Jura und Feminismus. Zwei Begriffe, die man normalerweise vielleicht nicht automatisch miteinander in Verbindung bringen würde. Aber genau das tut unsere FLINTA* der Woche Yasemin Say. Feministisches und rechtswissenschaftliches Engagement. Das ist ihr Ding.
Kennengelernt haben Yasemin Say und ich uns im Haus der Wissenschaft bei einer Tagung. Für das Interview getroffen haben wir uns dann aber an der Universität Bremen. Hier verbringt die 24-jährige gebürtige Bremerin im Moment sehr viel Zeit. Als wir uns um 17 Uhr für das einstündige Gespräch treffen, hat Yasemin Say bereits einen ganzen Tag am Campus hinter sich.
Freizeit? – eher weniger
Direkt nach der Schule ging es für Yasemin Say mit dem Jurastudium an der Universität Bremen los. Mittlerweile ist sie im 12. Semester mit dem Schwerpunkt Arbeits- und Sozialrecht im internationalen und supranationalen Kontext. Zwischenzeitlich hat sie ein Jahr Jura in Portugal studiert und durfte so „Europarecht nochmal anders erleben“, wie sie sagt. Außerdem ist Yasemin Say seit dem dritten Semester Stipendiatin bei der Hans-Böckler-Stiftung.
Derzeit befindet sich Yasemin Say in der Examensvorbereitung und damit in der Schlussphase ihres Jurastudiums. In dieser stressigen Zeit gehen gerne auch mal private Interessen und Hobbies wie Lesen unter.
Wenn Yasemin Say dann doch mal Zeit hat, geht sie gerne auf Vernetzungsveranstaltungen von „SWANS“ – einem Netzwerk für „im deutschsprachigen Raum aufgewachsene Studentinnen und junge Akademikerinnen mit Zuwanderungsgeschichte, Schwarze Frauen und Women of Color (BIWoC)“. Die Organisation bietet diesen Frauen Förderung in den Bereichen Beruf und Karriere und ist Yasemin Say Meinung nach ein Musterbeispiel dafür, wie man einen Safe Space kreieren und Förderung betreiben kann.
Auch ihre politischen Aktivitäten und ihren Aktivismus sieht Yasemin Say als Hobby an – weil es ihr Freude bereitet, sich weiterzubilden. Dafür nutzt sie jede Chance: Vorträge zu Rechten von Frauen in anderen Gebieten der Welt oder sexuellem Missbrauch als Kriegswaffe. Seien es Veranstaltungen im Rahmen ihres Aktivismus, ihres Stipendiums oder andere – ein Themenschwerpunkt ist erkennbar: Feminismus und die Rechte von FLINTA*-Personen, häufig aus rechtswissenschaftlicher Perspektive. Aber wie sieht es mit der Kombi im Studium aus?
Feminismus in der juristischen Ausbildung – Is it a thing?
Nicht wirklich. Thematisch sei es kein Schwerpunkt im Hauptstudium. Es gäbe zwar ein paar Kurse, die sich in Ansätzen mit Feminismus beschäftigen, diese seien aber eher rar und auch nicht obligatorisch. Was sie sich wünschen würde, ist, dass zu bearbeitende Sachverhalte häufiger aus einer feministischen Sichtweise gestaltet werden und keine patriarchalen Strukturen reproduzieren. Statt immer nur Rechtsanwalt und Sekretärin auch mal Rechtsanwältin. Derzeit bestünde in den Rechtswissenschaften allerdings ein eher konservativer Sprachgebrauch.
„Jura ist ein Fach der Sprache und entsprechend ist es sehr wichtig, dass man da genau ist und auch auf diese Kleinigkeiten achtet. Zum Beispiel ist das Gendern auch noch nicht überall angekommen. Das ist tendenziell eher etwas Neumodisches im Juristischen.“ (Yasemin Say)
Positiv findet Yasemin Say, dass es immer mehr Frauen im Studium und immer mehr Initiativen zur Frauenförderung gäbe. Diese Erfolge ließen sich beispielsweise in einer, laut Yasemin Says Gefühl, relativ ausgeglichenen Geschlechterverteilung (binär gedacht) unter den Studierenden des Fachs erkennen. Unter den Dozierenden sähe es allerdings noch anders aus. So gibt es unter den 16 Professuren in den Rechtswissenschaften nur zwei weiblich besetzte. Dies sei zwar nicht repräsentativ für Gesamtdeutschland, aber auch kein juraspezifisches Problem: Die gläserne Decke sei allgemein in der Wissenschaft sehr fest.
Yasemin Say blickt trotzdem positiv in die Zukunft: Jura sei zwar bei weitem noch nicht frei von (geschlechtsbezogener) Diskriminierung, das wäre derzeit „utopisch“. Es ließe sich aber daran, dass immer mehr Fördernetze entstehen, eine vielversprechende Entwicklung erkennen. Ein Teil dieser Förderung ist sie selbst. Und zwar im VAG Lab.
VAG Lab
Das VAG Lab ist ein interdisziplinäres Lab, dass sich mit den Themen Violence, Age und Gender (Gewalt, Alter und Geschlecht) beschäftigt. Dabei wird „nationales und internationales Wissen über Vorkommen und Ursachen geschlechtsspezifischer Gewalt und Belästigung im öffentlichen, institutionellen sowie auch privaten Raum“ zusammengeführt. Das Lab verfolgt dabei einen Theorie-Praxis-Transfer: Das Team leitet aus der Theorie Forschungsfragen ab und entwickelt Strategien und Handlungsempfehlungen zur Gewaltprävention, um so Lebensverhältnisse konkret zu verbessern.
Die vom VAG Lab entwickelten Handlungsempfehlungen wurden bei einer Online-Tagung im Dezember und der Bremer Tagung (die, bei der wir uns kennenglernt haben) an eingeladene Lokalpolitiker*innen und Institutionen wie die Arbeitnehmerkammer herangetragen. Dadurch erhofft sich das Team des VAG Labs eine Echowirkung.
Im VAG Lab ist Yasemin Say Teil der Nachwuchsförderung. Diese bietet jungen Studierenden die Möglichkeit durch die Mitarbeit bei derartigen Projekten, Einblicke darin zu erhalten, wie (interdisziplinäre) Wissenschaft funktioniert. Wissenschaft – da könnte sich Yasemin Say vorstellen, auch in Zukunft mitzuwirken. Im VAG Lab durfte sie mit recherchieren, bei den internen Diskussionsrunden mitdenken und -reden, Anregungen einbringen, relevante Fragen stellen, ihre eigene Meinung äußern und die Vorträge der anderen Fachbereiche in den eigenen fachlichen Kontext einordnen. Und auch an den zwei Veranstaltungen hatte Yasemin Say einen Anteil: organisieren und planen, mitentscheiden, wer zu den Veranstaltungen eingeladen wird und moderieren. Das alles fand sie sehr spannend. Ihr wurde sogar die Möglichkeit geboten, einen Teil für den zugehörigen Sammelband zu schreiben. Das musste sie aus Kapazitätsgründen aber leider ablehnen. Kein Wunder, nebenbei ist sie nämlich auch noch beim Deutschen Juristinnenbund aktiv.
Deutscher Juristinnenbund
Zum Deutschen Juristinnenbund (djb) ist Yasemin Say durch eine Freundin gekommen, die ebenfalls Mitglied ist. Diese hat sie dazu motiviert, ihr Interesse, sich für Frauenrechte einzusetzen, beim djb in die Tat umzusetzen. Dass sie irgendwann mal 2. Stellvertretende Vorsitzende der Regionalgruppe Bremen werden würde, hätte sie damals wohl nicht gedacht.
Der Deutsche Juristinnenbund ist eine feministische Vereinigung, ein „unabhängiger frauenpolitischer Verband“ aus Juristinnen, Volks- und Betriebswirtinnen, der sich auf Frauenrechte spezialisiert hat. Er setzt sich für feministische Belange in unterschiedlichen Rechtsbereichen und eine geschlechtergerechte Gesellschaft ein.
Als 2. stellvertretende Vorsitzende in Bremen fallen Yasemin Say vor allem Organisationsaufgaben zu. Veranstaltungen planen, Mitgliederversammlungen organisieren und sich mit dem Landesfrauenrat austauschen, um für spezifisch rechtspolitische Sachen Gehör zu finden. Besonders wichtig findet Say es, die Mitglieder untereinander in Kontakt zu halten, damit sie sich austauschen können. Dazu versucht sie im Moment einen Stammtisch für junge Juristinnen zu organisieren, der ihnen einen Safe Space bieten kann, um auch mal über unbequeme Sachen zu reden. Unbequeme Sachen, wie die Erfahrungen mit Leistungsdruck (speziell als Frau) oder Probleme mit Vorgesetzten.
„Welche Missstände habe ich gerade und gibt es vielleicht im nahen Umfeld jemanden, mit dem ich darüber reden könnte?“ (Yasemin Say)
Ein Problem sieht Yasemin Say aber in der Mobilisierung neuer (junger) Mitglieder, da diese häufig gar nicht von der Existenz des Deutschen Juristinnenbunds wüssten. Dabei findet sie es gerade wichtig, dass gerade FLINTA* sich engagieren und mobilisiert werden, um für die eigenen Rechte einzutreten.
Aber warum engagiert sich Yasemin Say eigentlich?
Chancengleichheit – das ist im Kern das Ziel von Yasemin Says Aktivismus.
„Als Frau, die migrantisch gelesen wird, habe ich die Erfahrung gemacht, dass ‚Anderseins‘ sehr schön sein kann, ‚Anderssein‘ kann aber auch sehr viele Nachteile mitbringen und ich möchte nicht, dass andere Menschen dieses Gefühl mitnehmen müssen. Ich hoffe, dass ich mit meinem Aktivismus beziehungsweise wir als Gesellschaft an dem Punkt ankommen, dass ‚Anderssein‘ zelebriert wird und das ‚Anderssein‘ als eine Chance wahrgenommen wird und nicht als eine Bürde. Und ich glaube, das steht für mich an allererster Stelle.“ (Yasemin Say)
Dabei spricht sie auch aus persönlicher Erfahrung. Durch diese Erfahrungen wurde sie bereits im jungen Alter auf eine gesellschaftliche Schiefstellung aufmerksam und wollte hieran etwas ändern.
Damit ihr Ziel erreicht werden kann, müsse sich gesellschaftlich allerdings vieles ändern. Dabei an allererster Stelle: Repräsentation. Laut Yasemin Say sei es wichtig, dass gerade Minderheiten gesehen und repräsentiert werden, um Veränderungen herbeizuführen. Man dürfe es nicht der Mehrheit überlassen, Problemstellungen zu bearbeiten, sondern müsse in den Dialog treten und Gehör finden. Als Angehörige einer Minderheit könne man Missstände, die einem widerfahren, aus persönlicher Erfahrung heraus besser vermitteln. Außerdem wisse man, wo die Probleme genau liegen. Und genau die Menschen, die persönlich betroffen sind, könnten mit progressiven und wirkungsvollen Ideen zu einer Veränderung beitragen. Dabei allerdings nicht zu unterschätzen: Allyship der Mehrheit. Es sei nicht nur wichtig, dass die Minderheit laut wird, sondern vor allem, dass die Mehrheit dazu bereit ist, zuzuhören. Diese befinde sich in der Machtposition, um Veränderungen durchzusetzen.
Laut wird auch Yasemin Say schon lange. Interesse für weltpolitische Ereignisse und eine Meinung, die sie kundtun wollte und auch kundgetan hat, hatte sie schon immer. Schülervertretung, Stadtschülerrat, Debattierclub: Yasemin Say hat schon früh Möglichkeiten gesucht, auf Probleme aufmerksam zu machen und sich für ihre und die Interessen anderer einzusetzen. Das Engagement junger Menschen hält Yasemin Say für besonders wichtig. Diese sieht sie zu gewissen Teilen in der Eigenverantwortung:
„Wenn wir nicht für unsere Zukunft aufstehen, wer macht es dann? Wir gestalten die Welt, in der wir leben möchten und ich versuche Leute dazu zu motivieren, die Welt mitzugestalten.“ (Yasemin Say)
Yasemin Say bringt durch ihren Aktivismus zwei Themen zusammen, die sonst gerne mal getrennt gedacht werden: Jura und Feminismus. Dabei bewegt sie sich häufig einem Bereich – der Wissenschaft – in dem es unserer Meinung nach viel zu wenig FLINTA* gibt, weil es ihnen oft sehr schwer gemacht wird. Das muss sich ändern! Und junge, aktive und motivierte FLINTA* wie Yasemin Say machen da den ersten Schritt.
Lara Gathmann
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