Marta Paccani ist Audioingenieurin, mixt bei Livekonzerten und produziert Musik in Tonstudios. Ich treffe sie im Rahmen der monatlichen Veranstaltungsreihe „Let’s meet!“ des Bremer Netzwerks MusicHBwomen*. Dort berichtete sie von ihren Erfahrungen als Audioingenieurin im männlich dominierten Musikbusiness.
Marta Paccanis Weg vom Anthropologiestudium zur Audioingenieurin
Obwohl Marta Paccani schon immer soundbegeistert ist und sich damals viel in der Konzertszene bewegt, war es ein langer Weg zu ihrem Beruf als Audioingenieurin. Zunächst studiert die Italienerin einen Bachelor und Master in Anthropologie und Geschichte in London und Oxford. Bis dahin ist ihr überhaupt nicht klar, dass in ihr eine derartige Leidenschaft für das Mixen und produzieren von Sounds steckt. Sie erzählt, dass dies auch mit der männlichen Dominanz in diesem Berufsfeld zusammenhängt. Da sie viele Konzerte in der DIY-Szene organisiert und besucht, ist sie oft umgeben von Tontechnikern und Musiker*innen. Außerdem schreibt sie zu der Zeit regelmäßig für die Musiksektion eines Online-Magazins. Sie verspürt schon damals eine Faszination für die Entstehung des Sounds bei Konzerten und äußert dies auch oft gegenüber befreundeten Tontechnikern. Doch wie so üblich im Patriarchat, nimmt niemand ihr Interesse ernst. Dadurch, dass sie nie die Möglichkeit bekommt, sich auszuprobieren, bleibt ihr also der Zugang viele Jahre verwehrt.
Mit Ende zwanzig lernt sie schließlich einen Tontechniker kennen, der ihr nach den Veranstaltungen ein paar tontechnische Basics erklärt und ihre Fragen beantwortet. Von da an festigt sich der Wunsch, mehr über Tontechnik zu erfahren und sie besucht gezielt Konzerte, wo der Tontechniker arbeitet, um sich mit ihm darüber auszutauschen. Sie erzählt, dass sie so fasziniert davon war, am Mischpult zu stehen, dass es sie nicht mehr los ließ. Ein Jahr später beschließt sie, ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen und zieht nach Berlin. Dort beginnt sie mit 29 Jahren ein Studium an dem SAE Institut. Sie ist eine von zwei FLINTA*s in ihrem Jahrgang.
Marta Paccanis Erfahrungen als FLINTA* unter Tontechnikern
Dass die Musikbranche auf und hinter der Bühne männlich dominiert ist, hören wir denke ich alle nicht zum ersten Mal. Marta Paccani erzählt, dass nur vier Prozent der registrierten Tontechniker*innen weiblich sind. Ich möchte von ihr wissen, was sie für Erfahrungen als FLINTA* unter ihren männlichen Kollegen gemacht hat. Zunächst betont sie, dass sie fast immer die einzige FLINTA* Person bei ihren Arbeitsplätzen ist. Anders ist dies bei spezifischen FLINTA* Veranstaltungen, wo sie gezielt angefragt wird. Auch, wenn sie diese Veranstaltungen gut und wichtig findet, nervt es sie, dass sie nie einfach nur als Audioingenieur*in gesehen wird, sondern immer als weibliche Audioingenieurin. Sie sticht immer heraus, obwohl sie es gar nicht beabsichtigt und einfach nur ihrem Beruf mit Leidenschaft nachgehen will.
Schon bei ihrer Berufsfindung spielt es eine große Rolle, dass die Veranstaltungstechnik so männlich dominiert ist. Obwohl sie oft äußert, dass sie Interesse an Tontechnik hat, traut ihr damals niemand zu, dass sie diesen Beruf ausüben kann. Marta Paccani betont, dass sie oft ein grundsätzliches Misstrauen in ihr technisches Verständnis von ihren männlichen Kollegen zu spüren bekommt.
Sie erzählt, dass sie ihre Fähigkeiten immer erst unter Beweis stellen muss. Beispielsweise werden ihr oft am Anfang nur einfache Aufgaben zugetraut, wenn sie in einer neuen Location arbeitet, bis die Kollegen merken, dass sie kompetent in ihrem Beruf ist. Sie findet es ermüdend, dass sie immer erst unter Beweis stellen muss, dass sie professionell arbeitet. Sexistische Kommentare sind für sie Alltag. Sie sagt scherzhaft, dass sie manchmal „sexist Bingo“ spielt, weil sie immer die gleichen Kommentare zu hören bekommt. Besonders frustrierend findet sie aber, dass sie eine Art Gatekeeping bei bestimmten Skills von Tontechnikern erlebt. Selbst wenn Vertrauen bereits vorhanden ist, besteht wenig Bereitschaft, ihr neue Dinge beizubringen.
Darum ist Marta Paccani unsere FLINTA* der Woche
Marta Paccanis Werdegang ist für mich sehr inspirierend, weil sie ihrer Intuition folgt, auf ihr Interesse und ihre Fähigkeiten vertraut. Sie hat sich ihren Traum, Audioingenieurin zu werden trotz allem verwirklicht. Obwohl sie bereits einen abgeschlossenem Master hat, traut sie sich in ein ganz anderes Berufsfeld mit vielen Hindernissen zu wechseln. Sie bleibt beharrlich und lässt sich nicht von dem oftmals sexistischen, männlich dominierten Arbeitsumfeld abschrecken. Das alles benötigt viel Mut, Kraft und Geduld. Durch Marta Paccanis Erzählungen wird deutlich, dass FLINTA*s in dem Musikbusiness leider nach wie vor deutlich härtere Voraussetzungen haben, als cis Männer. Bei ihr beginnt dies schon damit, dass ihr Interesse an dem Berufsfeld nicht ernst genommen wurde. Das zeigt FLINTA*s, dass es umso wichtiger ist, dem eigenen Bauchgefühl nachzugehen, wenn wir eine aufblühende Leidenschaft oder Inspiration erleben. Marta Paccani hat ihrem Kribbeln im Bauch vertraut und ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht.
Es braucht Personen wie Marta Paccani im Musikbusiness, um endlich zu normalisieren, dass FLINTA*s genauso auf und hinter die Bühnen gehören, wie cis Männer! Sie erzählt zum Beispiel, dass sie oft positive Rückmeldungen von FLINTA* Bands bekommt. Marta Paccani bindet die Band in die technischen Prozess der Konzerte, im Gegensatz zu ihren Kollegen, mit ein. Sie sagt auch, dass sie keine Lust mehr darauf hat, immer als speziell und besonders gesehen zu werden, nur weil sie eine Audioingenieurin ist. Sie hofft, dass auch der Umgang untereinander in der Musikbranche weniger mackrig wird, wenn endlich mehr FLINTA*s dort vertreten sind.
Ich frage Marta Paccani abschließend, ob sie ein paar empowernde Worte für FLINTA*s, die ebenfalls an Soundtechnik interessiert sind, hat. Sie entgegnet, dass die Veranstaltungstechnik nicht so sexistisch ist, wie sie erwartet hatte. Ihr Eindruck ist, dass es immer mehr Menschen in dem Bereich gibt, die diesbezüglich dazu lernen wollen und unterstützend sind. Sie betont, dass es umso besser wird, desto mehr FLINTA*s ins Musikbusiness kommen. Sie liebt ihren Job und ist sehr froh, sich dafür entschieden zu haben.
Falls ihr euch für FLINTA*s in der Musikbranche interessiert, könnt ihr an der nächsten „Let’s meet!“ Veranstaltung von MusicHBwomen* am 29.02 teilnehmen. Dort könnt ihr euch mit Jenny Hofer über die Bremer DIY Szene und den FLINTA* Jam austauschen.
Linnea
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