Wer macht eigentlich im Internet sauber, wenn die Trolle wüten? Ausgehend von der Behauptung ›Im Internet gibt es keine Mädchen‹ stellt sich der Chor der Zaungäste einmal mehr die Frage, in welcher Tonlage gesprochen werden muss, um gehört zu werden und wem welche Räume offenstehen – online wie offline.
Interview mit Susanne Zaun und Marion Schneider zur Produktion ›Im Internet gibt es keine Mädchen. Eine Tirade‹ von Susanne Zaus / Marion Schneider / Zaungäste
Die Schwankhalle präsentiert am 29. und 30.04.2022 eine Performance von Marion Schneider und Susanne Zaun mit dem Titel: „Im Internet gibt es keine Mädchen. Eine Tirade.“ Darin wird sich auf kreative Art mit Hassphänomenen im Netz auseinandergesetzt. Besonders den weiblichen Stimmen, die sonst überhört werden, soll in diesem Zuge Gehör verschafft werden.
Marion Schneider und Susanne Zaun, die sich im Rahmen ihres Studiums der Angewandten Theaterwissenschaft in Gießen kennenlernten, arbeiten sich mit dieser Performance gemeinsam an den Herausforderungen des Chores ab. Die Beiden beschäftigen sich unter anderem mit dem Untergang des Patriarchats sowie der Irritation, die durch das Fremde im Vertrauen entsteht. In einem Interview hatten wir die Gelegenheit etwas mehr über diese spannende Produktion zu erfahren.
„Im Internet gibt es keine Mädchen“ heißt es im Titel Eurer Performance. Was hat es mit dieser etwas kryptischen Behauptung auf sich?
Der Titel ist den sogenannten “Internetregeln” des Netzformus 4chan entnommen. Isoliert klingt der Satz erstmal fast surreal. Im Kontext der anderen von 4chan postulierten Regeln und der Praxis seiner User offenbart er allerdings eine zutiefst misogyne Weltsicht. Das “echte“, ”authentische“ Internet findet nach der Vorstellung dieser Menschen ohne Frauen statt – oder zumindest ohne Frauen, die sich als solche zu erkennen geben. (Nicht-binäre Personen werden gar nicht erst erwähnt.) Über Frauen wird auf eine Art gesprochen, die ihre Abwesenheit voraussetzt. Wir haben den Satz als Titel gewählt, um uns seine Deutung wieder anzueignen. Nicht als eindeutiges Statement, sondern als ambivalente Behauptung, die uns als Ausgangspunkt für unsere Tirade dient.
Der Titel lässt sich in zweifacher Hinsicht verstehen: zum einen werden im Internet häufig Alter Egos verwendet, so dass sich hinter einem vermeintlichen Mädchen auch ein 50-jähriger Mann verbergen kann. Zum anderen wird das Internet überproportional von Männern dominiert, Frauen sind wesentlich seltener vertreten, wobei man differenzieren muss: häufig werden Frauen auf eine bestimmte Art und Weise in Bildern, Werbung, Videos sichtbar gemacht, bekommen aber keine Stimme.
Sexismus und Misogynie sind in allen Bereichen der Gesellschaft präsent. In der Anonymität des Internet zeigen sie ihr Gesicht oft auf besonders drastische Weise – heftigste Beleidigungen und Verleumdungen bis hin zu Morddrohungen gegen weibliche und queere Personen sind in Kommentarspalten und sozialen Medien quasi an der Tagesordnung. Wie tief habt ihr euch in Eurer Recherche für das Stück in diese Abgründe hineinbegeben? Und wie habt ihr das ausgehalten?
Es gibt ja sehr viel gute Sekundärliteratur zum Thema, die die Entstehung und Mechanismen der unterschiedlichen Hassphänomene im Netz und ihre Verknüpfungen zur analogen Welt beschreiben. Das ist eigentlich ein Fass ohne Boden. Irgendwann mussten wir tatsächlich aufhören mit dem Lesen, weil wir gemerkt haben, dass es uns auf eine unproduktive Art wütend macht.
Uns ging es nicht darum, diesen Hass zu reproduzieren und ihm damit eine Bühne zu geben. Wir stellen uns beständig die Frage: Was können wir dem lustvoll und kreativ entgegensetzen, wie können wir einen künstlerisch-produktiven Umgang damit finden? Und wie können wir dies tun, ohne selbst in die Hassspirale mit lautem Wutgebrüll einzusteigen? Wir haben also auch die Stimmen derer gesammelt, die irgendwie mit diesem ganzen Müll arbeiten – als Aktivist*innen, Journalist*innen, Philosph*innen. Wir haben uns gefragt, wie sich unser eigener Hass materialisieren würde. Und dem wollen wir einen Raum und eine Sprache geben.
„Ich würde es bevorzugen, das Privileg zu haben, die Klappe zu halten und trotzdem gehört zu werden.“
(Im Stück: ›Im Internet gibt es keine Mädchen. Eine Tirade‹ von Susanne Zaus / Marion Schneider / Zaungäste)
In eurem Stück geht es unter anderem um das Spannungsfeld zwischen (mitunter frustrierender) Unsichtbarkeit und (mitunter lebensgefährlicher) Exponiertheit, in dem sich Frauen in unserer Gesellschaft und besonders im Internet bewegen. Wie kommt es eurer Meinung nach zu dieser Misere und was haben die Zaungäste ihr entgegenzusetzen?
Wir versuchen Stimmen – vorzugsweise weibliche Stimmen, die normalerweise nicht gehört werden – hörbar zu machen. Im Zuge der Stückentwicklung haben wir Interviews mit Frauen geführt, die normalerweise im Hintergrund arbeiten und nicht gehört werden – unter anderem ein Gespräch mit einer Souffleuse und einer Redakteurin, die Kommentarspalten im Internet moderiert. Wir setzen der Flut des Internets einen Widerstand entgegen: Die Forderung gehört zu werden einerseits, andererseits das Recht sich einer bestimmten Sichtbarkeit auch zu verweigern. Im Stück fällt der Satz „Ich würde es bevorzugen, das Privileg zu haben, die Klappe zu halten und trotzdem gehört zu werden“. Der trifft es eigentlich sehr gut.
Ihr produziert schon seit einigen Jahren Arbeiten unter dem Label „Zaungäste GbR“. Wer genau sind denn eigentlich die Zaungäste?
Uns (Susanne Zaun und Marion Schneider) verbindet seit dem Studium der Angewandten Theaterwissenschaft in Gießen eine enge Zusammenarbeit. 2011 gründete sich daraus das zaungästekollektiv in Frankfurt am Main, das hier seitdem mit einem festen Stamm an Leuten in wechselnden Konstellationen regelmäßig Theaterprojekte am Künstlerhaus Mousonturm (Frankfurt am Main) entwickelt. Ein Schwerpunkt unseres künstlerischen Schaffens liegt auf der Arbeit mit dem ur-theatralen Element des Chorischen. Gemeinsame Interessen sind popkulturelle Artefakte, der Untergang des Patriarchats, affirmative Praktiken und die Irritation, die durch das Fremde im Vertrauten entsteht.
(Interview geführt von Janna Schmidt)
Die Performance wird am FR 29.4. und SA 30.4. (beides jeweils um 20 Uhr startend) und am 30.4. mit Publikumsgespräch in der Schwankhalle aufgeführt. Weitere Informationen zum Stück, zur Barrierefreiheit und zu den Tickets sind hier zu finden.
(Imke)
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