Im Sommerloch erreichte uns die Nachricht: Die FDP Bremen will den Schulen und der Verwaltung im Land Bremen das Gendern verbieten lassen, beziehungsweise die Verwendung von Sonderzeichen, derer sich geschlechtersensible Sprache bedient. Das sei Fantasiesprache und ginge zu Lasten der Verständlichkeit – für Einheimische wie für „Ausländer“ (wir bei den frauenseiten würden natürlich „Ausländer*innen“ sagen). Aber was wäre die Sprache ohne Fantasie? Und wie „verständlich“ ist das Deutsche denn eigentlich bisher?
Fantasie
Bei jeglicher Neuerfindung in der realen Welt müssen wir immer wieder Fantasie walten lassen, um die Dinge, die wir erfinden, zu benennen. So gibt es seit Jahren im Deutschen das „Handy“, ein Wort, das zunächst einmal für Deutsche unverständlich war, da es aus dem Englischen entlehnt wurde. Zwar wurde der neue Gegenstand in Amerika erfunden, dort ist er jedoch unter dem Namen „Cell Phone“ bekannt. Ein „Handy“ gibt es da gar nicht, beziehungsweise das Wort existiert nur als Adjektiv und heißt „praktisch“. Es war uns Deutschen wohl wichtig, dass das neue Ding irgendwie nach etwas Englischem klingen sollte. Weil das sich modern anhörte – oder es uns an Fantasie mangelte, ein deutsches Wort zu kreieren?
Verständlichkeit
Dabei können wir im Deutschen auch sehr fantasievoll sein. Zum Beispiel machen wir uns über unsere eigene Sprache lustig, in der wir Worte unendlich aneinanderreihen können, um neue Begriffe zu erfinden. So wird aus dem Dampfschiff eine Dampfschifffahrtsgesellschaft, oder eine Oberweserdampfschifffahrtsgesellschaft, dann ein Oberweserdampfschifffahrtsgesellschaftskapitän, und dann sogar noch eine Oberweserdampfschifffahrtsgesellschaftskapitänsmütze. Eine Wortbildungsmethode, die für Menschen, die Deutsch als Fremdsprache lernen, äußerst schwer verständlich ist. Aber das ist auch sehr fantasievoll und selbstironisch. Dabei wird uns Deutschen ja der Humor oft abgesprochen…
Die Verbotspartei
Die FDP nun allerdings ist überhaupt nicht humorvoll, sondern will einfach eine sprachliche Entwicklung verbieten. Dabei wurden doch seinerzeit die Grünen von anderen Parteien als „Verbotspartei“ beschimpft, als sie nämlich vor Jahren einen Veggie-Day in Kantinen einführen wollten, an dem es kein Fleisch im Angebot geben sollte. Das war eigentlich im „Christlichen Abendland“ eine alte Tradition. Bis in die 1970er Jahre hinein gab es am Freitag – dem Wochentag, an dem Jesus gestorben war – kein Fleisch in Kantinen, sondern höchstens Fisch. Die Grünen wollten damals gar nichts verbieten, sondern nur zu weniger Fleischkonsum anregen. Dagegen sind es jetzt die FDP (und die CDU), die das Gendern in verschiedenen Bundesländern verboten haben oder es verbieten wollen.
Wie sollen wir sprechen?
Wie sollen wir nun in einer sich verändernden Welt realitätskonform sprechen oder schreiben? Man kann im Deutschen nicht nicht gendern. Wenn von einer Gruppe von zehn Schülern die Rede ist, hat bestimmt niemand neun Schülerinnen und einen Schüler vor dem geistigen Auge. Aber die Verfechter des generischen Maskulinums wollen es wider alle Vernunft beibehalten. Und da wir endlich erkannt haben, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt und dass wir diejenigen, die in das binäre System nicht hineinpassen, doch irgendwie benennen müssen: was sollen wir denn tun? Die Fantasie walten lassen und etwas erfinden, was sprachlich die Realität abbildet! Genau das tut der Genderstern oder die übrigen Sonderzeichen.
Dass eine Partei, die das Wort „Freiheit“ im Namen führt, eine kreative Weiterentwicklung der Sprache verbieten lassen will, mutet doch recht seltsam an.
Es lebe die Freiheit, die Fantasie – und der Genderstern!
Irene Meyer-Herbst
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