Düstere Beats, politische Haltung und viel Gefühl – die neue Folge von „Von Boom bis Z“ taucht ein in die schwarze Szene. Es geht um mehr als nur Musik: Was bedeutet Gothic heute? Wo verläuft die Grenze zwischen Subkultur, Kommerz und Haltung? Und: Was hat Gothic mit Feminismus zu tun?

Wir haben mit Anna und Hannah aus Bremen gesprochen. Anna gehört der Band MONO/XYD an und Hannah legt Gothic-Musik auf.
Was ist überhaupt „Gothic“?
Schon zu Beginn wird deutlich: Die Frage nach der Genre-Zuordnung ist alles andere als eindeutig. Während „Darkwave“ oder „Synthiepop“ für manche verständliche Begriffe sind, greifen viele lieber auf den Begriff „Gothic“ zurück. „Wenn ich sage, das ist Darkwave […] können eher wenige so richtig was anfangen […], und wenn ich sage „Gothic“, dann hat man direkt eine Assoziation“, so die Erfahrung von Anna.
Obwohl Gothic sehr breit gefächert ist durch viele Subgenres, wissen viele nur wenig über die Begrifflichkeiten. Hannah erklärt es ganz einfach: „In den 70ern waren es die Waver. […] Man sagt eigentlich die schwarze Szene.“
Zwischen Safe Space und Sichtbarkeit
Schnell wird klar: Gothic ist mehr als Musik. Es ist ein Lebensgefühl. Ein Ort für Menschen, die anders denken, fühlen oder tanzen.
Ein zentrales Thema der Folge ist der Schutzraumcharakter der Szene – vor allem im Vergleich zu anderen Partykontexten. Anna beschreibt:
„Immer wenn ich auf Gothic-Partys bin, hab ich selten so ein Freiheitsgefühl. Wenn ich tanze, wie ich mich anziehe – ich kann einfach sein, habe ich das Gefühl. Ich kann mich einfach sicher fühlen.“
Aber auch der politische Aspekt kommt nicht zu kurz. Die Szene war und ist ein Rückzugsort – für queere Menschen, für Frauen, für alle, die sich abseits patriarchaler Normen bewegen wollen. Dabei wird auch kritisch reflektiert: Warum dominieren trotzdem Männerbands das Line-Up? Wo bleiben feministische Grufti-Bands? Und: Was braucht es, damit mehr FLINTA*-Personen in der Szene sichtbar werden?
Hannah sagt dazu: „Für mich ist die schwarze Szene die queere Szene schlechthin gewesen. Als ich in den 90ern das erste Mal heimlich weggegangen bin, war ich überrascht, dass Frauen sich aufreizend anziehen konnten, wie sie wollten – unbelästigt.“

Feministische Erfahrungen in Texten und Tönen
Die Auseinandersetzung mit eigenen Erfahrungen ist oft auch Thema in den Texten: „Daraus ist dann auch wirklich irgendwann dieser Anspruch entstanden: Okay, das sind alles Erfahrungen, die haben entfernt auf jeden Fall mit patriarchalen Strukturen zu tun. Die haben mit der Rolle der Frau zu tun in unserer Gesellschaft. Die haben mit Unterdrückung zu tun, mit Klassenkampf auch irgendwo. Und da hat sich zum Glück ein Anspruch herausgestellt: Okay, wir wollen das wirklich rüberbringen – dass uns das wichtig ist und dass auch Platz in dieser Szene dafür sein muss, dass man das anspricht.“ (Anna).
Ihre Texte seien Ausdruck davon – und gleichzeitig ein Versuch, sich Raum zu nehmen. Hannah ergänzt: „Es geht viel um Schwarz, um Ausloten von Abgründen – in psychischer Sicht: Leben, Tod, Gewalt. Wozu ist der Mensch in der Lage? Wer bin ich als Individuum in der Gesellschaft?“
Dennoch sehen beide noch mehr Luft nach oben für feministische Bands, denn die Szene ist und soll ein „Auffangbecken“ auch für Menschen mit Diskriminierungs- oder Gewalterfahrungen sein.
Gothic als Raum für Widerspruch und Widerstand
Am Ende bleibt das Bild einer Szene, die gleichermaßen Schutzraum und Spiegel gesellschaftlicher Konflikte ist. Die Gesprächsrunde ist sich einig: Gothic war und ist ein Ort für das Ausloten von Ambivalenzen. Für Individualität, für Queerness, für Abgründiges – aber eben auch für Auseinandersetzung mit den eigenen Grenzen.
„Eigentlich bietet die Szene Raum, um das alles auszuloten und da keine Grenzen zu machen oder sich selbst irgendwelche Hürden in den Weg zu legen. Wenn du irgendwo Tabubrüche machen kannst, dann in der schwarzen Szene – und das war auch immer so.“
Reinhören lohnt sich – die ganze Folge „Von Boom bis Z“ gibt’s jetzt überall, wo es Podcasts gibt!
Paulina L.
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