Wütend werden? Das klingt erstmal negativ. Doch je länger wir darüber nachdenken, desto mehr ist das Ansichtssache.
Alexandra Zykunov findet in ihrer Wut eine gute Freundin. Vor allem im Kampf gegen das Patriachat. „Sie ist […] ein u n z e r s t ö r b a r e r Drang nach Veränderung. Sie ist ein Ventil.“ Das schreibt sie in ihrem Sachbuch „Was wollt ihr denn noch alles?!“ und veröffentlicht es im November 2023 beim Ullstein-Verlag. Das ist schon das zweite Werk der SPIEGEL-Beststeller Autorin. Im Februar 2022 machte das Buch „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt!“ den Anfang und stand sechs Wochen lang auf der SPIEGEL-Bestseller Liste. Und die Wut? Die ist immer dabei! Eine treibende Kraft in ihren Texten, Seite an Seite mit einer guten Portion Witz.
„Zahlen, Fakten und Absurditäten über unsere ach-so-tolle Gleichberechtigung“. Alexandra Zykunov nimmt uns mit auf eine Reise durch Recherchen, Erfahrungen und unbekannte Fakten, die immer wieder vor allem eines tun: Wütend machen!
Ein Vorgeschmack und motivierende Wut zu Jahresanfang, sozusagen ein 5-Fakten-Kraftpaket für den Kampf gegen das Patriarchat, haben wir für euch zusammengestellt.
1. Vorstandsvorsitz
Die Allbright Stiftung in Stockholm und die zugehörige Schwesternstiftung in Berlin setzen sich für mehr Frauen und Diversität in Führungspositionen in der Wirtschaft ein. Dafür braucht es einen Überblick über die Lage. Deshalb veröffentlich die Non-Profit Organisation jedes Jahr die Zahlen von Frauen in börsennotierten Unternehmen. Alexandra Zykunov hat nachgezählt. Ihr geht es aber nicht um das Verhältnis von Männer-besetzten Stellen zu Stellen, in denen Frauen arbeiten – sie hat Thomasse gezählt. In den größten börsennotierten Unternehmen gibt es seit Jahren mehr Vorstandsvorsitzende mit dem Namen Thomas als Frauen insgesamt. Aber es zeigt sich eine Veränderung. Nur ist es keine Veränderung hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit. Im September lassen sich lediglich modernere Namen nachzählen. Christian löst Thomas ab. Mit wenigen Worten äußert Alexandra Zykunov ihre Gedanken zu dem Thema: „Kein Witz!“
2. Gläserne Klippe
Die gläserne Klippe, eine gute Freundin der gläsernen Decke, wird von Alexandra Zykunov treffend beschrieben: “ […] – dass Frauen zu 50 Prozent häufiger in Vorstände geholt werden, wenn das Unternehmen eh am Abgrund steht […]“ Das macht ihre Chance zu scheitern deutlich höher.
Kein Wunder, dass Alexandra Zykunov dem „Gender Confidence Gap und seine[n] vielen Kumpels“ über zwanzig Seiten einräumt. Frauen tendieren dazu, sich nur dann auf eine höhere Position zu bewerben, wenn sie zu 100 Prozent den Anforderungen entsprechen. Männer bewerben sich auf entsprechende Stellen auch, wenn sie nur 60 Prozent der Anforderungen erfüllen. Wie die Unterschiede im Selbstvertrauen zustanden kommen? Alexandra Zykunov nennt Beispiele aus Unterricht, Kinderserien und Büchern, die Jungen und Mädchen von klein auf beeinflussen.
3. Guter alter Algorithmus
Es ist nichts neues, dass unsere Welt wird immer digitaler wird und unsere Algorithmen immer klüger. Nur lernen diese Computerprogramme mit den selben Klischees mit denen auch wir aufwachsen. Alexandra Zykunov macht das an einem Beispiel von AlgorithmWatch deutlich. Die Menschenrechtsorganisation setzt sich dafür ein, dass Algorithmen und künstliche Intelligenz Gerechtigkeit, Demokratie und Nachhaltigkeit stärken. 2020 schrieb AlgorithmWatch fiktive Stellenbeschreibungen aus, verlinkte sie zu einer Jobplattform und ließ sie auf Facebook anzeigen. Der Algorithmus machte sich an die Arbeit und Alexandra Zykunov schreibt:
„Der Lkw-Job wurde an sage und schreibe 4864 Männer ausgespielt aber nur an 386 Frauen. […] Den Erzieher*innen-Job hingegen bekamen – oh Überraschung – nur 258 Männer zu sehen, dafür aber 6456 Frauen.“
4. „In Teilzeit“ arbeiten
„Er arbeitet Vollzeit. Sie arbeitet Teilzeit, kümmert sich um Kinder und Haushalt.“ Das ist das allzu bekannte Modell in vielen heterosexuellen Beziehungen. Alexandra Zykunov wird nicht müde, es immer wieder zu erwähnen und aufzuzeigen, was daran alles verkehrt ist. Ein ganzes Kapitel widmet sie dabei der „[…] Vermessung des Gender Care Gaps“ und schon am Anfang dieses Kapitels gibt es Gelegenheit wütend zu werden.
Frauen und Mädchen weltweit arbeiten täglich zwölf Milliarden Stunden unbezahlter Care-Arbeit. Care-Arbeit, das Pflegen, Sorgen, Hausarbeiten und Organisieren, das in der deutschen Gesellschaft nicht als Arbeit anerkannt wird. Alexandra Zykunov bezieht sich auf die Berichte der globalen Organisation Oxfam und schreibt:
„Würde man diese Stunden wenigstens mit einem Mindestlohn bezahlen, entspräche das dem 24-fachen Umsatz von Apple, Facebook und Google im Jahr 2018 – und zwar zusammen!“
5. Auf den OP-Tischen
Der Alltag kann bekanntlich gefährlicher sein als man es erwartet, und das für Frauen ganz besonders. Zum Beispiel weil Crash Test Dummies ausschließlich auf dem männlichen Körperbau basieren. Aber da hört Alexandra Zykunov nicht auf. Sie schreibt über den Gender Pain Gap, Gynäkologie und Wartezeiten für Diagnosen. Bis sie bei dem Fakt ankommt, der auch schon im Klappentext Aufmerksamkeit auf sich zieht:
„Frauen haben ein 32 Prozent höheres Risiko zu sterben, wenn sie von einem männlichen Chirurgen operiert werden.“
Und damit nicht genug. Frauen sind einem 15 Prozent höheren Risiko ausgesetzt, dass Operationen mit einer erneuten Klinikeinweisung oder Komplikationen einhergehen, wenn sie von Männern durchgeführt werden. Das fand eine kanadische Studie von 2021 heraus, die zwischen 2007 und 2019 mehr als 1,3 Millionen Patient*innenfälle* untersuchte.
Das bedeutet nicht, dass Alexandra Zykunov den Chirurgen eine schlechte Absicht unterstellt. Sie nimmt sich für das Wort „u n t e r b e w u s s t […]“ besonders viel Platz und verweist auf die fehlenden Informationen über die weibliche Anatomie.
Von Fakten dieser Art hat Alexandra Zykunov noch viele mehr in ihrem Buch „Was wollt ihr denn noch alles?!“ zusammengetragen. Damit ist es ein kleines Bootcamp für feministische Diskussionen in Stammtisch-Manier. Mit verständlichen Begriffserklärungen und Einleitungen machte Alexandra Zykunov ihr Buch unabhängig von Vorkenntnissen für alle zugänglich, die einen Blick auf unsere „ach-so-tolle Gleichberechtigung“ werfen wollen. Sie beantwortet die Frage, die groß auf dem Buchdeckel steht, laut. Sie schreit es in Großbuchstaben in die Welt hinaus und lässt alle, die möchten, Teil haben mit den Worten:
„Bock ganz ohne feministische Vorkenntnisse das Patriachat anzuzünden? Ja? Ich auch.“
Hannah K.
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