Sexualkundeunterricht in der Schule. Wisst ihr noch, wie es war? Ein bisschen kannten wir uns schon vorher aus. Von älteren Geschwistern, aus dem Fernsehen, vom Hörensagen. Unser*e Lehrer*in hat dann unsere Wissensbruchstücke zusammengefügt und durch Unbekanntes ergänzt. Nach ein paar Stunden wussten wir bestens Bescheid. Immerhin konnten wir jetzt ein Kondom über einen Holzpenis ziehen oder einen Tampon in einen weiblichen Kunststofftorso einführen. Rückblickend hatten wir natürlich noch längst nicht alles verstanden. Gerade ein essentieller Teil der weiblichen Sexualität wurde im wahrsten Sinne des Wortes klein gehalten: Die Klitoris. Anscheinend ein internationales Phänomen. Denn nun hat es sich die französische Wissenschaftlerin Odile Fillod zum Ziel gemacht, dem weit verbreiteten Irrglauben ein Ende zu setzen, dass die Klitoris nur das etwa erbsengroße Gebilde ist, das von ihr zu sehen ist. Sie entwickelte 2016 das weltweit erste anatomisch korrekte Klitoris-Modell in 3D, das die Bedeutung aller weiblicher Geschlechtsorgane konkret erklären soll.
Unabhängige Forscherin für Genderfragen
Nach einem Studium der Ingenieurwissenschaften, Kognitionswissenschaften und Soziologie, arbeitete Odile Fillod zunächst als Angestellte einer Informationsfirma und Unternehmensberaterin einer Bank. Ihre Ersparnisse aus dieser Zeit ermöglichen es ihr, heute als unabhängige Wissenschaftlerin für Wissenschaftssoziologie und Populärwissenschaft frei zu forschen. Auch das Klitoris-Modell, das seit Mai 2016 auf Carrefour numérique zum kostenlosen Download zur Verfügung steht, hat sie eigenständig finanziert. Die Idee zu diesem Modell rührt von Fillods Spezialisierung auf Genderthemen. Auf ihrem Blog Allodoxia beschäftigt sie sich seit Jahren sowohl mit den sexistisch verzerrten Darstellungen von Sexualität in französischen Schulbüchern und Fachzeitschriften, als auch mit den von Medien leichtfertig reproduzierten Geschlechterklischees.
Dabei fiel ihr auf, dass sich gerade um die Klitoris viele solcher Mythen und Falschinformationen ranken. Bis heute meinen viele, die von ihr reden, ihren sichtbaren Teil am oberen Ende der inneren Schamlippen. Das ist die Klitoriseichel. Sie macht nur ein kleines Detail des komplexen Gewebes von Nervenzellen und Schwellkörpern aus, das die Klitoris bildet. Tatsächlich ist dieses weibliche Geschlechtsorgan nämlich viel größer. Der Hauptteil, ein ungefähr zehn Zentimeter langes umgedrehtes V mit einem Haken an der Spitze und zwei sackartigen Beinen in der Mitte, liegt im Inneren des Körpers. Trotzdem wird die Klitoris beständig auf den Teil reduziert, den man von ihr sieht. Im Internet und gerade auch in Schulbüchern wird er fälschlicherweise als die ganze Klitoris gekennzeichnet – oder gar nicht erst erwähnt. Daher hofft Odile Fillod darauf, dass ihr Modell ein besseres Verständnis für den weiblichen Körper ermöglicht.
„Denn ohne dieses Organ kann man die weibliche Sexualität nicht verstehen,“ so unsere Frau der Woche in einem Interview mit Deine Korrespondentin.
Kein Tabu, sondern Schlüssel zur Selbstbestimmung
Gerade der Aufklärungsunterricht ist allerdings stark fokussiert auf die männliche Sexualität. Mit der Folge, dass Mädchen unaufgeklärt über ihren eigenen Körper bleiben. Aus diesem Grund entwickelte die Forscherin das Modell vor allem zu Aufklärungszwecken an französischen Schulen. Es soll den Lehrkräften ermöglichen, ihren Schüler*innen von Anfang an ein besseres Bild der weiblichen Anatomie und insbesondere ihrer Sexualorgane zu vermitteln. Das schließt die Klitoris mit ein, auch wenn sie im Gegensatz zu den männlichen Geschlechtsorganen, sowie der Scheide und Gebärmutter, keine direkte Funktion bei der Fortpflanzung hat, sondern ausschließlich der Steigerung der weiblichen Lust dient. Wenngleich dies wohl die Ursache ist, warum sie für lange Zeit in der Sexualerziehung tabuisiert und ignoriert wurde.
„Es ist auch wesentlich zu wissen, dass das weibliche Äquivalent zum Penis nicht die Scheide, sondern die Klitoris ist. Frauen bekommen auch eine Erektion, wenn sie erregt sind, man sieht es nur nicht, weil der Großteil der Klitoris im Körper liegt,“ erklärt Fillod dem Guardian.
Deswegen ist ihr Modell nicht nur für den Gebrauch an Schulen relevant. Sondern für Frauen* und Männer* jeden Alters von Bedeutung. Die 3D-Klitoris verdeutliche, dass die Geschlechter auch auf körperlicher Ebene nicht so verschieden seien, wie man bisher annahm. Mit dieser Einsicht könnte man vielleicht endlich aufräumen mit dem Gerücht, dass die sexuelle Befriedigung der Frau ein nur schwer zu lüftendes Rätsel sei. Frauen, die wüssten, wie die Klitoris aufgebaut ist und wie sie funktioniert, würden schnell und einfach einen Orgasmus bekommen können. Egal ob alleine oder beim Geschlechtsverkehr. Die Wissenschaftlerin hofft darauf, so die mit Sexualität in Verbindung stehende Scham beseitigen zu können und Frauen ein selbstbestimmteres Sexualleben zu ermöglichen. Kein Wunder also, dass Odile Fillod mit ihrem Modell nicht nur in Frankreich große Aufmerksamkeit erregt hat und die 3D-Klitoris das bis jetzt beliebteste Objekt der Carrefour numérique ist.
Victoria Kräwinkel
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