Mit einem solchen Ansturm hatten die Veranstalterinnen, die Bremer Städtegruppe der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes gar nicht gerechnet: über 150 Personen waren in der Zentralbibliothek zur Veranstaltung Traumprinz oder Zuhälter? Die Loverboy-Methode – Mädchenhandel in Deutschland erschienen. Zunächst wurde ein größerer Raum gesucht, damit alle Interessierten Platz finden konnten, bevor Referentin Bärbel Kannemann mit ihrem Vortrag beginnen konnte. Sie hat als Kriminalhauptkommissarin gearbeitet und nach ihrer Pensionierung den Verein No Loverboys gegründet, um betroffenen Mädchen zu helfen und die Öffentlichkeit über das Phänomen zu informieren.
Die Loverboy-Methode – Mädchenhandel in Deutschland
Worum geht es bei dieser Masche? Loverboys sind junge Männer zwischen 18 und 30 Jahren, die jungen Mädchen, manche erst 11 Jahre alt, Liebe vortäuschen, um sie dann in die Prostitution zu zwingen. Sie suchen sich ihre Opfer im Internet oder auf öffentlichen Plätzen und kontaktieren gezielt Mädchen, die „leichte Beute“ sind, weil sie sich in einer Lebenskrise befinden. Das können verschiedenste Situationen sein: Trennung und/oder Arbeitslosigkeit der Eltern, eine Erkrankung von Eltern oder Geschwistern. Laut Kannemann trifft es oft Opfer von sexualisierter Gewalt und Mädchen mit einem angeschlagenen Selbstbewusstsein. Alle sozialen Schichten sind betroffen. Eine weitere Gemeinsamkeit der betroffenen Mädchen ist Kannemann zufolge, dass sie sich verstärkt nach Liebe und Anerkennung sehnen. Diese Liebe und Anerkennung täuschen die Loverboys ihnen dann vor. Dabei gehen diese äußerst geschickt vor. Sie achten zum Beispiel darauf, dass die Mädchen zunächst weiterhin in die Schule gehen und ihre Hausaufgaben machen. Bei den Eltern gelten sie häufig als höfliche, besorgte junge Männer, die sich rührend um die Töchter kümmern.
Vom Traumprinzen zum Alptraum
Die Mädchen fühlen sich geschmeichelt, weil sich ein um mehrere Jahre älterer Junge für sie interessiert. Irgendwann sind sie dann so richtig verliebt und überzeugt, ihren Traumprinzen gefunden zu haben. Es kommt zum „ersten Mal“ und sie sind überglücklich. Dann aber wird der Traum zum Alptraum, und der bisher so nette Freund entpuppt sich als Zuhälter. Freier tauchen auf, Videos werden gedreht und es wird gedroht, die Filme ins Netz zu stellen. Darauf folgt die soziale Isolierung der Mädchen. Falls sie versuchen, sich zu wehren, werden sie häufig mit Gewalt, Drogen und Drohungen gegen ihre Familien gefügig gemacht. Diese Situation kann manchmal jahrelang andauern, ohne dass jemand aus dem sozialen Umfeld etwas merkt. Falls die Mädchen sich doch offensichtlich verändern, wird das häufig von Eltern oder Schule auf die Pubertät geschoben. Bärbel Kannemann berichtete von mehreren erschütternden Einzelschicksalen. Wenn das Ganze irgendwann doch auffliegt, zerbrechen viele Familien daran, denn viele Eltern geben sich die Schuld.
Forderung nach Prävention
Bärbel Kannemann berichtete, dass sie 2009 auf das Phänomen aufmerksam wurde, in Deutschland aber „niemand davon wissen wollte“. So ging sie zunächst für ein Jahr nach Holland, um sich selbst kundig zu machen. Verlässliche Zahlen gibt es für Deutschland bis heute nicht. Der Verein No Loverboys hat jedoch seit 2010 circa 2500 Mädchen betreut – wobei nicht alle selbst Opfer waren. Wenn die Referentin zu Vorträgen an Schulen eingeladen wird, wird sie in der Regel nachher von Betroffenen angesprochen, die entweder selbst Opfer geworden sind oder es von einer Freundin oder Schwester vermuten.
Die Verfolgung der Täter gestaltet sich schwierig. Das Delikt „Loverboy-Methode“ existiert als solches nicht, selbst Polizist*innen kennen die Masche oft nicht, und die wenigsten Opfer erstatten Anzeige: aus Scham, weil man ihnen nicht glaubt oder sie keine Beweise haben. Vor Beginn der Arbeit von No Loverboys gab es in Deutschland nur zwei Verurteilungen aber viele Freisprüche. Auch deshalb ist Prävention besonders wichtig. In Deutschland trauen sich aber laut Kannemann viele Schulen an das Thema nicht heran. In Holland dagegen informieren inzwischen alle Schulen ihre Schüler*innen über die Gefahr. Das wünscht sich die Referentin auch für Deutschland.
Hilfe finden
Was können nun betroffene Mädchen tun? Hilfe kann der Verein No Loverboys bieten. Dort finden sie Verständnis für ihre Situation, es werden ihnen keinerlei Vorwürfe gemacht und sie werden an einen sicheren Ort gebracht. Es wird Kontakt zu den oft ahnungslosen Eltern und zum Jugendamt hergestellt. Das alles geschieht immer nur mit dem Einverständnis des Mädchens. Des Weiteren bietet der Verein Aufklärung für Schulen, Landesmedienzentren und die breite Öffentlichkeit an.
„Gibt es ein Leben danach?“ fragte Bärbel Kannemann und zählte auf, was getan werden müsse, um den Opfern zu helfen. Das Wichtigste sei, dass sie lernten wieder Vertrauen in Menschen zu haben, ohne jedoch jedem blind zu vertrauen. Dann müssten sie von Alkohol und Drogen wegkommen und sich wieder an einen „normalen“ Tag- und Nachtrhythmus gewöhnen. Auch den Eltern müsse geholfen werden.
Das alles verursache immense Kosten. Eine Therapie koste circa 30.000 EUR, und das nur für das Mädchen selbst, die Eltern seien noch gar nicht mitgerechnet. Oft sei das Leben der Mädchen und jungen Frauen so zerstört, dass lebenslange Arbeitslosigkeit drohe. Abgesehen von den tragischen Einzelschicksalen habe der Staat also enorme Kosten zu tragen. Daher, so Bärbel Kannemann:
„Wir sind alle Opfer von Loverboys.“
Irene Meyer-Herbst
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