In einem Café namens „Rebecca“ am Kendall Square zeigte Nancy Hopkins ihrer Freundin Mary-Lou Pardue im Jahr 1994 einen ungewöhnlichen Brief. Er beschrieb die ungleichen Arbeitsbedingungen von Frauen und Männern am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den 90er Jahren. Frauen und Wissenschaft – ein Konflikt, der viele beeinflusste und noch heute berührt, aber den vor Nancy Hopkins kaum jemand so öffentlich zum Thema gemacht hat.
Eine Frau, ein Maßband
Alles begann, als Nancy Hopkins (geboren 1943 in New York), nach abgeschlossener Ausbildung als Biologin und angesehenes Mitglied des MIT, sich zum ersten Mal fragte: „Warum ist mein Labor eigentlich kleiner als das der anderen?“. Auch wenn es ihr verrückt, gar unmöglich erschien, blieb sie abends länger da und begann, die Fläche zu berechnen. Ihre Messungen ergaben, dass ihr Labor mit rund 140 Quadratmetern deutlich kleiner war als das ihrer männlichen Kollegen, die im Durchschnitt 185 Quadratmeter vorweisen konnten – mehr noch, wenn sie eine Professorenstelle hatten. Doch auch wenn die geringere Arbeitsfläche ein eindeutiges Hindernis war, da es Platz zum Forschen braucht, blieb dies nicht lange das einzige Problem, das sich vor Nancy Hopkins auftat.
Das war doch eigentlich meine Idee…
Nicht nur hatten Frauen am MIT anscheinend weniger Platz zum Arbeiten, sie hatten außerdem ihre Schwierigkeiten, Anerkennung für diese Arbeit zu erlangen. Es schien, dass sich die Ergebnisse der Frauen einfach in den Veröffentlichungen ihrer männlichen Kollegen einschlichen:
„Ich fing an, meine Ergebnisse zu veröffentlichen, doch ich hatte Schwierigkeiten, die Anerkennung dafür zu bekommen. Jedem in den Wissenschaften geht das so, jeder denkt, dass seine Arbeit nicht gewürdigt wird, jeder empfindet das so – aber ich dachte mir ‘nein, das hier ist etwas anderes’. Aber das konnte ich niemandem sagen, denn wer hätte mir schon geglaubt? Niemand.“ (Nancy Hopkins, Picture a Scientist- Dokumentation)
Bekannt als Matilda-Effekt ist die Zuschreibung von Forschung, die von Frauen durchgeführt wurde, aber von Männern veröffentlicht wird, auch heute noch aktuell. Anstatt das Problem direkt anzugehen beschloss Nancy Hopkins damals, sich mit anderen Wissenschaftlerinnen am MIT zu verbünden – und musste zunächst einmal feststellen, dass es neben ihr selbst erstaunlich wenige Frauen dort gab.
Bin ich eigentlich ganz alleine hier?
Zwar waren Mitte der 90er Jahre 197 Männer am MIT beschäftigt, aber nur 15 Frauen. Das entspricht nicht ganz acht Prozent der Forscher*innen. Auch die Fördersummen, die diese Frauen für ihre Arbeit erhielten, waren bedeutend kleiner als die ihrer männlichen Kollegen. Die Situation von Frauen in den Wissenschaften, die zumindest heutzutage mehr beachtet wird, war in den Neunzigern zwar schlecht – aber angesprochen hätte das vor Nancy Hopkins niemand.
„Es ist schwer, sich heute daran zu erinnern, wie radikal der Bericht damals war. Wenn ich ihn jetzt wieder lese denke ich nur, ‘was ist schon so radikal daran?’“ (Nancy Hokins in einem Interview mit Raleigh McElvery, Übersetzung der Autorin)
Die Rede ist natürlich von dem berühmten Bericht über die Situation von Frauen am MIT, den Nancy Hopkins im Jahr 1999 zusammen mit ihren Mitstreiter*innen veröffentlichte. Er schlug große Wellen und machte dabei deutlich, dass Gender-Diskriminierung nicht nur Frauen am MIT betrifft – sondern Frauen in den Wissenschaften überall. Dabei wurden zwei Arten der Voreingenommenheit besonders hervorgehoben. Auf der einen Seite zeigte der Bericht die Nachteile eines Systems, das darauf ausgelegt ist, dass Männer arbeiten gehen und Frauen mit den Kindern zuhause bleiben. Und auf der anderen Seite offenbarte er die ganz alltäglichen Vorurteile, die Frauen ebenfalls Zuhause verorten – und nicht auf den Hochglanzseiten eines wissenschaftlichen Magazins.
Nicht darüber nachdenken – oder eben doch
Das Problem mit den Vorurteilen und Geschlechterrollen ist, dass sich auch heute noch ein Großteil davon unterbewusst abspielt. Psychologische Studien zeigen, dass selbst Wissenschaftler*innen länger brauchen, um weibliche Begriffe mit Karriere- anstatt Haushaltsworten zu verbinden.
“Sich zu weigern, diese unterbewussten Vorurteile heutzutage anzuerkennen ist wie sich zu weigern, die Erde als rund anzuerkennen“ (Übersetzung der Autorin),
sagt Nancy Hopkins im Interview selbst. Zwar hat sich (nicht zuletzt dank Nancy Hopkins) die Situation von Frauen in den Wissenschaften deutlich verbessert, aber es gibt immer noch viel zu tun. Die Wissenschaftlerin selbst plädiert daher für Aufmerksamkeit – auch heute noch. Mit der „Picture a Scientist“-Dokumentation beschreiben Nancy Hopkins und andere Wissenschaftlerinnen ihre Erfahrungen, ihre Schwierigkeiten, und ihre Hoffnungen für die Zukunft. Was sie sich dabei wünschen ist einfach – dass jede*r, die/der Wissenschaftler*in sein möchte, dies auch werden kann. Schließlich ist das nicht nur fair allen Beteiligten gegenüber. Es ist auch der beste Weg, die Wissenschaft selbst immer weiter voranzutreiben.
Cora Övermann
Jana meint
Super spannender Artikel.
War selbst im Themenbereich Frauen und Wissenschaft nicht so drin. Aber ist erschreckend woran man die Benachteiligung schon unterschwellig sieht.
Gerne mehr zu diesem Thema!