Heteronormativität bezeichnet eine Weltanschauung in der Heterosexualität als die gesellschaftliche Norm reklamiert wird. Mit Norm sind allgemein anerkannte und als verbindlich geltende Regeln gemeint, die das Zusammenleben von Menschen bestimmen. Dadurch, dass Heterosexualität als Norm postuliert wird, sind andere sexuelle Orientierungen in der Öffentlichkeit meist noch sehr unterrepräsentiert. Menschen, die sich nicht in das binäre Geschlechtersystem einordnen, oder die nicht heterosexuell sind, fehlt die Möglichkeit zur Identifizierung. Durch die Naturalisierung und Privilegierung von Heterosexualität und Binarität werden zum Beispiel Menschen, die transgender, inter- oder homosexuell sind, in der Gesellschaft marginalisiert und gelten als Abweichung beziehungsweise als Ausnahme. Es ist jedoch immens wichtig, dass Heterosexualität nicht als „das Normale“ dargestellt wird, sondern als eine von vielen Lebensweisen, die auch einen eigenen Namen hat.
Menschen, die nicht der heteronormativen Vorstellung entsprechen, sind in der Öffentlichkeit wenig bis kaum abgebildet
In Film und Fernsehen, Büchern und der Werbung werden in den meisten Fällen die klassischen Geschlechterrollen und Beziehungsmodelle bedient. Die Unterrepräsentation von Lebensweisen und Begehren neben dem Stereotyp der Heterosexualität und Monogamie führt zum einen dazu, dass bestimmte Menschen und ihre Lebensform aus der Öffentlichkeit ausgeschlossen werden. Es führt aber auch dazu, dass die heteronormativen Vorstellungen weiter und weiter in der Gesellschaft gefestigt werden. Wenn Kindern und Jugendlichen von klein auf nur Bilder gezeigt oder Geschichten erzählt werden, in denen die Protagonist*innen weiß, heterosexuell, cisgender und nicht behindert sind, dann führt das dazu, dass das Gegenteilige, vielleicht nicht unbedingt als falsch, aber immer als das „Andere“ abgestempelt wird. Aber nur weil die Mehrheit cisgender und heterosexuell ist, ist das noch lange nicht die Regel, und sollte auch nicht als eine vermittelt werden. Ein Problem ist, dass andere Lebensweisen und sexuelle Ortientierungen der Mehrheit hierarchisch untergeordnet werden und Menschen, die dieser nicht entsprechen, Ausgrenzung, Abwertung, Diskriminierung sowie psychische und physische Gewalt erleben.
Kinder sollten diversere Geschichten hören, damit abweichende Lebensweisen von der Mehrheit nicht mehr als unnormal gesehen werden
Auch ich bin mit Büchern, Filmen und Geschichten aufgewachsen, in denen fast immer weiße Mädchen oder Jungen die Hauptpersonen waren. Vielfalt in Bezug auf gender, Hautfarbe, Körperbau oder die sexuelle Orientierung gab es selten. Ein gängiges Bild, das oft vermittelt wird, sind weiße Mädchen und Jungen, die sich jeweils in das andere Geschlecht verlieben. Und generell ist die erste Annahme der meisten Menschen bei Kindern und Jugendlichen, dass sie heterosexuell sind. Sprüche wie: „Wenn du erst mal deinen ersten Freund hast…“ oder „Irgendwann kommt auch dein Traumprinz…“, verdeutlichen, dass die meisten als erstes davon ausgehen, dass du dich als junges Mädchen in Jungen verlieben wirst und andersherum. Das ist problematisch, denn auch wenn die Mehrheit der Gesellschaft sich als heterosexuell bezeichnet, wird dadurch impliziert, dass Menschen, die queer, homo-, bi- trans- oder asexuell sind, eine Ausnahme sind, etwas anderes oder Unnormales eben. Statistiken zeigen, dass LGBTIQA+-Jugendliche und Erwachsene ein erhöhtes Riskio für psychische Erkrankungen und Suizidalität aufweisen. Alleine schon, dass immer noch davon gesprochen wird, dass sich homosexuelle Menschen outen, zeigt, wie sehr ihnen das Stigma der Anomalität auferlegt wird. Synonyme für das Wort Outen sind: sich zu etwas bekennen oder öffentlich eine Tatsache eingestehen, die peinlich ist. Würden wir versuchen außerhalb dieser beschränkenden Strukturen zu denken, würde das einen enormen Zuwachs an Freiheit für viele Menschen bedeuten.
Wir Menschen schränken uns ein, wenn wir in heteronormativen Denkmustern stecken bleiben
Wir leben in einer Welt in der sich gefühlt jeden Tag alles um uns herum ändert. Verbindlichkeiten werden weniger ernst genommen, Jobs kaum noch ein ganzes Leben lang durchgeführt, Studiengänge abgebrochen und ein völlig anderer neu begonnen. Warum können wir Veränderungen in fast allen Bereichen ertragen, aber nicht wenn es um Sexualität oder gender geht? Wem nützt dieses ganze Schubladendenken?
Es werden soziale Erwartungen an die Menschen gestellt. Wer als Mann oder Frau gelesen wird, soll auch bestimmte Verhaltensmuster an den Tag legen und den Stereotypen entsprechen. Diese Rollenbilder schaffen Sicherheit, denn sie schreiben mir vor, wie ich mich am besten verhalte, wie ich leben und als Frau auftreten soll. Doch mehr noch als diese Sicherheit, schränken uns die heteronormativen Vorstellungen ein. Das vorgeschriebene Verhalten erschwert die freie Entfaltung und Persönlichkeitsfindung. Wer minimal von der Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität abweicht, erfährt Diskriminierung, wird ausgegrenzt oder abgewertet. Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit sind wie festgeschriebene traditionelle Geschlechterrollen, die nicht nur Menschen, die sich eben nicht in dieses System einordnen, einschränken, sondern auch alle anderen. Es bietet einem kaum Spielraum dafür sich auszuprobieren. Für die einen mag das auch völlig in Ordnung sein und ausreichen, aber dann kann es ihnen auch egal sein, wenn andere Menschen diese Freiheit, die Möglichkeit zur Identifikation und Selbstfindung haben. Mehr akzeptierte und repräsentierte Geschlechter und sexuelle Ausrichtungen werden niemanden einschränken, das Gegenteil jedoch schon.
Heteronormativität beschränkt uns alle auf vorgegebene Kategorien
#heteronormativity is a scourge on humanity pic.twitter.com/3k8m9s27vT
— 🦁👩🏼⚖️💃📚 (@AvaGraceVIP) April 19, 2017
Außerhalb von heteronormativen Strukturen zu denken, ist ganz und gar nicht einfach. Es ist aber möglich und es lohnt sich, denn, wer weiß, was man für sich entdeckt? Die Soziologin Sabine Hark verweist darauf, dass es unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten von Geschlecht, Identität und Begehren gäbe, wenn es die Heteronormativität nicht gäbe. Schon kleine Schritte können eine*n in diese Richtung führen. Gerade Kinder sollten diversere Bücher lesen und Filme sehen. Wenn die Medienlandschaft mehr diverse gender und Liebesbeziehungen, unterschiedliche Hautfarben und Körper abspiegeln würde, würden sich die Vorstellungen davon, wie Menschen auszusehen und sich zu verhalten haben, verschieben.
Mehr Geschichten sollten das Leben von Menschen erzählen, die nicht der heteronormativen Vorstellung entsprechen. Dabei sollte aber gerade das nicht immer Hauptthema sein, sondern so nebensächlich und normal dargestellt werden, wie es bei heterosexuellen, cisgender und schlanken Hauptpersonen stets der Fall ist. Das würde übrigens nicht dazu führen, dass Kinder im Kindergarten oder in der Schule frühsexualisiert werden. Es würde sie offener, toleranter und aufgeschlossener machen. Überall sollte eine Gesellschaft mit Blick auf Liebesbeziehungen, gender und Hautfarbe abgebildet werden, so wie sie real existiert, denn nur, weil die Mehrheitsgesellschaft heterosexuell und cisgender ist, ist das noch lange nicht das Einzige, geschweige denn das Richtige, was es gibt.
Ambra Lunemann
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