Das Berliner Ensemble verfolgt in der aktuellen Spielzeit einen thematischen Strang mit dem Fokus Gender. Verschiedene Inszenierungen nähern sich auf die eine oder andere Art dem Thema. Sie hinterfragen Geschlechter-Konstruktionen, Rollenbilder und Machtverhältnisse. Das Stück Revolt. She said. Revolt again. / Mar-a-Lago, Regie von Christina Tscharyiski, ist Teil dieses Kanons.
Revolt. She Said. Revolt Again von Alice Birch
Am Anfang des Stückes gibt die Autorin Alice Birch die folgende Regieanweisung:
„Most importantly, this play should not be well behaved“.
Dieser Satz ist vollkommen umgesetzt. Sofort werden wir in die Handlung gezogen und gleichzeitig von der Rapperin Ebow dank ihrer Stücke, die immer wieder die Szenen durchziehen, in eine Stimmung von wachsamer Revolte gesetzt. Revolte bezieht sich auf die Liebe, die Arbeit, den Körper. Die Szene zur Revolution der Arbeitswelt startet mit einer einfachen Frage. Die anschließende Diskussion zwischen Personalerin und Angestellter gerät in einen Strudel des Absurden.
Der Antrag auf Reduzierung der Arbeitszeit – die Arbeitnehmerin möchte montags nicht mehr arbeiten – wird einfach nicht akzeptiert. Sollen mehr Freizeitmöglichkeiten her? Kann der Hund im Büro das Problem beheben? Oder gar ein Schokoriegel? Ein Spa? Nein. Die Vorstellung, die Arbeitszeit zu reduzieren, erscheint dem Unternehmen schlicht unglaublich. Die angegebene Erklärung noch viel seltsamer. Die Gründe der Arbeitnehmerin sind klar. Und doch wird weiter gebohrt. So weit, dass es in unverschämten Fragen gipfelt. Aber: sie möchte mehr Zeit, mehr Schlaf und ihren Hund auch in echter Natur ausführen. Wie kann sie nur wagen, so etwas zu fordern? Sind es die wahren Gründe? Nach Verlegung der Happy Hour in der betriebsinternen Bar, Wellness und Dienst-Handtasche greift die Personalerin mit schmerzverzerrtem Gesicht zur letzten Maßnahme: will sie so viel Gehalt wie die Männer? Die Spannung, aus der Achterbahn des Absurden, noch einmal ganz kurz vor der letzten steilen Abfahrt. Das will sie jedoch nicht, die Angestellte. Sie möchte einfach mehr Schlaf.
Bis Dienstag“, sagt sie. Im nächsten Akt geht es wieder um Körper. Neue Abgründe, die wir in der Realität kennen, tun sich auf. Jeder Akt hat so viel Power und die Spannung, was als nächstes geschieht hält sich durchgehend. Schnell und präzise betrachten wir die Aspekte von Macht und Geschlecht in der Gesellschaft.
Mar-A-Lago von Marlene Streeruwitz
Nach der Pause schließt sich das Stück Mar-A-Lago an, geschrieben von Marlene Streeruwitz für das Berliner Ensemble. Erneut umrahmt von Ebow und ihrer Musik. Wir sind zurück im Showbusiness und den Machtverhältnissen von Besetzungskriterien. Ehemalige Geliebte eines Regisseurs oder Produzenten finden sich zusammen und decken gleichzeitig auf, dass sie alle ersetzt wurden. Besetzung und Ersetzung.
Es ist ein ewiger Kreislauf. Wie kann er durchbrochen werden? Wann startet die Solidarität unter jenen Frauen? Die Stimmung wechselt. Teilweise führen sich die Frauen selbst vor, teilweise werden Ansätze zur Solidarität geschaffen. Dass die Verstrickungen dann grandios in gemeinsamer Höhle aus Strick entstehen, ist nur eines von vielen sehr detailreichen Bildern, die während des Schauens entstehen. Denn die Personen verheddern sich tatsächlich in einem strickartigen Gebilde.
Theater fürs Feminist*innenherz
Die Doppelpremiere von Alice Birch und Marlene Streeruwitz lässt das Feminist*innenherz höher schlagen. Beide Stücke arbeiten sich auf unterschiedliche Weise durch die aktuellen Problemstellungen. Eine Rapperin wie Ebow, die selbst Personen, die nicht in dieser Musikrichtung zu Hause sind, mit Gänsehaut fesseln kann, rundet die erlebten Szenen ab und untermauert sie. Das erste Stück ist sehr dynamisch und lässt uns keine Atempause in den szenischen Schlagabtauschen. Das Tempo ist sehr wichtig und kommt dem Thema gelegen. Im Wechsel, der auch laut Regieanweisung offen geschehen soll, holen wir Luft. Mar-A-Lago wird uns in eher langsamer Art an die wunden Punkte des Machtgefälles bringen und damit nicht weniger berühren. Es darf gelacht werden – ein bitteres Lachen, das sich mit Tränen mischt. Dem Feminist*innenherz ist dieses Doppelstück sehr zum empfehlen.
Termine
Zur Inszenierung am Berliner Ensemble.
Freitag 01.03.2019 20:00 Uhr
Samstag 02.03.2019 20:00 Uhr
Sonntag 03.03.2019 18:00 Uhr
Besetzung
Mit Patrick Güldenberg, Lorna Ishema, Astrid Meyerfeldt, Sascha Nathan, Anita Vulesica und Ebow
Regie: Christina Tscharyiski Ausstattung: Verena Dengler, Dominique Wiesbauer Musik: Ebow Video: Dominique Wiesbauer Licht: Steffen Heinke Künstlerische Beratung: Clara Topic-Matutin
Fokus Gender im Berliner Ensemble
Im Fokus Gender hat das Berliner Ensemble in der Spielzeit 2018/2019 drei Inszenierungen auf dem Plan.
Revolt. She said. Revolt again. / Mar-a-Lago.“ (Regie Christina Tscharyiski)
„Eine griechische Trilogie“ (Regie Simon Stone)
„Wheeler“ (Regie Oliver Rees)
Außerdem findet am 10. Februar 2019 ein Thementag zu Patriarchat und Macht statt.
Renate Strümpel
Nusch Eluard meint
Wunderbarer Artikel! Mega-Doppel-Theaterstück! ????????
renate meint
Lieben Dank und herzliche Grüße aus der Redaktion, Renate