Medea. Wer sich ein wenig mit griechischer Mythologie auskennt, hat zumindest schon mal ihren Namen gehört, zieht vielleicht auch schon einige Zusammenhänge. So war meine erste Assoziation: ist das die, die ihre eigenen Kinder aus Rache umbringt? Ganz so daneben war ich damit nicht, denn die Figur der Halbgöttin hat tatsächlich ein leichtes Fable für das Zerstückeln.
Das Bild, das von Medea meist vermittelt wird, ist nämlich nicht allzu schön: eine böse Zauberin, die Irre, die Wahnsinnige, die Rächerin. Doch zuallererst ist Medea eine Frau, die mit der ihr gebotenen Situation umgeht, umgehen muss.
Wer ist Medea?
Für alle Kulturbanausen: Medea ist eine magie-begabte Figur aus der griechischen Mythologie. Ihren Auftritt macht sie in den Sagen des Jason, einem Halbgott. Jason hat die Aufgabe bekommen, das goldene Vlies aus Kolchis zu klauen und dem König von Iolkos, Pelias, zu bringen. Medea ist die Tochter des Königs von Kolchis. Die beiden verlieben sich ineinander und Medea verrät ihre Familie und ihr Land, um ihrem Geliebten bei der Aufgabe zu helfen. Die beiden heiraten und bekommen Kinder. Doch dieses scheinbare Happy End ist natürlich nicht das wahre Ende des Eposes. Euripides legte in seinem Text einen besonderen Schwerpunkt auf die darauffolgende Geschichte: Jason, der Medea durch eine neue ersetzt und Medea, die aus Korinth, ihrer neuen Heimat, verbannt wird. Auf einmal ist die Zauberin alleine, wurzellos ohne Heimat und Freunde – es gibt keine Bezugspunkte mehr.
Große Frauen und Männer bringen Geschichte mit sich, die interpretiert werden kann, darf und insbesondere am Theater auch interpretiert werden soll. Die Bremer Shakespeare Company hat sich an die Medea Version des Euripides gemacht.
Petra-Janina Schulz, seit 2015 als Regisseurin und Darstellerin an der Bremer Shakespeare Company tätig, hat sich an die große Frau gewagt und eine neue Interpretation der Geschichte gewagt.
Corona- das größte Hindernis des Theaters?
Die großen Katastrophen der Corona Zeit sind für die Bremer Shakespeare Company durch die Unterstützung der Stadt Bremen ausgeblieben. Das Ensemble konnte bleiben, das Haus musste nicht verlassen werden, “nur” mit dem ‚nicht-arbeiten-dürfen‘ musste umgegangen werden. Als die Beschränkungen der Corona Zeit endlich aufgehoben werden konnten, ergab sich eine neue Thematik, mit der niemand gerechnet hatte: das Haus blieb leer. Es war anscheinend noch zu früh, dass man das Haus für Kulturgenuss verlies. Der Umfang der Verhaltensweisen, die wir uns selbst während Corona beigebracht haben, ist uns nicht sofort bewusst.
„…Niemand kam und wollte Theater gucken, die Leute hatten alle andere Themen, was total verständlich war. Man fiel auf sich zurück und fragte: warum machen wir das? Wir wollen doch was bewegen, wir wollen zu den Menschen. Volkstheater im besten Sinne machen.“
„Every Man Must Play A Part“
Eine Idee musste her: Es galt die Distanz zwischen den Bremer*innen und “ihrer” Shakespeare Company zu verringern, den Bürger*innen wieder näher zu kommen, Kultur als Erlebnis wieder in den allgemeinen Fokus zu rücken.
Entsprechend “EVERY MAN MUST PLAY A PART” wuchs der Gedanke, Besucher*innen in das Bühnengeschehen zu integrieren in Petra-Janina Schultz. Wenn in Medea der Chor die Stimme der Bürger*innen von Korinth ist, warum nicht einen Chor aus Bremer Stimmen gründen?
„Wir müssen uns mal ein bisschen Mühe geben und raus gehen – und dann hab ich diesen Chor gegründet. Wir machen uns jetzt auf und öffnen unser Theater für Laien! Und dann wuchs die Idee das zusammenzubringen: wir machen den Chor in Medea mit diesen zusammengewachsenen Amateurinnen, die ja auch eine Menge in unsere Arbeit einbringen.“
Durch die Idee des Chores können auch geschickt viele Hintergrundinformationen über die antike griechische Welt einbringen, die einem vielleicht nicht allzu bekannt sind.
Und sie kamen, die Menschen, die gerne in einem Stück mitspielen, gestalten, Theaterluft schnuppern und das offene Haus wurde begeistert betreten. Die Idee des Chores ist nicht nur perfekt um die Bremer in das Theater wieder zu integrieren, sondern auch eine clevere Idee um elegant Hintergrundinformationen über die griechisch-antike Welt zuvermitteln. Diese sind wichtig für den Zusammenhang der Geschichte und der Beziehungen der Figuren, aber nicht jedermann bekannt aufgrund des Alters der Geschichte.
Entsprechend dieser neuen Umgangsweise mit der „Vorlage“ nach Euripides veränderte sich das Stück: die Bremer*innen kamen nicht nur als Darsteller*innen: sie hatten auch einiges im Gepäck, das in die Neuinterpretation des Stückes mit einfloss, um die Größe dieses Mythos zu erweitern. Der Sprung in unsere Zeit gelang, das Anliegen, Parallelen erkennbar werden zu lassen wird unterstrichen.
Interview mit der Regisseurin von ‚Medea‘
Janina Schultzes neues Modell der Theaterarbeit öffnet Türen, die bei der Lektüre des Stückes erahnbar werden, aber durch den Anspruch der Regisseurin auch unterstrichen werden:
Frauenseiten: „Es ist ja auch ein so neues Modell, dass du in einer ganz anderen Situation bist, mit dem Text umzugehen“
Janina Schultz: „Ja genau! Und für mich ist Creon ein Vertreter, einer Art von Politik, die von einem rechten Flügel betrieben wird, wo ich nicht verstehe: warum gibt es da keinen Aufschrei? Warum wird da nicht anders reagiert. Was wird da wieder gesagt? Wie wird da Politik gemacht? Mit welchen Mitteln wird Politik gemacht?“
Frauenseiten: „Was ist Politik? Diese Gestaltung der Gesellschaft…“
Petra-Janina Schultz: „…Aktuell ist es der Versuch Konflikte tatsächlich auf ein sehr sehr einfaches verständliches Maß zu bringen, wo man Meinung machen kann und Menschen plötzlich bewegen kann für Dinge, die mir Angst machen.“
Unsere ersten Eindrücke
Wir waren 4 Wochen vor der Premiere bei der ersten öffentlichen Probe des Stückes im Publikum vertreten. Innerhalb von eineinhalb Stunden wurden die Zuschauer in die Welt des Theater und der griechischen Mythologie gezogen. Mit viel Lockerheit, dem Lachen für kleine Fehler und ein großes Gemeinschaftsgefühl der Besetzung wurde jede*r in den Charme der Bremer Shakespeare Company gezogen. Auch das Bühnenbild ist tief durchdacht und gibt Informationen über die Charaktere und deren Rollen in der Geschichte, auf welcher Seite sie stehen.
Mit Rückfragen zu den Zuschauern über Verständlichkeitsfragen konnte man regelrecht dabei zuschauen wie das Stück sich weiterentwickelte, wie Theater unter Petra-Janina Schultz und ihrer Crew abläuft. Auf das Endergebnis freuen wir uns schon ungemein. (Alle Termine zu dem Stück befinden sich auch nochmal am Ende des Artikels)
Medea, ein Theaterstück für jeden
Die Regisseurin legte einen großen Wert auf die Liebesgeschichte in ‚Medea’. Medea trifft Jason, einen Halbgott, und bringt riesige Opfer um ihn aus Liebe zu helfen. Sie gibt sich ihm hin, nur um dann von ihm verlassen zu werden. Es wird deutlich, in welchem Umfang diese Beziehung Politik gestaltet oder durch politische Mechanismen ihren Charakter erst finden muss oder überhaupt finden kann.
Medea ist in dieser Aufführung weder das Opfer, noch die Macherin: sie ist im Leben, sie geht sowohl mit der Last ihrer Vergangenheit um, als auch mit der individuellen Kraft die in ihr als Frau lebt. Besonders überraschend ist, wie nah uns die Vergangenheit doch eigentlich ist.
„…Wenn ich so zurückwandere in der Zeit: alles ist zutiefst menschlich!“
Medea ist die Frau, der wir auch heute noch begegnen können.
Fazit
Ob man nun ein großer Fan von griechischer Mythologie ist oder nicht, ist bei diesem Theaterstück nicht relevant. Das spannende an den antiken Erzählungen ist, dass sie thematisch sehr zeitlos sind. Wer dieses Stück ab tut weil es zu historisch, zu altbacken ist begeht einen großen Fehler. Medea thematisiert höchst moderne Themen, was so einige überraschen könnte. Es ist spannend zusehen, wie sich bereits die antiken Griechen mit Themen beschäftigt haben, die noch heute in unserer Gesellschaft verankert sind.
Kommende Termine:
Premiere: Samstag, 04. November 2023, 19.30, Theater am Leibnizplatz
Lille, Vivi
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