Jeden Monat bei der Regelblutung muss sie das Haus verlassen und darf mit den anderen Mitgliedern der Familie nicht in Kontakt treten. Die Vorstellung ist lachhaft und klingt nach einem feministischen Science-Fiction Roman, in dem sich eine junge Heldin schließlich gegen die patriarchalische Unterdrückung zur Wehr setzt. Leider ist diese Vorstellung für viele Frauen in Nepal Alltag: Die Chhaupadi, eine Praxis des nepalesischen Hinduismus, verlangt, dass Frauen während ihrer Menstruation vom restlichen Haushalt getrennt werden.
Der Alltag in der Chhaupadi
Die Chhaupadi beginnt direkt mit der ersten Menstruation eines pubertierenden Mädchens. In einer Hütte ein gutes Stück entfernt von ihrem Haus muss sie sich bei ihrer ersten Regelblutung für 10 bis 11 Tage aufhalten, danach bei jeder weiteren für vier bis fünf Tage – und das bis zu ihrer Menopause. Auch für Mütter gilt dieses Exil in den ersten Tagen nach der Geburt. Sie dürfen bestimmte Nahrungsmittel nicht essen, müssen sich in ihren instabilen Hütten selbst versorgen und sind abgeschottet von ihrem sozialen Umfeld. Gerade für junge Mädchen, die das erste Mal so getrennt von ihrer Familie liegen, ist das Exil besonders schwierig. Angst vor Tieren, vor Männern, die die ungeschützen Mädchen ausnutzen wollen, hält die Frauen wach. Die junge Maya beschreibt dies in der Fotostrecke „A Ritual of Exile“ über die Chhaupadi:
„It is my first time in a chau. I feel very uncomfortable, I don’t sleep at all at night and cried the first three nights. I am really scared of boys, snakes, and when I hear voices of drunk men. […] I don’t think men understand menstruation. Women would not be suffering so much if they did.”
Offiziell ist diese Praxis seit 2005 gesetzlich verboten. Regelmäßig erscheint sie in den Medien, weil oft junge Mädchen während der Chhaupadi ums Leben kommen: Eine 15-Jährige erstickte in ihrer Hütte, weil sie sich im kalten Wetter ein Feuer angezündet hatte und durch den Rauch schließlich keine Luft mehr bekam. Viele Betroffene, die zur Chhaupadi befragt wurden, berichten aber auch von Schlangenbissen, Schakalattacken, erfrorenen oder verhungerten Frauen.
Thank you @poulomibasu for telling the world that #MenstruationMatters. And thank you for a great event this weekend! #Sanitation #Hygiene pic.twitter.com/um1gyVIYgo
— Days for Girls (@DaysForGirls) May 8, 2017
Aberglaube und Stigmata
Die Chhaupadie geht zurück auf den Hinduismus. Vieles davon hat allerdings wenig mit Glaube und mehr mit Aberglaube zu tun. Das Blut von Frauen wird als unrein empfunden. Menstruation oder Blutungen nach einer Geburt werden als Auslöser für Krankheiten gewertet. Milch und Milchprodukte dürfen von menstruierenden Frauen nicht konsumiert werden, da sonst die Kuh aufgrund der „Verunreinigung“ keine Milch mehr gibt. Männer werden krank, wenn sie mit Frauen während ihrer Periode in Kontakt kommen. Wenn eine menstruierende Frau einen Tempel betritt, erzürnt das die Götter. Die Gefahren, denen die jungen Mädchen oder noch von der Geburt geschwächten Frauen ausgesetzt sind, zählen aber nicht als Grund. In der Dokumentation „A Ritual of Exile“ dokumentiert die Fotografin Poulomi Basu Frauen aus verschiedenen Regionen und verschiedenen Alters. Alle von ihnen berichten das Gleiche: Angst während ihres Exils und wenig Verständnis.
https://twitter.com/View_Find/status/848263721520693248
Ein Generationswechsel?
Die Aufklärung und Bildung der Bevölkerung sind der erste Schritt in Richtung Abschaffung der Chhaupadi. Da die Frauen in Chhaupdi nicht nur abgeschnitten sind von sauberem Wasser, Nahrung und Schutz, sondern die Jüngeren von ihnen auch nicht zur Schule gehen dürfen, schlägt dieses Exil sich doppelt nieder. Die UN setzt vor Ort an, um aufzuklären. Aufklärungsmitarbeiter*innen gehen in die Dörfer, die Schulen und sprechen mit den traditionellen Heiler*innen vor Ort. Nach und nach scheint die Aufklärungsarbeit Wurzeln zu schlagen: Immer mehr Frauen verweigern sich der Chhaupadi und bleiben während ihrer Menstruation oder der Geburt in ihrem Häusern. Sie essen das gleiche Essen, besuchen die Schule und haben Kontakt mit den Männern ihres Haushaltes. Der Wechsel muss hier von den Frauen selbst ausgehen, so Poulomi Basu. Nur so kann diese unbegründete Ausgrenzung nachhaltig verschwinden.
Kim Hofschröer
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