Rayyannah Barnawi, Astronautin aus Saudi-Arabien
Am Montag, den 22. Mai 2023 landete Rayyanah Barnawi als erste saudi-arabische Frau und Muslima auf der Internationalen Raumstation (ISS).
Barnawi studierte Medizintechnik in Neuseeland und leistete fast ein Jahrzehnt lang wichtige Arbeit mit ihrer Stammzellen- und Brustkrebsforschung am King Faisal Specialist Hospital and Research Centre in Riad.
Die 10-tägige Mission Axiom-2 startete, organisiert vom Unternehmen Axiom Space in Zusammenschluss mit SpaceX und der NASA. Hier hat die Raumfahrerin einige Experimente durchführt.
Doch nicht nur im Namen der Wissenschaft flog Barnawi zur ISS. Auch politisch ist ihre Reise in den Weltraum bedeutend. Dass Saudi-Arabien und Kronprinz Mohammed bin Salman ihr erzkonservatives Image – zumindest für den Außenschein – verbessern möchten, scheint dabei wichtiger zu sein, als die Tatsache, dass Rayyanah Barnawi auch ein feministisches Zeichen setzt. In einem Staat, der für Frauen einen männlichen Vormund festlegt, der es untersagt, dass Frauen ihre eigene Meinung frei äußern dürfen und der erst seit 2019 die Reisefreiheit für Frauen gestattet, ist es nicht völlig selbstverständlich, dass Rayyanah Barnawi für die Mission ausgewählt wurde und auch tatsächlich daran teilnehmen darf.
Die Bemühungen um ein progressiveres Image beziehen sich allem Anschein nach aber nur auf die Außenwirkung und nicht auf die tatsächliche Umsetzung von mehr Gleichberechtigung. Aliki Kosyfologou, Doktorin der Politikwissenschaft und Soziologie schreibt bei der Rosa Luxemburg Stiftung über die Situation der saudi-arabischen Frauen. Sie sagt, dass das Image vorrangig für die internationale Gemeinschaft aufgebessert werden soll. Von einem Wandel lasse sich nicht sprechen. Weiterhin werden politisch aktive Feminist*innen strafrechtlich verfolgt und Inhaftiert. Darunter die Frauenrechtlerinnen Salma al-Shehab und Loujain al-Hathloul . Dennoch sind laut Kosyfologou die 2017 geschafften Rechtsreformen vor allem auf den Druck zurückzuführen, den feministische Gruppierungen aufbauen konnten.
In ihren ersten Worten von der ISS aus, bedankte sich Rayyanah Barnawi bei dem König und dem Kronprinz Saudi-Arabiens für die Unterstützung an ihrer Mission. Noch vor Antritt der Reise sagte sie:
Etwas versteckt, aber dennoch erkennbar äußert sie hier, dass es nicht selbstverständlich ist, dass sie als Frau an dieser großen wissenschaftlichen Forschung teilnehmen darf.
Ebenfalls als weibliche Repräsentantin mit dabei ist Peggy Whiston. In der Rolle der Missionskommandeurin ist Whiston mit 665 Tagen die amerikanische Frau, die am meisten Zeit im Weltraum verbrachte. Die frühere NASA-Astronautin war bereits 2002 das erste Mal im All. Zuvor arbeitete sie in der Biochemieforschung und im Bereich der Inneren Medizin an der University of Texas Medical Branch in Galveston. Seit 1989 arbeitete sie als Biochemikerin für die NASA.
Gleichberechtigung bis ins All
Auch heute sind Barnawi und Whiston als Frauen im Weltall noch Ausnahmen. Im Jahr 2021 waren von 560 Menschen, die die Erde verlassen konnten, nur 62 Frauen. Ein Fakt, den die Ingenieurin für Luft- und Raumfahrtechnik Claudia Kessler ändern möchte. Zusammen mit Simonetta Di Pippo, der ehemaligen Direktorin für Raumfahrt bei der Europäischen Weltraumorganisation gründete Kessler 2009 das Netzwerk „Frauen in Aerospace“. 2016 folgte das Raumfahrt Start-up „Die Astronautin“, welches die erste deutsche Frau ins All bringen soll.
Dieser Titel soll vielleicht noch dieses Jahr an Suzanna Randall gehen. Seit 2018 trainiert sie für ihren Aufenthalt auf der ISS und kann dank der privaten Organisation von Claudia Kessler ihren langjährigen Traum verwirklichen und ein feministisches Zeichen in die männerdominierte Raumfahrtbranche setzen.
Was war eigentlich mit Joycelyn Bell Burnell?
Obwohl vielerorts an der Frauenquote der ausgebildeten Astronaut*innen gearbeitet wird, herrscht noch immer ein Ungleichgewicht. Und das nicht nur in der aktiven Raumfahrt, auch in der Astrophysik setzen sich nach wie vor mehr Männer in der Forschung durch. Wie zum Beispiel im Fall von Joycelyn Bell Burnell: Die britische Radioastronomin entdeckte 1967 als Erste einen sogenannten Pulsar, einen Neutronenstern. Der Nobelpreis für Physik ging jedoch nicht an sie, sondern an ihren einstigen Doktorvater Anthony Hewish. Bell Burnell wurde bei der Verleihung mit keiner Silbe erwähnt. Erst einige Zeit später wurde sie für ihre wichtigen Erkenntnisse gewürdigt, indem Königin Elisabeth II sie in den Adelsstand erhob. 2018 erhielt sie den Special Breakthrough Prize in Fundamental Physics. Das gewonnene Preisgeld spendete sie an Frauen, ethnische Minderheiten und Geflüchtete.
Wissenschaft oder Feminismus?
All die genannten, hochdekorierten Astrophysikerinnen, Medizinerinnen, Pilotinnen und Raumfahrerinnen haben neben ihrem Beruf noch eine zweite Aufgabe, für die sie sich nie freiwillig entscheiden konnten. Und zwar: Ein Zeichen für den Feminismus zu setzen.
Ungewollterweise wird es wohl noch einige Jahrzehnte dauern, bis das Prinzip der Gleichberechtigung auch in der Raumfahrt und Naturwissenschaft angekommen ist. Bis dahin wird jede Frau, die den Schritt von unserer Erde ins All wagen kann, eine unter wenigen sein. Das führt dazu, dass wir nicht von Rayyanah Barnawi als Forscherin sprechen, sondern von Rayyanah Barnawi als erster Saudi-Araberin im All. Wir sprechen nicht von Peggy Whiston als Missionskommandeurin, sondern von Peggy Whiston als derjenigen, die den zeitlichen Aufenthalt anderer Amerikanerinnen im Weltraum überbot. Wir sprechen nicht von Suzanna Randall, der Astrophysikerin, die unter hunderten Bewerberinnen als potentielle Raumfahrerin ausgewählt wurde. Sondern wir sprechen von der (vermutlich) ersten deutschen Frau auf der ISS. Solange Barnawi dafür genutzt wird, das Image ihres Landes aufzupolieren, hat sie mehrere Missionen auf einmal zu bewältigen, die ein männlicher Kollege nicht hätte. Bis endgültig Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern erreicht ist, wird Wissenschaft mit Feminismus und Politik verknüpft sein.
Philomena
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