Dass Familie mehr bedeutet als Vater, Mutter, Kind sollte allen klar sein. Was oder wer eine Familie ist, ist nicht geschlechtsabhängig. Zwei Mütter mit Kindern sind genauso familiär gebunden und wertvoll wie die heterosexuelle Kernfamilie. Leider stellen Geschichten in Filmen oder Büchern oder die Vorzeige-Familien in IKEA-Katalogen doch fast ausschließlich Letztere dar. Wie eine Regenbogenfamilie abseits von heteronormativen Bildern aussehen kann und welche Schwierigkeiten gleichgeschlechtliche Eltern gegenüber heterosexuellen haben, habe ich Anna gefragt. Ihren Namen habe ich geändert, da sie gerne anonym bleiben möchte.
„Die soziale Familie ist genauso eine wahre oder richtige Familie wie meine Eltern und Geschwister“
In welcher Familienkonstellation lebst du?
Zur Zeit lebe ich mit meiner Partnerin und unserem 10-jährigen Kind zusammen. Meine Partnerin und ich haben zu Beginn der Familiengründung entschieden, uns verpartnern zu lassen, damit wir beide rechtliche Eltern unseres Kindes werden konnten.
Welche Bedeutung hat Familie für dich?
Familie sind für mich alle Beziehungen, in denen sich Menschen über einen längeren Zeitraum und mit einer gewissen Verbindlichkeit und Stabilität fürsorgend aufeinander beziehen. Das können Mehrelternfamilien sein, größere Wohnzusammenhänge genauso wie die Kleinfamilie – und das unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer wahrgenommenen Geschlechtlichkeit.
Für mich bedeutet es, dass ich neben meiner kleinen Familie auch ein Wahlfamilie habe, die mir sehr viel bedeutet. Meine Wahlfamilie sind die Menschen, die ich mir ausgesucht habe und mit denen ich mich genau wie eine Familie verbunden fühle. Die soziale Familie ist genauso eine wahre oder richtige Familie wie meine Eltern und Geschwister.
Welche Wege gibt es für zwei Frauen in einer Partnerinnenschaft ein Kind zu bekommen?
Für zwei (cisgeschlechtliche) Frauen gibt es verschiedene Wege: Entweder bringt eine oder beide schon Kinder aus früheren heterosexuellen Beziehungen mit oder sie planen ihre Familiengründung in ihre Partner*innenschaft hinein: Dann benötigen sie entweder einen privaten Samenspender oder eine medizinisch assistierte Samenspende, zum Beispiel aus einer Samenbank. Andere Optionen sind die Familien mit Pflege- oder Patenkindern oder die Adoption, die seit Einführung der Ehe für Alle rechtlich möglich ist.
„Rechtlich gesehen bist du eine alleinerziehende Mutter“
Hast du Hürden bei der Familienplanung/-gründung wahrgenommen, denen Familien mit einem männlichen und einem weiblichen Elternteil nicht begegnen?
O ja. Zunächst einmal ist es super, dass die rechtlichen Verbesserungen tatsächlich dazu geführt haben, dass queere Menschen sich immer mehr ihren Familienwunsch auch realisieren können und davon haben auch wir profitiert. Trotzdem gibt es unendlich viele rechtliche Hürden, die bewältigt werden müssen und es braucht einen sehr langen Atem bis die Familie so rechtlich abgesichert ist wie eine heterosexuelle Familie und natürlich führt dies gerade in den ersten Jahren der Familiengründung zu Unsicherheiten und Ängsten.
Das eigene Wunschkind wird geboren, hat zwei oder mehr soziale Elternteile, aber rechtlich gesehen bist du eine alleinerziehende Mutter. Die Fragen sind dann: Was passiert bei einem Unfall der leiblichen Mutter? Wer erhält das Sorgerecht? Was ist bei Konflikten und Krisen in der Beziehung, solange es nur einen rechtlichen Elternteil gibt? Und so ganz banale Dinge. Nur die rechtliche Mutter kann die Einwilligung für eine medizinische Behandlung des Kindes geben. Nur die rechtliche Mutter kann den Kitaplatz anmelden oder ein Konto eröffnen. Gerade für die nicht-rechtliche Mutter ist die Zeit bis zur rechtlichen Annahme des Kindes oft eine angstbesetzte Zeit. Das dauert meist mindestens ein Jahr und hält einige bürokratische Anforderungen bereit.
„Natürlich braucht es eine modernisierte Eltern-Kind-Zuordnung“
Gibt es gesellschaftliche/politische Änderungen, die du dir wünschen würdest um die Gleichberechtigung von Familien mit gleichgeschlechtlichen Partner*innen voranzutreiben?
Ein Langzeitziel ist natürlich, dass das gesellschaftliche Bild von dem, was Familie ist, sich langfristig in den Köpfen ändert. Dass ganz viele Bilder aufploppen und dies auch in Unterrichtsmaterialien, in (Kinder-)Büchern, in Urkunden, Anmeldeformularen von Kitas, Geburtsvorbereitungskursen etc. sichtbar wird.
Und natürlich braucht es eine modernisierte Eltern-Kind-Zuordnung. Eltern sind diejenigen, die sich dauerhaft um das Wohl eines Kindes kümmern. Dafür muss endlich der 2019 vorgelegte Entwurf zur Überarbeitung des Abstammungsrechts weiter bearbeitet werden. Längst nicht alle Lebensrealitäten sind in dem Entwurf abgebildet, aber es wäre zumindest ein Anfang, wenn Elternteile von Kindern, die in eine bestehende Regenbogenfamilie hineingeboren werden, automatisch auch rechtlich gesehen die Eltern dieses Kindes werden.
Ein möglicher Anlaufpunkt für Regenbogenfamilien, sich zu vernetzen und auszutauschen bietet beispielsweise das Rat&Tat Zentrum in Bremen und einen Flyer zum Thema könnt ihr euch hier über die Seite des familiennetzes bremen herunterladen.
Luise
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