niunamenos (keine mehr). Daraufhin bildeten sich auch hierzulande in vielen Städten „keinemehr“-Gruppen, die sich dafür einsetzen, dass die Tötung von Frauen durch Männer als strukturelle Gewalt und gesellschaftliches Problem anerkannt wird. Strukturell ist hierbei ein ausschlaggebendes Wort, denn die genderspezifische Gewalt hat System und ist eng mit patriarchalen Strukturen verknüpft. Ausgangspunkt für Femizide ist häufig ein Besitzanspruch, den der Mann der Frau gegenüber erhebt und der auf einer Denkweise der männlichen Dominanz fußt, die auch heute noch zu großen Teilen unsere Kultur durchzieht.
Femizid vor dem Gesetz
Das zeigt sich auch in der deutschen Gesetzgebung. Anders als in Argentinien, Mexiko oder Uruguay, wo der Femizid ein eigener Straftatbestand ist, wird er in Deutschland oft nicht einmal als Mord eingestuft. Grund hierfür ist, dass für eine Verurteilung zum Mord „niedrige Beweggründe“ vorliegen müssen. Diese sind aber im Gesetzbuch nur vage definiert und müssen bei jeder Verhandlung in der Gesamtbetrachtung der Tat abgewogen werden. Bei Tötungsdelikten an Frauen wird sich, so die Süddeutsche Zeitung, häufig auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahr 2008 berufen. Dieses besagt, das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe sei anzuzweifeln, wenn „die Trennung von dem Tatopfer ausgeht und der Angeklagte durch die Tat sich dessen beraubt, was er eigentlich nicht verlieren will.“ Demnach soll dann kein Mord, sondern lediglich Totschlag vorliegen. Durch diese Entscheidung wird einmal mehr deutlich, wie tief patriarchale Sichtweisen auch in der Gesetzgebung verankert sind. Immerhin muss man etwas zunächst besessen haben, damit es einem geraubt werden kann.
Anders sieht das allerdings aus, wenn der Täter als migrantisch gelesen wird, wie der Deutsche Juristinnenbund schildert. Dann werden patriarchale Denkweisen anerkannt und es steht schnell der Begriff „Ehrenmord“ im Raum, der mittlerweile als Mord aus niedrigen Beweggründen eingestuft wird. Eine solche Vorgehensweise ist rassistisch, denn so werden Morde an Frauen den vermeintlich „Anderen“ zugeschoben. Femizide finden aber überall statt und das unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, sozialem oder finanziellem Status sowie Bildungsstatus. Daher sollte die Strafverfolgung auch einheitlich sein und das Mordmerkmal bei den sogenannten Trennungstötungen ebenfalls anerkannt werden.
Forderungen für den Schutz von Frauen
Feministische Organisationen und Die Linke kennen das Problem schon lange und fordern die Anerkennung von Femiziden als Straftatbestand. Auch die Zentrale Informationsstelle der Autonomen Frauenhäuser setzt sich für eine Reform des Tötungsstrafrechts ein: Femizid soll als strafverschärfendes Merkmal im Strafgesetz eingeführt werden. 2019 stellte außerdem der Deutsche Juristinnenbund ein Themenpapier vor, in dem eine angemessene Bestrafung von Trennungstötungen verlangt wird. Eine intime Beziehung zwischen Täter und Opfer dürfe nicht strafmildernd berücksichtigt werden, sondern solle im Gegenteil eher ein Grund für die Einordnung in die Fallgruppe der „niedrigen Beweggründe“ sein, wie es auch in der Istanbul Konvention festgelegt wurde.
„Tötungsdelikte auf Grund der Trennung oder Trennungsabsicht der Partnerin (Trennungstötungen) sind effektiv zu verfolgen und angemessen zu bestrafen. Es sind alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, damit die Verharmlosung als „Familiendrama“ und das befremdliche Verständnis für die Täter sich nicht weiter auf die zutreffende Einordnung als manifeste geschlechtsspezifische Gewalt sowie die Effektivität der Strafverfolgung auswirken können. Eine mögliche Strafschärfung wegen der Tatbegehung durch den (Ex-)Partner ist in jedem Einzelfall zu prüfen.“ (Deutscher Juristinnebund)
Außerdem werden Forderungen nach mehr Opferschutz laut, denn nicht nur in Pandemiezeiten sind die Frauenhäuser überfüllt. Ebenso muss die Täterarbeit verstärkt werden, denn vor allem eines kann helfen: Prävention.
Nicht zuletzt ist aber auch die Sichtbarkeit von Femiziden ausschlaggebend. Hierfür ist es unabdingbar, dass Femizide auch als solche benannt werden. Froben Homburger, der Chef der Deutschen Presseagentur dpa, kündigte deshalb 2019 in einem Tweet an, dass die dpa keine Umschreibungen wie „Familientragödien“ mehr verwenden werde. Das ist ein wichtiger Schritt, da viele Medien die Berichte der dpa wörtlich übernehmen. Solange der Begriff Femizid allerdings nicht von weiteren offiziellen Stellen wie der Polizei oder der Bundesregierung übernommen wird, die von den Medien häufig zitiert werden, werden verharmlosende Bezeichnungen auch weiterhin in der deutschen Medienlandschaft verbreitet sein und zu einer falschen Wahrnehmung sowie Schuldverschiebung führen, wie die Journalistinnen Paulina Krasa und Laura Wohlers in ihrem Podcast Mordlust anmerken.
Zudem bemängelt UN Women, dass die BKA-Statistik längst nicht das gesamte Ausmaß geschlechtsspezifischer Gewalt abbildet. Beispielsweise werden trans Frauen nicht in den offiziellen Zahlen inkludiert, obwohl sie noch häufiger von Diskriminierung und Gewalt betroffen sind. Die Dunkelziffer ist demnach unvorstellbar hoch. Daher fordern die Bremer Bürgerschafts-Fraktionen von SPD, Grünen und Linken in einer Anfrage an den Senat, dass geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen explizit als Femizid in der Kriminalstatistik kenntlich gemacht wird. Es sollten unbedingt präzisere Daten erhoben werden, damit Femizide nicht mehr hinter verschlossenen Türen verborgen bleiben.
Karolin Lammer
Beratungsstellen und Helplines:
Hilfetelefon gegen Gewalt an Frauen: 08000 116 016
Weisser Ring: 116 006
Neue Wege Bremen: 0421.79 47 118
Ulrike Hauffe meint
Morgen, Mittwoch, den 02.06. debattiert ab ca. 10 Uhr die Bremische Bürgerschaft über Femizide!