Am 30. Mai war Dr. Leonie Zilch im Kukoon zu Gast und sprach im Rahmen der Ringvorlesung Critical Porn Studies über das Thema „Pornografie zwischen Authentizitätseffekten und dokumentarischen Zuschreibungen“. Hier folgt nun der nächste Recap!
Dr. Leonie Zilch studierte 2010 bis 2016 Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Philosophie und Germanistik an der Goethe-Universität Frankfurt. Danach war sie Kollegiatin des Deutschen Forschungsgemeinschaft-Graduiertenkollegs „Das Dokumentarische. Exzess und Entzug“ an der Ruhr-Universität Bochum. Im Jahr 2020 promovierte sie im Rahmen des Kollegs mit der Dissertationsschrift „Erregende Dokumente. Pornografie und dokumentarische Autorität“, welche voraussichtlich September 2023 frei zugänglich erscheinen wird. Seit Oktober 2020 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin der Filmwissenschaft am Institut für Film-, Theater-, Medien- und Kulturwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Pornografie als kulturelles Konstrukt
Wie bei den meisten Vorträgen bisher, beginnt auch Leonie Zilch mit einem kurzen Diskurs zur Pornografie allgemein. Damit steckt sie ihren Forschungsbereich ab und macht deutlich, mit welchem Verständnis von Pornografie sie arbeitet. Sie macht deutlich, dass es nicht die Pornografie gibt, denn was unter diesem Begriff verstanden wird, ist stark kontextabhängig. Was damals noch synonym mit obszön, anstößig und unangemessen verstanden wurde, ist heute teilweise anders: Begriffe wie Food Porn und Travel Porn zeigen, das was als pornografisch gilt, kulturell, gesellschaftlich und zeitlich bestimmt ist. Pornografie bleibt ein kulturelles Konstrukt. Leonie Zilch nutzt für ihre Forschung die funktionale Ebene der legalen Pornografie, das bedeutet, dass Pornografie in diesem Verständnis dem Zweck der sexuelle Stimulation dient.
mainstream, feministisch und Gonzo
„Wenn ihr an kostenlose mainstream Pornos von großen Websites denkt, welche Begriffe kommen euch da in den Sinn?“ Leonie Zilch beginnt mit diesem Gedankenexperiment gerne Seminare und die Ergebnisse gleichen sich oft: ein meist negatives und einseitiges Bild von mainstream Pornografie. Wörter wie „unrealistisch“, „objektifizierend“ oder „übertrieben“ werden häufig genannt. Wenn die Teilnehmenden dann hingegen an feministische oder queere Pornografie denken sollen, fällt das Ergebnis meist viel positiver auf. Realismus und Diversität werden dieser Art von Pornografie gerne gut geschrieben, doch woran liegt das und kann das problematisch sein?
Feministische Pornografie entwickelte sich als Gegenbewegung zum heteronormativen und -sexuellen mainstream Porno und grenzt sich von dieser angeblich „unauthentischen“ Darstellung ab. Dadurch schreiben sich einige Filmschaffende der feministischen Pornografie eine Authentizität zu, welche sie in ihren Filmen dokumentarisch einfangen. Authentische Sexualität und echte Leidenschaft sollen weibliche Lust beweisen. Dabei bezeichnen sich die Filmschaffenden nicht nur selbst als Dokumentar*innen, auch von wissenschaftlicher Seite fallen oft solche Zuschreibungen. Interviews mit den Darsteller*innen, die beteuern wie frei und gut der Sex war, sowie Behind-the-Scenes Material sollen die Perfomance im Porno echter wirken lassen. Die Beweise der Lust (Stöhnen, Samenerguss, Squirting etc.) wollen vom Publikum gesehen und nochmals bestätigt werden.
Ähnliche dokumentarische Stilmittel nutzt auch der Gonzo Porn, in dem oft einzelne Hardcore-Szenen meist aus der Perspektive eines Darstellers gefilmt werden. Neben den Interviews und Behind-the-Scenes Material, soll durch Point-of-View Shots, Handkameras und möglichst wenige Schnitte im Film ein Gefühl von „Echt-Zeit“ entstehen. Die Interviews mit den Darsteller*innen sollen auch hier wieder bestätigen, dass alles einvernehmlich geschieht, Spaß macht und authentisch ist. Gonzo Porn macht mittlerweile den Großteil der mainstream Pornografie aus.
Sex work = work
Ein Problem an diesen Authentizitätszuschreibungen und dem Verschwimmen von Performance und Realität ist, dass dadurch eine Unsichtbarmachung der Sexarbeit erfolgt. Pornos drehen – also im wesentlichen eine Performance des Sex abliefern – ist und bleibt Arbeit, unabhängig davon ob es den Darsteller*innen wirklich Spaß gemacht hat. Von den Darstellerinnen wird erwartet die „authentische weibliche Lust“ zu verkörpern, nicht nur weil das Genre es verlangt, auch aus ökonomischer Sicht ist dies relevant. Hier stellt sich dann die Fragen, inwiefern negativ ausgedrückte Gefühle (Unlust, Langeweile etc. beim Filmen) in den Interviews bei den Zuschauenden ankommen würden. Auch Interviews mit Journalist*innen und Wissenschaftler*innen sind eine Form der Arbeit, die die Darsteller*innen leisten und dennoch nicht genug wertgeschätzt wird: Viele müssen sich mit schlechter Bezahlung, Herablassungen und Vorurteilen herum schlagen.
Leonie Zilch wirft einen kritischen Blick auf die Authentizitätszuschreibungen von Pornografie. Auch im Publikum lassen sich Fragen und weitere Überlegungen beobachten. Warum verlangen wir von Pornografie Authentizität, aber nicht von anderen Medien? Ist nicht der ganze Sinn von Pornografie eine Sichtbarmachung der Sexualität? Kann etwas authentisch sein, wenn eine Kamera mit filmt? Was ist überhaupt „authentischer Sex“? Es war wieder mal eine spannende Veranstaltung und ich freue mich auf die nächste!
Kommende Veranstaltungen
Der Link zu der kommenden Veranstaltung und weitere Infos zur Ringvorlesung findet ihr beim IKFK Bremen.
20. Juni 18:30 Uhr – nur online – auf Englisch – „Flaunting, Flourishing, and Fucking: The Pleasure and Politics of Queercrip Porn“ mit Loree Erickson
27. Juni 18:30 Uhr – Universität Bremen, HS 2010 – hybrid – auf Englisch – „On Relations of Class, Race and Labor in Pornography and Sex Work in the U.S.“ mit Mireille Miller-Young
11. Juli 18:30 Uhr – Universität Bremen, HS 2010 – „Sexualisierte Nazis. Pornografisierung und Subjektivierung gestern und heute“ mit Julia Noah Munier
Isabella
Quellen:
Zilch, L. (2021). Die Last des Lustbeweises. Authentifizierungspraktiken in zeitgenössischer Pornografie. Frauen und Film, 69, 113-124.
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