Inhaltswarnung: Im folgenden Artikel geht es um Schwangerschaftsabbrüche.
Letzte Woche luden wir Caroline Scherf zu uns in die Redaktion ein. Sie ist Gynäkologin aus Deutschland, arbeitet aber seit 32 Jahren in Großbritannien. Dort hat sie eine Stelle als Consultant of Sexual Health in Cardiff. Die letzten sechs Monate verbrachte sie allerdings in Bremen, ihrer Heimatstadt, und arbeitet im Medizinischen Zentrum von ProFamilia Bremen. Sie bezeichnet die Arbeit in Bremen als sehr ähnlich zu dem, was sie in Großbritannien macht, aber auch ganz anders.
In Großbritannien gibt es seit 2009 eine neue Fachrichtung namens Community Sexual & Reproductive Health (CSRH), für die eine mindestens sechs-jährige Facharzt*ärztinnen- Ausbildung nötig ist. In den letzten zehn Jahren entwickelte sich die Forschung in Sachen Frauengesundheit in Großbritannien enorm, während Deutschland in dem Bereich die Zuständigkeiten ungenauer definiert und der Themenbereich selten bei Forschung und Weiterbildung auftaucht.
Wir sprachen mit ihr über ihre Arbeit, über Schwangerschaftsabbrüche, über die gesetzlichen Verhältnisse in Deutschland und Großbritannien und über Ärztinnen wie Kristina Hänel, die für die Hilfe, die sie ungewollt Schwangeren anbieten, vor dem Bundesverfassungsgericht landen.
Was genau kann man sich unter Ihrem Job vorstellen?
Das heißt Sexual and Reproductive Health, das kann man sich als eine Unterabteilung oder weitere Spezialisierung von Gynäkologie vorstellen. Ich bin als Gynäkologin beziehungsweise als Geburtshelferin ausgebildet und habe dann diesen Job bekommen und mich während dieser Stelle mehr da hineingearbeitet und spezialisiert. Da gab es dann entsprechende Artikel, Kurse und Weiterbildungen, zum Beispiel über Geschlechtskrankheiten, bestimmte Verhütungsmethoden, und eben auch für Schwangerschaftsabbrüche.
Schwangerschaftsabbrüche werden in Großbritannien anders gehandhabt als in Deutschland. Welche Unterschiede fallen Ihnen auf, in den sechs Monaten, die Sie jetzt in einem anderen Land arbeiten?
Die Unterschiede bestehen in der Bürokratie, die mit einer ungewollten Schwangerschaft verbunden ist und die ist in Deutschland ziemlich extrem. Das ist einmal die Bürokratie, die sich erstens mit der Gesetzgebung, also mit §218 selber auseinandersetzt. Und zum zweiten die Bürokratie der Finanzierung, die ist unmöglich frauenfeindlich geregelt. Zum Dritten ist da die Problematik der fehlenden fachlichen Zuordnung dieses großen Bereichs der Gynäkologie, so dass viele Norddeutsche Frauen nach Bremen reisen zur Behandlung, weil ihre Gynäkologin dies nicht anbietet.
Das Interessante für mich ist, dass wir in Großbritannien vor nur etwa zehn Jahren eine ganz ähnliche Situation hatten. Und seitdem ist aus verschiedenen Gründen ziemlich viel passiert: das nationale Interesse wuchs, und damit auch die Unterstützung der öffentlichen Mehrheit und der medizinischen Fachverbände. In der Pandemie waren die Briten das schnellste Land, den Wandel zu Tele-Medizin im April 2020 zu ermöglichen. Seitdem besteht der von Politiker*innen abgesegnete Zugang zu medikamentösen Abbrüchen mit noch weniger und in manchen Fällen sogar gar keinem persönlichen Kontakt.
Wie ist die Gesetzeslage in Großbritannien?
Es gibt hier ein Gesetz, das ist ähnlich wie das deutsche aus dem 19. Jahrhundert. Darin steht, Schwangerschaftsabbrüche ist ein Kriminaldelikt, da hat sich bis jetzt noch niemand getraut, das abzuschaffen. Wir machen seit 1967 aber legal sehr viel mehr Abtreibungen, weil wir seitdem den 1967 Abortion Act haben. Den hat damals ein liberaler Abgeordneter mit Erfolg im Parlament durchgesetzt und zwar mit der Unterstützung der Ärzt*innen. Die hatten nämlich ihre Kliniken und Praxen voll von Frauen, die von Engelmachern [Anm.: umgangssprachlich für Menschen, die illegal Abtreibungen durchführen] wirklich richtig krankgemacht wurden. Sehr schlimm war, dass bis 1967 viele Frauen an illegalen Abtreibungen in Großbritannien starben. Und deswegen wurde der Abortion Act 1967 akzeptiert und kam durch das Parlament. Mit diesem Act kann eine Abtreibung legal sein, wenn eine von fünf Klauseln zutrifft. Die Entscheidung darüber liegt nicht beim Gesetzgeber, sondern bei den Ärzt*innen. Diese wird von zwei ärztlichen Unterschriften nach bestem Wissen und Gewissen bestätigt. Mehr wird da nicht definiert.
Leider fehlt häufig die Aufklärung zu dem Thema. Viele wissen ja auch gar nicht, dass Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland nicht wirklich legal sind.
Richtig, die sind hier überhaupt nicht legal. Ich begehe also mit meiner Arbeit zurzeit 30 bis 40 Kriminaldelikte jede Woche. Da kann ich den niedergelassenen Kolleg*innen hier irgendwie nicht verdenken, dass sie das ein bisschen unsicher finden und das dann nicht so gerne machen. Obwohl ich ganz klassische Gesundheitsversorgung für Frauen mache, begehe ich in Deutschland jede Woche zehnfach Kriminaldelikte. Das allein ist schon sehr verrückt…
Und wenn man sich dann die Konsequenzen des §219a anguckt und wie Ärzt*innen, die einfach informieren, da durch die Instanzen geschleudert werden, da fehlen mir dann schon ein bisschen die Worte. Abtreibungen können nicht abgeschafft werden, egal wie illegal sie sind, das wissen wir, dann werden sie dafür illegal und damit gefährlicher, wenn die Engelmacher wieder dabei sind. Jede dritte bis vierte Frau hat mindestens einmal im Leben eine Abtreibung. Die Frage ist, wie wir die so wenig traumatisch wie möglich machen können, denn sie sind an und für sich technisch total simpel. Und dass die Simplizität dieser Behandlung in krassestem Gegensatz zu dem Zirkus steht, den das deutsche Gesundheitssystem einer Frau bietet, die nicht schwanger sein will; das ist so ein richtiges Spießrutenlaufen. Und dann ist das auch noch teuer.
Würden Sie sagen, dass das so eine Art Berufsrisiko ist, dass sie sich regelmäßig strafbar machen, auch wenn es straffrei ist?
Das ist kein Berufsrisiko, überhaupt nicht. Ich mache medizinische Basisversorgung und richte mich danach, was das Beste für meine Patient*innen ist. Alles andere ist sekundär. Natürlich muss ich mich in dem Land, in dem ich arbeite, innerhalb eines gesetzlichen Rahmens bewegen.
Wird das Wissen darüber denn im Studium der Gynäkologie überhaupt vermittelt?
Nein, das ist zur Zeit in Deutschland nicht Teil des Lehrplans der Fachärzt*innenausbildung. Auch in den Medizinischen Hochschulen steht es nur selten auf dem Programm. In Großbritannien ist es nur eine kleine Zahl von Medical Schools, die in den letzten Jahren die Thematik Abtreibung in den Lehrplan aufgenommen haben. Es gibt aber sehr vielversprechende Projekte, zum Beispiel am University College London, wo anhand von ungewollten Schwangerschaften unglaublich viele Themen angesprochen und erklärt werden. In Cardiff haben wir das auch aufgenommen, das macht mir besonders Spaß. Also Ethik und Konsens und Berufsethik, Respektieren von Patient*innen auch im Fall von ungewöhnlichen Wünschen; diese vielen Konflikte, mit denen ausgebildete Mediziner*innen in fast allen Gebieten der Medizin täglich konfrontiert sind.
Und wie ist dann da die allgemeine Auffassung bei den Studierenden?
Ganz unterschiedlich. Die Mehrheit ist neugierig und will was darüber wissen, manchen haben ein ganz spezielles Interesse und es gibt auch einzelne, die dann Statements gegen Abtreibung äußern. Zum Beispiel, dass Abtreibung unfruchtbar macht, das hat sich aber überhaupt nicht bestätigt. Es macht nur dann selten unfruchtbar, wenn es illegal und unsicher gemacht wird. Dann kam die Idee, dass Abtreibung Brustkrebs verursacht. Ich bin nie draus schlau geworden, wo diese abstruse Idee überhaupt herkam, das Gerücht hat sich aber schnell verbreitet. Und dann kommt das Beste: das Argument, dass Abtreibung eine Frau verrückt mache. Also die Behauptung suggeriert, es sei für die Psyche so eine Art Extrembelastung, wenn eine Frau abtreibt.
Das, was eine Frau aber vielleicht empfänglicher für spätere psychische Auffälligkeiten macht, ist, dass sie überhaupt ungewollt schwanger ist. Diese Tatsache ist die einzige Variable, die in den folgenden Jahren auffällig ist. Frauen haben ein etwas höheres Risiko einer psychischen Erkrankung, wenn sie eine ungewollte Schwangerschaft hatten. Dabei ist es egal, ob sie ausgetragen wurde oder abgebrochen wurde, es gibt also keine Kausalität. Deswegen kann man nicht behaupten, dass Abtreibung psychische Krankheit auslöst. Das Risiko der psychischen Erkrankung erhöht sich bei Frauen, die ungewollt schwanger werden.
Das könnte auch damit zusammenhängen, dass manche Beratungsgespräche sehr traumatisierend für Schwangere sein können.
Natürlich. Das hat was mit dem deutschen Spießrutenlauf zu tun, der kann wirklich eine psychische Herausforderung werden. Beratungsstellen werden vom Staat bezahlt. Das scheint mir, als ob dadurch unterstellt wird, so eine Schwangere kann ja mal gar nichts selber entscheiden, das muss erstmal mit einer Beratungsstelle abgesprochen werden. Aber braucht jede Frau wirklich eine externe Beratung? Warum die deutschen Frauen weniger in der Lage sind, über ihre Schwangerschaft zu entscheiden, als viele anderen Frauen in Europa, ist mir ein Rätsel.
Wie sind da die Meinungen gegenüber Schwangerschaftsabbrüchen, sowohl im Bekanntenkreis als auch in den fachlichen Kreisen? Zum Beispiel, dass Ärzt*innen nicht dazu verpflichtet sind, einen Abbruch durchzuführen?
Das ist, glaube ich, in allen Ländern so; Ärzt*innen haben keine Pflicht, Abtreibungen zu machen. Eigentlich ist es, wie bei anderen medizinischen Behandlungen außerhalb meiner Fachkompetenz: ich muss genau wie bei einer ungewollten Schwangerschaft die Frau dann umgehend an einen Kollegen, eine Kollegin zu überweisen, von denen ich weiß, die machen das.
Also habe mich entschlossen, diesen Job aus dem seltsamen Grund anzunehmen, weil es niemand anders machen wollte. Die Kolleg*innen, die keine Schwangerschaftsabbrüche durchführen, müssen sich erst recht damit befassen, denn es ist eine der häufigsten Behandlung in der Gynäkologie. Unsere Aufgabe ist immer, unsere Patientinnen, also die Schwangeren zu unterstützen. Deswegen müssen alle wissen, was passiert und wie es nun weitergeht.
Und ich denke, das ist so eine Philosophie, die sich in Großbritannien in den letzten zehn Jahren immer mehr verbreitet hat. Seit etwa 2015 sprechen jetzt Leute aus dem ganzen Land miteinander, und das scheint immer noch sehr neu. Im Moment sind da in Deutschland vielleicht noch mehr Hemmschwellen, aber mir kommt das bekannt vor. Ich bin zuversichtlich, dass die nächsten zehn Jahren hier auch mehr Offenheit und bessere Ausbildung für Fertilitätskontrollen bringen werden.
Was können Ansätze sein, um da in Deutschland hinzukommen?
Es gibt ganz viele verschiedene Möglichkeiten und schon jetzt viele gute Ansätze und Menschen, die sich dafür an den richtige Stellen Gehör verschaffen. Die Kriminalisierung ist ein sehr zentrales Problem. Man könnte erstmal so vorgehen, dass man das Gesetz abschafft. Danach gibt es die Versorgungsprobleme, Ausbildungsprobleme, Zugang zu Medikation, aber wenigstens nicht mehr dieses dämliche Strafgesetz. Auch in Großbritannien haben wir leider immer noch das viktorianische Strafgesetz, aber immerhin haben wir die Versorgungsprobleme einigermaßen unter Kontrolle. Und es gibt eine neue spezielle Ausbildung, also eine richtig detaillierte Weiterbildung für Ärzt*innen zur Therapie ungewollter Schwangerschaften. Ich habe auf meinem Handy diesen wunderschönen Sticker, da steht drauf „Abortion is Healthcare“ (dt. Abtreibung ist Gesundheitsversorgung). Und diese Einsicht, die würde auch schon helfen. Es ist Gesundheitsversorgung, Basisversorgung.
Was machen so Fälle wie Kristina Hänel mit Ihnen?
Kristina Hänel ist eine unglaublich bewundernswerte und starke Kollegin, die für Frauen einen Riesensatz gemacht hat. Sie hat das Problembewusstsein wunderbar in die Öffentlichkeit gebracht. Die Arbeit, die sie macht, kann man ihr ganz hoch anrechnen. Das ist super, dass wir solche Ärzt*innen haben, und es ist traurig, dass so eine Basis-Geschichte wie ungewollte Schwangerschaften einen derartigen Medienzirkus verursacht. Sie ist Ärztin und hat ihre Patientinnen behandelt, mehr hat sie ja nicht gemacht. Und plötzlich steht sie vor dem Verfassungsgericht. Irgendwann kommt vielleicht mal die internationale Aufmerksamkeit, die dann mit recht fragt, was ist denn mit euch los in Deutschland? Verloren in zwei Instanzen und jetzt Verfassungsgericht?! Haben die nicht Wichtigeres zu bearbeiten? Abtreibungsbehandlung ist eine ärztliche Handlung und mehr nicht. Das muss wie alle anderen ärztlichen Handlungen ohne Strafgesetzbuch reglementiert werden. Und die betroffenen Frauen, brauchen gute, evidenzbasierte Behandlungen und keinen Druck von der Öffentlichkeit. Denn das geht niemanden etwas an. Wir brauchen kein Kriminalgesetz.
Hier findet ihr eine Liste von Konfliktberatungsstellen bei ungewollter Schwangerschaft, mit Informationen zum Ablauf, der Kostenübernahme etc.
Interview von Anne Preuß
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