Wenn ich bei Google den Begriff „Verhütungsmittel“ eintippe, werden Suchergebnisse ausgespuckt, die bei mir eine Kettenreaktion verursachen. Stirnrunzeln, Kopfschütteln, Seufzen und schließlich ein zerknautschtes Lächeln, das mich wahrscheinlich aussehen lässt wie Hide-the-pain-Harold. Eigentlich ist mir nicht wirklich nach Lachen zu Mute, aber an die Absurdität der Realität – oder besser gesagt an ein Medizinsystem, das auf über die Hälfte unserer Gesellschaft nicht zugeschnitten ist – kann ich mich einfach nicht gewöhnen.
Aber zurück zu meiner Internetrecherche. Die erste Seite der Treffer lautet wie folgt: „Groß ist die Auswahl der Verhütungsmittel. Informieren Sie sich über die verschiedenen Verhütungsmethoden: Die Pille, Dreimonatsspritze, Vaginalring, Verhütungspflaster, Hormonimplantat.“ Alles Methoden für die Frau bzw. Menschen mit Uterus. Vielleicht kennt mich der Algorithmus einfach zu gut? Das ist jedoch recht unwahrscheinlich, angesichts der Tatsache, dass ich mich gerade nicht einmal vor meinem eigenen Rechner befinde. Mein zweites Suchergebnis, die „A-Z-Liste aller Verhütungsmethoden“, beinhaltet vierzehn verschiedene Verhütungsmittel, von denen nur ein einziges für den Mann funktioniert: Das gute alte Kondom. Ich spare es mir an dieser Stelle, von den nächsten Google-Vorschlägen zu berichten, geschweige denn weitere Worte über die zugehörige rosa eingefärbte Bildersuche mit einem zarten Hauch von hellblau zu verlieren.
Wer trägt die Verantwortung?
Meine Wanderung durchs World Wide Web lässt mich schlussfolgern: Verhütung ist in unserer Gesellschaft offenbar Frauensache. Logisch, denn sie haben nach dem (Hetero-) Sex ja auch das Kind an der Backe oder besser gesagt im Bauch und schließlich haben sie sich ja auch schwängern lassen. Oder nicht? Ich hoffe der Sarkasmus dieser Passage ist aufgefallen. Wer für was welche Verantwortung trägt, mag eine philosophische Debatte sein. Fair wäre es aber doch, wenn alle Beteiligten einer gemeinsamen Handlung gleichermaßen verantwortlich für jegliche Konsequenzen wären. Sofern diese Annahme gültig ist, drängt sich mir die Frage auf: Wieso gibt es dann nicht auch gleichermaßen viele Verhütungsmethoden für Männer wie für Frauen?
Die Qual der Wahl
Das bunte Sammelsurium an Verhütungsmitteln für die Frau ist schön und gut. Immerhin gibt es etwas Auswahl und man hat sich die Mühe gemacht, überhaupt Technologien für Frauen zu entwickeln. Bekanntlich ist das nicht der Normalfall, die Gender Data Gap lässt grüßen. Ebenso ist kritisch zu hinterfragen, für welche Zwecke man sich unverzüglich die Mühen macht, Technik für Frauen zu entwerfen, und für welche nicht – aber das ist ein anderes Thema. Das Angebot an Verhütungsoptionen für Männer auf dem Markt ist hingegen ziemlich kümmerlich. Kondome kennen wir alle. Ja, oft tun sie ihren Dienst. Wir kennen aber auch alle die Geschichten von Kondomen, die reißen, vergessen werden, abflutschen oder stören. Verhütungsmöglichkeit Nummer zwei nennt sich Vasektomie oder Sterilisation des Mannes. Hierbei werden die Samenleiter durchtrennt. Der Eingriff ändert nichts an den Körperfunktionen, dennoch gibt es Nachteile. Eine Rückoperation ist nur manchmal möglich, außerdem aufwändig und teuer. Und dann wäre da noch die Option des coitus interruptus und hierauf sollte wirklich nur setzen, wer das Risiko liebt. Sind wir ehrlich: Die Auswahl ist klein und nichts davon klingt wirklich rosig.
So einfach könnte es sein: Das Samenleiterventil
Dabei wurden längst unkomplizierte Alternativen für Menschen mit Penis entwickelt, von denen die gesamte Menschheit profitieren könnte – Clemens Bimek sei Dank! Bimek, eigentlich gelernter Tischler, hatte eine revolutionäre Idee namens Samenleiterventil (SLV). Anstatt wie bei der Vasektomie die Samenleiter zu durchtrennen, implantiert man ein Ventil, das in etwa so groß ist wie ein Gummibärchen und sich über einen Schalter betätigen lässt. Dieser Eingriff dauert etwa zwanzig Minuten. Im geschlossenen Zustand werden damit die Spermien abgeleitet und der Mann ist steril, wird der Kippschalter des Ventils betätigt, ist der Mann wieder zeugungsfähig. Klingt zu einfach. Wo sind die Nachteile? Was passiert mit den verbannten Spermien, verirren sie sich nicht vielleicht und schwimmen in Gebiete, wo sie nun wirklich nichts zu suchen haben und überhaupt: Ist das nicht alles völlig ungesund? Die Antwort lautet: Nein. Die umgeleiteten Spermien spazieren zurück in den Hodensack und werden in einem natürlichen Körpervorgang biologisch abgebaut, so wie alles andere für das der Körper keine weitere Verwendung mehr hat. Dieser Prozess nennt sich Phagocytose und findet sowieso jede Sekunde millionenfach im Körper statt. Bimek hat sein eigenes Verhütungsmodell bereits jahrelang im Selbstversuch getestet und verhütet damit erfolgreich. Ob das Ventil bald auch auf dem Markt zugelassen wird, muss vorerst eine medizinische Studie entscheiden, die sehr teuer ist. Hierfür haben sich jedoch schon über 4.000 Männer gefunden, die sich freiwillig als Versuchskaninchen anbieten möchten, außerdem gibt es Inzwischen einen Investor. Trotzdem werden wir uns noch eine Weile gedulden müssen, denn bis ein Medikament auf den Markt kommt, dauert es im Schnitt zwölf Jahre. Ärgerlich daran ist: Wir hätten viel schneller sein können, hätte sich die Forschung nicht selbst gebremst.
Die Pille und ihre Nebenwirkungen
In einer Doku des Y-Kollektivs heißt es: „Alle großen Pharmaunternehmen und auch die WHO haben die Forschung an neuen Verhütungsmitteln für den Mann aufgegeben.“ Bisher hat es weder eine mechanische noch eine hormonelle Verhütung für den Mann auf den Markt geschafft. Studien an Männern zur hormonellen Verhütung wurden immer wieder abgebrochen, weil man sich über lästige Nebenwirkungen beklagt hat. Die gleichen Nebenwirkungen übrigens, die Frauen derweil schon lange zum Zweck der Verhütung in Kauf nehmen. Muten wir Frauen bei der Verhütung also mehr Risiken zu? Der Beipackzettel der Anti-Babypille ist gefühlte Kilometer lang und von Magenschmerzen über depressive Verstimmungen bis hin zum drastisch erhöhten Thromboserisiko lässt die Liste an möglichen Begleiterscheinungen nichts aus. Und trotzdem ist sie in Deutschland nach wie vor das meist genutzte Verhütungsmittel. Denn die Entwicklung von Verhütungsmitteln ohne lästige Nebenwirkungen stagniert. Der Geschlechterforscher Fabian Henning appelliert an Männer, selbst aktiv zu werden und sich für mehr männliche Verhütungsmittel einzusetzen:
„Den öffentlichen Aufschrei, wenn so eine Studie abgebrochen wird, von Männern, den gibt’s ja nicht. Also wenn, dann gibt es ein paar Feministinnen, die sich in irgendwelchen Kommentarspalten auslassen, aber es gibt jetzt auch keinen Mann, der eine Demo anmeldet, weil er die Pille für den Mann will.“ (Fabian Henning)
Verständlicherweise. Wir wollen die Nebenwirkungen der Pille ja alle gerne hinter uns lassen, aber die Botschaft ist doch deutlich: Offenbar wird die Verantwortung für Verhütung weiterhin gerne bei den Frauen liegen gelassen. Das könnte laut Henning auch mit dem überwiegend vorherrschenden Verständnis von Männlichkeit zu tun haben. Vielleicht fürchten Männer um ihre Potenz und als unmännlich wahrgenommen zu werden, eben weil Verhütung bislang stark mit Weiblichkeit assoziiert wird. Das klingt unangenehm klischeehaft aber doch irgendwo einleuchtend. Heißt aber nicht, es müsste deshalb so hingenommen werden.
Schluss mit Stolperfallen für die Forschung
Die nächste Stolperfalle für den Fortschritt nennt sich Pharmaindustrie. Ohne Verschwörungstheorien in den Raum setzen zu wollen, muss angemerkt werden dürfen: Diese verdient sehr gut an der Pille, die inzwischen so preiswert geworden ist, dass sich der Aufwand für die Entwicklung einer männlichen Kontrazeption nicht lohnt. Davon erzählt auch der deutsche Mediziner Prof. Dr. Dr. Nieschlag, der sich seit Jahrzehnten für die Forschung an Verhütungsmitteln für Männer einsetzt. Er klärt auf: Die Bevölkerung sollte wissen, dass es bereits verschiedene solcher Methoden gibt, die nur noch fertig entwickelt werden müssen. Aber niemand tut es. Das ist meiner Meinung nach nicht nur belastend sondern noch dazu kontraproduktiv. Ein bisschen Hoffnung ist allerdings da: Kleine Forschungsteams oder gemeinnützige Stiftungen machen trotzdem weiter: In den USA laufen Studien an einem Vasalgel, in Indonesien Tests mit dem Wirkstoff der Pflanze Justicia Gendarussa. Mögen sie Erfolg haben! Denn ihr Erfolg könnte unser aller Erfolg sein.
Ein Schritt Richtung Gleichstellung
Klarzustellen ist, dass die Verantwortung für Verhütung damit nicht von der Frau rüber auf den Mann abgewälzt werden soll. Das Ganze bleibt eine individuelle Frage, die jede*r für sich zu klären hat. Aber alleine die Wahl zu haben – das wäre schon mal ein Anfang und Schritt in Richtung Gleichstellung von Mann und Frau. Wenn man bedenkt, wie viele Kinder ungeplant auf die Welt kommen, wie viele Abtreibungen es wegen ungewollter Schwangerschaft gibt und wie Frauen bislang an den Nebenwirkungen von Verhütungsmitteln leiden, sollten wir anfangen zu überlegen. Ich für meinen Teil glaube jedenfalls: Solange wie mich die Thematik der Verhütungsmittel blitzartig in Harold verwandelt, können wir noch nicht am Ziel angelangt sein.
Imke Bolz
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