An dieser Stelle findet ihr regelmäßig unsere Gastbeiträge. Das sind Texte, die wir von anderen Blogs – natürlich in Absprache und mit Genehmigung der jeweiligen Bloggerin – als Kopie bei uns veröffentlichen. In der Überschrift und am Ende eines solchen Gastbeitrags findet ihr immer den Hinweis auf den Ursprung des Textes.
Gedanken zur Nacht: Warum werden Frauen keine Ingenieurinnen? Etwas Wut im Bauch:
Nicht nur in eigener Sache:
Nachdem ich mich seit Jahren mit der Frage der gesellschaftlichen Veränderungen unter dem Stichwort Postwachstumsphase, Digitalisierung und Veränderungen von Wirtschaft und Arbeit auseinandersetze, kommen langsam verschüttete Erinnerungen hoch:
In der 5. und 6. Klasse war ich mit die Beste in Chemie, stand zu Hause mit dem Chemiebaukasten auf einer nicht versiegelten Asbestplatte (das hat damals niemanden interessiert) und mir war klar: ich will Chemikerin werden. Dieses Selbstverständnis ist mit zunehmender Pubertät und Zurechtweisen in normale gesellschaftliche Verhältnisse abhanden gekommen. Aber auch mit zunehmender politscher Aktivität. Auch wenn die Analysen von uns oder mir persönlich oft geschätzt wurden, waren die Rollen der Frauen in den Siebzigern und Achtzigern oft auf die organisationspolitischen Aspekte reduziert. Wollte man als Frau Gehör finden, hat man beides angenommen: praktisch neben Arbeit, Reproduktion, Carearbeit und politischer Carearbeit auch in politischen Zusammenhängen eine klassische, und in dem Sinne, vierfache Arbeitsrolle.
Mit 19 Jahren habe ich dann angefangen zu studieren, ohne Überzeugung. Eigentlich wollte ich Journalistin oder Druckerin werden, beides ging nicht, ohne mich von meinem Elternhaus freizustrampeln. Meine Eltern (eine Nichtakademikerfamilie) wollten übrigens, dass endlich mal eine Frau studiert, beide hatten nie begriffen, dass ich das nicht wollte. Weil es eben nicht reicht, zumindest nicht in einem Land, was sehr von Dünkel geprägt ist, etwas zu wollen. Sondern dass man da auch ein soziokulturelles Umfeld braucht, was den Willen befördert. Bis heute hat übrigens keine Frau in meiner Familie jemals studiert, obgleich wir alle immer die besseren Schulabschlüsse hatten. Auch das ist ein Teil des gesellschaftlichen Problems.
Obwohl schlecht in Mathe in der Oberstufe, war ich komplett geflasht von Statistik. Ausgerechnet. Und habe mich dann 1985 ins Rechenzentrum im MZH der Uni vergraben und angefangen zu programmieren. Und bin total weg gebeamt gewesen. Ich habe damals überlegt, auf Informatik umzusatteln, bis mir eine Situation klar gemacht hat, dass das nicht geht: außer mir waren da nur Jungens und alle haben nur darauf gewartet, dass ich nicht mehr weiter weiß und auf den helfenden Reiter warte. Ich habe davon abgesehen, das Studienfach zu wechseln. Tatsächlich hat nur eine Freundin ab 1977 Informatik studiert, war damals komplett isoliert und hat nach ihrem Abschluss Mitte der Achtziger nie in diesem Beruf gearbeitet.
Warum schreibe ich dies: Mir ist gerade in den letzten Monaten noch mal deutlich geworden, wie stock konservativ Deutschland ist, und wie wenig sich geändert hat. Mitte Oktober war ich in Washington beim IAC (ist ein echt fettes Event, wenn es um Raumfahrt geht, eigentlich kaum zu toppen). Ich habe eine Menge Frauen getroffen, Ingenieurinnen. Keine war tätig in Entwicklung und Anwendung, alle eher in Marketing, Organisation oder in dem firmenpolitischen „sozialen Gedöns“.
Warum ich das gerade so flapsig und unsenaotarbel schreibe: ich habe mit den verschütteten persönlichen Erinnerungen gerade eine Unmenge Wut im Bauch, weil sich insbesondere in Deutschland seit 40 Jahren nichts getan hat.
Und versteht mich nicht falsch: jeden Umweg, den ich in meinem Leben gegangen bin, oder den ich gehen musste, habe ich nicht bereut. Mir hat nie jemand was geschenkt, aber ich habe mich aus jeder Situation rausbewegt. Das hat Kraft gekostet. So what, ich bin immer weiter gegangen, auch ohne Unterstützung. Stillstand ist tödlich, dann lieber mal ein Scheitern in Kauf nehmen.
Aber was mich ärgert: Es gibt in Deutschland einfach bis heute kein Verständnis dafür, dass Frauen eine andere Rolle einnehmen, als immer dreifach verantwortlich zu sein, für die normale „Mehrwertabschöpfung“. Aber niemals mit einer Selbstverständlichkeit in Produktion, Entwicklung und Forschung auftauchen. Mich nervt es einfach seit 40 Jahren, dass Frauen dann doch irgendwann wieder Sozialarbeiterinnen werden. Und um diese Frage mal zu stellen: warum werden eigentlich so wenig Männer Sozialarbeiter? Die Antwort ist auch klar: es wäre gesellschaftlich notwendig, ist aber schlecht bezahlt. Und es gibt bis heute kein Verständnis dafür, dass Frauen nicht mehr mehrfach zur im wirtschaftlichen Sinne Wertschöpfung beitragen, davon in zwei Bereichen immer unbezahlt: in der Reproduktion und in der darüber hinausgehenden Care-Arbeit. Wenn sich das nicht ändert, dann wird es irgendwann in vieler Hinsicht schwierig, dann brauchen wir übrigens auch nicht mehr über Wettbewerbsfähigkeit reden, dann geht es darum: wo steht unsere Gesellschaft in 20 oder 15 Jahren?
Never surrender!
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