Lange Zeit schob Gude Dose die Signale beiseite. Sie wünschte sich einen Neuanfang, etwas musste sich in ihrem Leben verändern, dieses Gefühl hatte sie schon lange.
Äußerlich stimmte alles: Die heute 51-Jährige hatte eine gut etablierte Praxis für Stimm- und Sprachtherapie mit acht Mitarbeiterinnen, war beruflich erfolgreich und bei ihren Patientinnen und Patienten anerkannt. „Ich habe vor allem mit eingeschränkten Kindern und Jugendlichen im Bereich Bewegung und Sprache gearbeitet – beides hängt ja eng zusammen!“. Doch die therapeutische Arbeit und die Verantwortung für den großen Praxisbetrieb zehrten an ihr. „Nach 13 Jahren war ich ausgebrannt, was ich erst im Nachhinein verstanden habe. Ich war total erschöpft und wollte raus aus diesem Arbeitsfeld. Ich habe zwei Kinder bekommen, hatte eine Trennung zu verarbeiten, viele persönliche Schicksalsschläge. Doch ich habe immer weitergearbeitet, mir nie Zeit für eigene Bedürfnisse genommen. Ich bin nur noch wie durch einen Tunnel in die Praxis gefahren und war nach der Arbeit für meine Kinder da. Sogar die Mittagspause habe ich noch mit einer Therapie gefüllt.“
„Mittendrin und auf der Suche“
Gude Dose besucht ein Berufsorientierungsseminar, kommt dann in den Kurs „Mittendrin und auf der Suche“ bei „Frau und Arbeit“. Dort bietet die Bremische Evangelische Kirche Bildung, Biographiearbeit und Beratung für Frauen an, die nach einer neuen beruflichen Zukunft oder einem Wiedereinstieg suchen. „In dem Seminar tauchte das erste Mal seit langem wieder die Frage auf: Was willst du eigentlich, wo liegen deine Fähigkeiten?“ Schon nach der Geburt ihrer ersten Tochter überlegte Gude Dose, wie sie sich ein anderes Standbein aufbauen könnte. „Das ging aber nicht neben meinen Rollen als Mutter und Praxisinhaberin.“
„Ich wollte von der Belastung frei sein“
Sie entschloss sich zu einem Schnitt. „Ich musste die Baustelle ‚Praxis‘ für mich beenden. Aus geordneten Verhältnissen habe ich einen ziemlichen Wechsel vollzogen.“ Der bedeutete auch wirtschaftliche Unsicherheit. Wohin ihre berufliche Reise künftig gehen sollte, war ihr zunächst unklar. „Aber ich wollte mich von der Belastung frei machen, weil mir die Arbeit keine Freude mehr machte. Früher bin ich öfter ins Ausland gegangen und habe auch alles hinter mir gelassen, um den Kopf frei zu kriegen. Mit der Verantwortung für Kinder geht das natürlich nicht.“
Eine neue, kleinere Praxis
Die Suche nach einem Neuanfang war schwieriger, als gedacht. „Ich hatte die Vorstellung, innerhalb eines Jahres ein neues berufliches Profil zu entwickeln. Ich wollte eigentlich aus dem Therapie- und Beratungsbereich raus, hatte Lust zu gärtnern oder etwas ganz anderes zu machen.“. Zwischendurch jobbte sie auf Honorarbasis als Integrationspädagogin, übernahm einzelne Sprachtherapien in der Praxis einer Kollegin und bot Seminare zu ‚Gesundheit und Stressbewältigung‘ an. Dann der entscheidende Anstoß: „Eine Freundin hat mich darauf gebracht, eine Fortbildung zur Traumatherapeutin (SE) zu beginnen. Eigentlich wollte ich gar nicht mehr therapeutisch arbeiten.“ Gude Dose entschied, Traumatherapie mit Sprach- und Stimmtherapie zu verbinden. Sie eröffnete eine neue, im Vergleich zu früher, kleinere Praxis für Trauma- und Sprachtherapie und beantragte 2013 wieder die Kassenzulassung als Sprachtherapeutin.
„ Ich kann heute arbeiten, wie ich möchte“
Gude Dose arbeitet heute anders als früher. „Nach einem längeren Weg habe ich meine Kompetenzen wiedergefunden, stelle mich nicht mehr selber in Frage, wie früher. Dazu haben mir auch die Frauen bei „Mittendrin und auf der Suche“ geholfen.“ Sie kenne ihre eigenen Grenzen heute besser. „Ich grenze bewusster meine Rolle ein. Früher bin ich in Therapien oft über meine Grenzen hinausgegangen.“ Der Neuanfang habe ihr gut getan, meint Gude Dose. „Ich kann endlich so arbeiten, wie ich arbeiten möchte. Für mich war die Einsicht heilsam, dass ich die Welt nicht rette, sondern anderen Menschen nur Anstöße gebe, ihre Situation zu verändern. Jeder Mensch hat einen Container, in dem er Kraftressourcen sammelt.“ Mit 51 Jahren hat sie neue Pläne. „Ich würde gern in Krisengebieten traumatisierte Menschen unterstützen. Wenn meine Kinder mich nicht mehr so intensiv brauchen, würde ich gern über Hilfsorganisationen für Kurzzeiteinsätze in Katastrophengebiete gehen.“ Sie habe gelernt, auch selber aufzutanken. „Beim Joggen, beim Singen oder beim Ausdruckstanz finde ich neue Kraft. Ich muss aber immer wieder daran arbeiten, mir dafür neben Beruf und Familie genug Zeit zu nehmen.“
Matthias Dembski
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