Seit Jahrhunderten und bis heute orientiert sich ein großer Teil unserer Lebensrealität an wissenschaftlichen Daten. Nach ihnen richtet sich die Dosis von Medikamenten oder das Design von Autos (oder aktueller: die Größe von FFP2-Masken). In einer patriarchalen Welt stellen – eigentlich ja nicht überraschend – männliche Körper und Lebensrealitäten den Hauptbezugspunkt der gesammelten Daten dar. Wie weitreichend jedoch die Folgen der fehlenden Berücksichtigung von Frauen in der Forschung sind, fasst der Begriff des Gender Data Gap zusammen (übersetzt: Geschlechter-Datenlücke).
Diskriminierung von Frauen in der Medizin
Ein großer – wenn nicht sogar der größte und folgenreichste Bereich, auf den sich der Gender Data Gap auswirkt, ist der Bereich der Gesundheit und Medizin. Hierbei leistete die britische Autorin Carolina Criado Perez mit ihrem Buch „Invisible Women“ (hier Link zu deutscher Übersetzung des Buches) einen wichtigen Beitrag. Sie legt darin anhand zahlreicher Beispiele offen, welche Auswirkungen der Gender Data Gap für Frauen hat. Nicht selten bedeuten fehlende Daten schwere gesundheitliche Risiken für Frauen.
Raumtemperatur in Büros
Ein vergleichsweise harmloses Beispiel stellt die Raumtemperatur in Büros dar. Studien, die die optimale Raumtemperatur in Büros untersuchten, orientierten sich an der Stoffwechselrate eines 40-jährigen Mannes mit einem Körpergewicht von 70 Kilogramm. Neuere Studien stellten jedoch fest, dass diese im Schnitt 5 Grad zu kalt für Frauen ist.
Symptome bei Herzinfarkten
Die Gefahr, die der Gender Data Gap für die Gesundheit von Frauen darstellt, zeigt sich auch in der medizinischen Kategorisierung der Symptome bei Herzinfarkten. Symptome wie Schmerzen in der Brust und im linken Arm treffen hauptsächlich auf Männer zu. Bei Frauen hingegen treten eher Symptome wie Übelkeit, Erschöpfung und Atemnot auf. Nicht nur sind die Symptome bei Frauen weniger bekannt. Das medizinische Personal ist für diese auch weniger sensibilisiert, da die Symptome bei Frauen bislang zu wenig erforscht wurden. Diese Datenlücke führt dazu, dass Herzinfarkte bei Frauen oft zu spät oder gar nicht diagnostiziert werden. Studien zeigen, dass beispielsweise in Großbritannien Frauen zu 50 Prozent häufiger eine Fehldiagnose erhalten als Männer.
Schmerzlindernde Behandlung
Eine weitere Studie stellte heraus, dass Frauen in der Notaufnahme länger auf ihre Behandlung warten mussten als Männer. Und das bei gleicher Schmerzrate. Frauen bekamen außerdem viel seltener schmerzlindernde Medikamente als Männer. Es ist wahrscheinlich, dass hierbei auch geschlechterspezifische Vorurteile eine Rolle spielen. Frauen wird – ausgehend von sexistischen Stereotypen – eine höhere Sensibilität unterstellt und dementsprechend werden ihnen weniger Schmerzmittel verschrieben.
Crash-Dummies bei Autos
Die Frauengesundheit gefährdend wirken sich auch die Unfalltests bei Autos aus. Denn die Crash Dummies, die genutzt werden, richten sich nach der männlichen Durchschnittsgröße und dem männlichen Durchschnittsgewicht. Frauen sind deswegen bei Unfällen weniger gut geschützt als Männer und werden somit häufiger verletzt oder getötet.
Die Erkenntnis über den Gender Data Gap ist da – Was jetzt?
Mit zahlreichen Studien lässt sich also zeigen: den Gender Data Gap gibt es wirklich. Durch die Übertragung von Daten, die an Männern gemessen wurden, werden Frauen strukturell in der Medizin, im Verkehr, bei der Arbeit und in vielen anderen Lebensbereichen diskriminiert. Doch was können wir nun mit den zahlreichen Beispielen und Erkenntnissen anfangen?
Das Wissen über den Gender Data Gap macht drei Dinge deutlich:
1. Wissenschaft ist nicht objektiv! Sie bildet Diskriminierung nicht nur ab, sondern rekonstruiert diese auch.
2. Nicht nur Frauen leiden unter der Datenlücke, sondern auch beispielsweise nonbinary Personen und trans Menschen. Da die Mehrheit der Daten sich an cis Männern orientiert, werden auch diese Personen diskriminiert, die sich nicht als cis Männer verstehen. Es gibt laut Perez zum Beispiel zu wenige Daten darüber, wie trans Personen, die Hormone zu sich nehmen, auf bestimmte Medikamente reagieren. Ein Umdenken muss dahingehend stattfinden, dass wissenschaftliche Daten alle Menschen – egal welchen Geschlechts – berücksichtigen. Dabei sollte eine binäre Einteilung in Männer und Frauen überwunden werden.
3. Nicht nur das Merkmal Geschlecht, sondern auch viele weitere Merkmale wie Hautfarbe oder sozioökonomischer Hintergrund spielen eine Rolle. Nicht zuletzt auch bei der medizinischen Versorgung. Studien belegen, dass nicht-weiße Menschen eine schlechtere medizinische Versorgung erhalten als weiße Menschen. Grund dafür sind rassistische Denkmuster. Der Gender Data Gap zeigt also, wie falsch die Annahme ist, dass Wissenschaft objektiv und unvoreingenommen ist. Dabei ist es unbedingt erforderlich, dass eine intersektionale Perspektive in der wissenschaftlichen Forschung und Datengenerierung immer weiter etabliert wird.
Internationaler Tag der Frauengesundheit
Frauengesundheit ist ein wichtiger Indikator für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Zum diesjährigen Internationalen Tag der Frauengesundheit ist es wichtig, zu hinterfragen, wie und warum Frauen seit Jahrhunderten unsichtbar gemacht werden. Das Ziel muss dabei die Schaffung einer Gesellschaft sein, die nicht nur für Männer gemacht ist.
Doch genauso wie sexistische Strukturen spiegeln sich auch andere Ungleichheiten und Diskriminierungsformen in der Forschung wieder. Deswegen müssen ebenso rassistische, klassistische, ableistische und weitere Diskriminierungen in der Wissenschaft offengelegt und bekämpft werden.
Naomi
Daniel meint
Wirklich ein sehr wichtiges Thema, das noch nicht genug Aufmerksamkeit erhält.
Ich bin gerade über ein sehr sehenswerte Video von Aurel Mertz darauf aufmerksam geworden:
https://www.zdf.de/comedy/aurel-original/210916-datagap-aos-100.html
Ricarda meint
Hallo Helmut!
Wenn ich heute im Auto sitzend einen Unfall hätte würde der Sicherheitsgurt mir als erstes den Kopf abschneiden. Weil: Er ist auf eine viel längere Körpergröße eingerichtet als meine. Und er ist nicht verstellbar.
Helmut meint
Hallo Ricarda!
Eine Größe passend für alle – das gibt es doch beim Gurt gar nicht! So weit ich weiß kann man den Gurt – verstellen! Sowohl in der Höhe, am Holm, wo man die Gurt-Halterung rauf und runter verschieben kann, als auch durch die Höhenverstellung des Sitzes.
Wenn ich persönlich, mit 1,85 m Größe, in ein Auto steige, in dem zuvor ein 2-m-Riese gesessen hat, und nichts an Sitz und Gurteinstellung ändere, dann, natürlich, würde mir der Gurt den Kopf abreissen.
Aber so dumm ist doch niemand, dass er ins Auto steigt und weder Gurt noch Sitz ganz einfach auf seine individuellen Maße einstellt, oder?
ALso: seit Jahrzehnten bereits, um wieder auf die hanebüchenen Aussagen des Artikels zurückzukommen, wird der Einstellbereich von Sitz und Gurt sowie die Funktion von Airbags selbstverständlich mit Hilfe von Männer-, Kinder- und, ja, klare Sache das, natürlich auch Frauen-Dummies ermittelt. Fakten!
Ime meint
Hallo Helmut,
stell dir vor: das mit der Verstellmöglichkeit des Gurtes habe ich durchaus schon entdeckt und selbstverständlich alle Einstellungen ausprobiert. Und selbst bei der für mich besten Einstellung in meinem eigenen Wagen sitzt der Gurt bei mir am Halsansatz – und das bei einer für eine Frau durchaus durchschnittlichen Körpergröße! Also würde es mir im Falle eines Unfalls wohl so ergehen wie Ricarda es beschrieben hat. Du hast aber insofern recht: wenn ER ins Auto steigt und nicht dumm ist, kann ER Gurt und Sitz auf SEINE individuellen Maße einstellen. Für SIE gilt das aber nicht. Fakt!
Helmut meint
@ Ime:
Bist du mit deinen Körpermaßen und dem Auto der Auswahl deines Autos in irgendweiner Weise repräsentativ? Inwiefern bist du der Beweis, dass „Die Frauen“ im Allgemeinen in der Konzeption von Autos nicht oder falsch einbezogen werden? Ich denke, selbst wenn du in irgendeiner Weise repräsentativ sein solltest, was ich bezweifle, dann musst du die Normen für weibliche Dummies kritisieren! Dann muss die Industrie ihre Frauen-Dummies abschaffen und durch welche ersetzen, die deinen Körpermaßen entsprechen, weil du ja irgendwie die „typische“ Autofahrerin bist, oder? Mit den anders konzipierten Dummies für Durschschnitts-Männer und mit einer damit einher gehenden Frauen-Diskriminierung hat das allerdings nix zu tun.
Aber da du mit Sicherheit nicht „die repräsentative“ Frau bist, ist dein Beitrag nichts als eine Anekdote. Und, Fakt, anekdotische „Beweise“ – sind gar keine!
Ricarda meint
Nu ist gut, Helmut.
Sei gegrüßt
Helmut meint
„Ricarda meint
29. Mai 2021 um 12:33
Nu ist gut, Helmut.
Sei gegrüßt“
Klar. Und es ist ja auch alles gesagt.
Schönen Tag aus dem gerade mal sonnigen Köln wünsche ich dir auch!
Helmut meint
So ein dummes Zeug.
Wer erinnert sich noch an die siebziger Jahre? An die ADAC-Zeitschrift von damals? Und an die ganzseitigen Fotos in der Imagewerbung für die damals eingeführte Gurtanschnallpflicht? Eine ganze klassiche Kernfamilie war das, aus Mann, Frau und Kind – als Dummies! Frauendummies in der Unfallforschung Gab es damals schon längst. Und dieser Artikel behauptet tatsächlich, dass es so etwas nicht gäbe? Dummes Zeug!
Und dass man in der Forschung auf männliche Strafgefangene und Soldaten zurückgegriffen hat, die natürlich keinerlei Mitspracherechte hatten sondern einfach gebraucht wurden, das wird nun als Diskriminierung von Frauen dargestellt, und nicht als Frauen-Privileg?
Und die Heizung, die schon seit langem nach ökologischen Gesichtspunkten auf Niedrigtemperatur heruntergeregelt wird – die können Frauen nicht mit einem Pullover oder wärmerer Kleidung austricksen? Auch Männer frösteln, für das Klima, is klar, und ziehen sich halt warm an. Aber nur Frauen sind strukturell diskriminiert? Was für ein dummes Gerede!°