Seit Februar hat Bremen eine neue Migrations- und Integrationsbeauftragte: Nadezhda Milanova. Die 41-Jährige lebt seit 2003 in Deutschland. Die Diplom-Betriebswirtin Nadezhda Milanova ist seit ihrem Studium in Osnabrück migrationspolitisch aktiv und hat langjährige Verwaltungserfahrung gesammelt. Wir konnten sie für ein Gespräch gewinnen.
Sie sind ja studierte Betriebswirtin. Was hat Sie dazu bewegt von der Wirtschaft zur Politik zu gehen?
Nach dem Studium hatte ich die Wahl in die freie Wirtschaft zu gehen oder in den öffentlichen Dienst. Ich habe mich sehr bewusst für den öffentlichen Dienst entschieden, weil es mir wichtig war mit meiner Arbeit einen Beitrag zu einer besseren Gesellschaft zu leisten. Ich wollte mit meiner Tätigkeit etwas zum Positiven für Bürger:innen bewegen und sah darin deutlich mehr Sinn für mich persönlich.
Vielleicht an der Stelle eine Anmerkung – natürlich bin ich politischer Mensch – das sind wir alle auf einer Art und Weise – jedoch ist meine Funktion kein politisches Amt.
Was hat Sie insbesondere dazu bewogen in die Integrationspolitik zu gehen?
Es schmerzt mich, dass wir im Jahr 2022 so verkrampft mit Vielfalt umgehen, uns so schwer als Gesellschaft tun diese zu akzeptieren und progressiv zu gestalten. Dass wir weiterhin Menschen in Kategorien aufteilen, dass Menschen mit so genanntem Migrationshintergrund in Deutschland defizitär behandelt werden, um einige Beispiele zu nennen.
Es hat sich im Bereich der Integrationspolitik in den letzten Jahren viel zum Positiven geändert. Meine Vision ist, dass unsere Gesellschaft unaufgeregt mit dem Thema Vielfalt umgeht. Deswegen bin ich in den Bereich gegangen, um einen Beitrag zu einem entspannten und wertschätzenden Umgang mit Vielfalt in Bremen zu leisten.
Können Sie einmal beschreiben, was Ihr Aufgabenbereich als Integrationsbeauftragte ist?
Wofür sind Sie zuständig? Welche Aufgaben / politischen Themen liegen in Ihrer Verantwortung?
Auf der einen Seite bin ich für die Erarbeitung und Umsetzung der integrationspolitischen Ansätze des bremischen Senats zuständig. Meine Aufgabe und die meines Teams ist es z.B. Projekte, die sich der Senat in dem Bereich vorgenommen hat, zu koordinieren und voranzutreiben. Einige Beispiele sind die Konzipierung der Landesantidiskriminierungsstelle, die Umsetzung des Rahmenkonzepts gesellschaftliche Teilhabe und Diversity, die Förderung und Beratung von (post-) migrantischen Organisationen, die Erstellung eines Landesaktionsplans gegen Rassismus und die Vernetzung und Begleitung von Ehrenamtlichen, die sich für Integration einsetzen.
Auf der anderen Seite bin ich die Ansprechpartnerin für Bürger:innen und für die Zivilgesellschaft zu integrationspolitischen oder individuellen Fragen und ich habe eine beratende Rolle für den Senat im Rahmen der Integrationspolitik. Ich bekomme viele Anfragen zu verschiedensten Themenkomplexen und versuche im Rahmen des rechtlich Möglichen die Menschen mit ihren Anliegen zu unterstützen. Meine Aufgabe ist es, im Gespräch mit zivilgesellschaftlichen Akteuren zu sein, Anregungen und Meinungen aufzugreifen und diese gegebenenfalls in integrationspolitischen Maßnahmen des Senats einfließen zu lassen.
Ich habe eine Art Brückenrolle zwischen Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft.
Wie ist Ihre Einstellung zur bisherigen Integrations – / Migrationspolitik in Bremen?
Was können Sie von Ihrem Vorgänger mitnehmen und was würden Sie anders machen wollen?
Ich finde die bisherigen integrationspolitischen Ansätze in Bremen sind sehr gut. Im aktuellen Koalitionsvertrag stehen viele wichtige und sinnvolle Vorhaben für eine gelungene Integration. Neben den bereits erwähnten Maßnahmen, finde ich den Vorsatz der bremischen Koalition sich für eine entsprechende Grundgesetzänderung einzusetzen, damit Menschen ohne deutschen Pass, die seit mindestens fünf Jahren Bremen leben, an kommunalen und staatlichen Wahlen teilnehmen können, sehr wichtig. Es leben immer mehr Menschen im Land Bremen, die aufgrund der aktuellen Gesetzeslage nicht mal an Kommunalwahlen teilnehmen können. Politische Teilhabe sieht meiner Meinung nach anders aus. Viele europäische Länder sind weiter in dieser Hinsicht.
Allerdings muss ich fairerweise sagen, dass es sich bei den meisten Maßnahmen um Langzeitprojekte handelt, d.h. ihre Umsetzung dauert deutlich über eine Legislaturperiode hinaus. Und diese Vorhaben erfordern teilweise zusätzliche Ressourcen. Dafür muss das Land Geld in die Hand nehmen.
Ich habe ein qualifiziertes und hoch motiviertes Team vorgefunden und nach 3,5 Monate im Amt habe ich keine Liste mit Maßnahmen, die ich deutlich anders machen würde. Ich bin noch dabei die Akteurinnen und Akteure auf dem integrationspolitischen Parkett und ihre Arbeit kennenzulernen und mir ein Bild zu machen.
Was ist Ihnen persönlichen an dem Amt der Integrationsbeauftragten wichtig?
Auf welchen Themen / Aufgaben liegt hier für Sie der Schwerpunkt? Welche Veränderungen streben Sie an?
Ein Herzensanliegen ist mir die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Einstellungen zu Vielfalt und Gerechtigkeit driften ganz schön auseinander in unserer Gesellschaft. Das dürfen wir uns auf Dauer nicht leisten. Mehr Dialog, achtsamer und wertschätzender Kontakt miteinander, Bekämpfung von Diskriminierung, bessere Teilhabechancen in allen Lebensbereichen – Bildung, Politik, Arbeits- und Wohnungsmarkt, Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit und den daraus entstandenen Privilegien sind einige Beispiele, die mehr Aufmerksamkeit seitens der Verwaltung und der Politik brauchen.
Im Rahmen meiner Möglichkeiten werde ich mich dafür einsetzen, dass diese Themen die nötige Aufmerksamkeit bekommen und daraus Handlungen entstehen.
Welche politischen Themen sind Ihnen außerhalb Ihres Amtes wichtig?
Wofür würden Sie sich gerne in einem politischen Kontext mehr einsetzen oder setzen sich schon ein?
Welchen Themen sollte mehr Beachtung geschenkt werden?
Meiner Meinung nach ist die Liberalisierung und Humanisierung des deutschen Aufenthaltsrechts sehr wichtig. Ich setze große Hoffnung auf den neuen Koalitionsvertrag der Bundesregierung bzgl. dieses Themas und werde mich nach Kräften und Möglichkeiten dafür einsetzen.
Soziale Herkunft als Grund für Diskriminierung wird meines Erachtens kaum oder wenig beachtet. Das müssen wir ändern.
Ich bin Verfechterin der 30-Stunden-Arbeitswoche für alle. Dieses Modell erfordert eine gewaltige Umstellung bestehender Strukturen, es wird uns jedoch als Gesellschaft unterstützen bei der Bewältigung einiger aktuellen Herausforderungen wie bspw. Beschäftigtenzufriedenheit, Fachkräftemangel, Gesundheit, Arbeitslosigkeit.
Last but not least – das Thema Quoten. Wir brauchen eine verbindliche Frauenquote auf den obersten Führungsetagen und in Aufsichtsräten sowie eine Quote für Beschäftigte mit Migrationserfahrung im öffentlichen Dienst – auch auf allen Führungsebenen. Ohne Quoten verändert sich wenig. Freiwilligkeit schafft offensichtlich nicht genügend Antrieb oder tut es nur langsam.
Wie stehen Sie persönlich zum Feminismus?
Was können Sie in Ihrem Amt für die Rechte von Frauen und insbesondere Frauen mit Migrationshintergrund tun?
Ich habe keine wirklich andere Wahl als Feministin zu sein. Bevor ich Mutter wurde, gebe ich zu, hatte ich einen anderen Blick auf das Thema. Nach der Geburt meines Kindes hat es mich schockiert wie viel in Deutschland Frauen mit Kindern z.B. vorgeschrieben wird wie sie ihr Leben zu gestalten haben.
Es gibt tolle Untersuchungen, Papiere, Empfehlungen zu dem Thema. Die reale Welt sieht jedoch noch triste aus – Frauen in Top-Führungspositionen, feministische Außenpolitik, finanzielle Unabhängigkeit, gute Lebensverhältnisse im Alter, ausgewogene Rollenverteilung im Familienleben, um einige Beispiele zu nennen – es gibt so viel zu tun! Und es geht zu langsam voran. Jede Frau sollte die Freiheit haben zu tun und zu lassen, was sie möchte unabhängig davon, ob sie Kinder hat oder nicht.
In meinem Bereich haben wir sehr stark die Belange von Frauen mit Migrationsbiographie im Blick. Z.B. fördern wir Projekte und Maßnahmen für diese Zielgruppe, setzen uns für Integrations- und Sprachkurse mit entsprechenden Kinderbetreuungsangeboten ein und haben Schutzbedarfe im Blick.
Haben Sie sonst noch etwas, was Sie wichtig finden den Leser*innen mitzuteilen?
Wir Frauen, sollten uns noch stärker gegenseitig unterstützen und das Urteilen über einander unterlassen.
Vielen Dank für das Interview!
Von Roja
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