Triggerwarnung: Dieser Artikel könnte triggern (d.h. Angst oder traumatische Erinnerungen auslösen und sehr unangenehme Gefühle hervorrufen). Die Inhaltswarnung bezieht sich auf sexualisierte Gewalt.
Sexuelle Belästigungen und Übergriffe gehören zum Arbeitsalltag von Pfleger*innen. Diese sexualisierte Gewalt bleibt nicht ohne Folgen für die Betroffenen. Die Pandemie hat gezeigt, wie relevant Pfleger*innen für unsere Gesellschaft sind – sie sind unverzichtbar. Im Zuge dessen wurden medial die Arbeitsbedingungen der Pfleger*innen immer wieder diskutiert. Dennoch ist sexualisierte Gewalt in der Gesundheitsbranche immer noch ein Tabuthema.
Die sexy Krankenschwester
Dritter Stock, Bremer-Altbau, WG-Party und das Motto: Kindheitsheld*innen, Berufe und Uniformen, Great Gatsby. Kultige Kostümparties haben Hochkonjunktur. Die Auswahl an Kostümen, online, im Fachgeschäft oder auch gerne mal beim Supermarkt des Vertrauens, ist vielfältig: Bella Ciao-Masken und Anzüge, Outta Space, Pinky Blinders, der Retro-Look. Es gibt gewisse Kostüme, die sozusagen zum Standardrepertoire gehören. Dazu gehört auch das Kostüm der Krankenschwester: es kommt meist mit einer weißen Haube, einem weißen kurzen engen Kleid, weißen Strapsen und roten Highheels. Ziemlich sexuell aufgeladen für ein Kostüm, welches Arbeitskleidung nachahmen soll.
Wann sehen Krankenschwestern eigentlich so aus? Und die echte Arbeitskleidung der Pfleger*innen?! Ein weißer Kasack, der nicht mal im Ansatz einen körperformenden Schnitt aufweist, und dazu: Sneaker oder Latschen – auf jeden Fall mit dicker und dämpfender Sohle – irgendetwas Bequemes. Das war’s. Nun ja, bei dem einen Outfit handelt es sich um ein Kostüm und bei dem anderen um Arbeitskleidung. Dennoch zeigt das Beispiel schon, dass die Rolle der Krankenschwester doch an der einen oder anderen Stelle sexuell aufgeladen ist.
Sexualisierte Gewalt am Arbeitsplatz
Pfleger*innen haben nicht den sexy oder romantischen Arbeitsalltag, den die Kostüme oder Serien wie Grey’s Anatomy vermitteln. Der Job ist hart und eher von Fremdsekreten als von geschmackvollen Flirts geprägt – eher Kategorie unsexy und unromantisch. In diesem Artikel möchte ich über die geschmacklosen Flirts und sexuellen Übergriffe von Patient*innen gegenüber Pfleger*innen sprechen. Tragischerweise gehören sexualisierte Übergriffe nahezu schon zum Arbeitsalltag von Pfleger*innen. Dabei sind Schilderungen wie folgende keine Einzelfälle:
Häufig laufen Pfleger*innen in Situationen wie der Intimwäsche, Mobilisierungen oder in dem allgemeinen Umgang mit Patient*innen Gefahr, sexuellen Übergriffen ausgesetzt zu sein. Patient*innen liegen nackt mit gespreizten Beinen im Bett, fordern sexuelle Handlungen, berühren Pfleger*innen an den Brüsten, Po oder zwischen den Beinen. Auch Sprüche wie: „Bei so einer hübschen Schwester kann ich ja nicht anders“ sind an der Tagesordnung. Diese Vorfälle sexuelle Übergriffe werden unter sexualisierter Gewalt gefasst.
Was ist sexualisierte Gewalt?
Sexuelle Belästigung ist Jeder*m ein Begriff. Viele haben eine mehr oder weniger klare Vorstellung, was darunter verstanden werden kann. Dies könnte beispielsweise eine ungewollte Hand auf einem Po oder eine Hand im Schritt einer betroffenen Person sein. Dennoch wird häufig auch von sexualisierter Gewalt gesprochen und es nicht unbedingt klar, wo hier die Unterschiede liegen.
Wenn wir von sexueller Belästigung sprechen, können wir auch von sexualisierter Gewalt sprechen. Das neue Wording stellt die Gewaltausübung in den Vordergrund und nicht die Befriedigung des Täters. Sexualisierte Gewalt kann in unterschiedlichen Formen stattfinden und muss nicht ausschließlich körperlich stattfinden. Denn: „Sexualisierte Gewalt ist jegliches sexualisierte Verhalten, welches die Würde der Betroffenen verletzt“. Dies können beispielsweise frauenfeindliche Kommentare, anzügliche Blicke, verbale Nötigungen oder ungewollte sexuelle Berührungen sein. Sexualisierte Gewalt kann überall stattfinden und ist damit nicht an Räumlichkeiten gebunden.
Ausmaß in der Gesundheitsbranche
Eine Studie (2020), die in Zusammenarbeit der Berufsgenossenschaft (BGW) und der Universität Hamburg entstanden ist, untersucht das Ausmaß und die Folgen sexualisierter Gewalt gegenüber Pfleger*innen. Dabei unterscheiden die Wissenschaftler*innen sexualisierte Gewalt in drei Formen: 1. Die verbale sexualisierte Gewalt. Dies können sexuell anspielende Bemerkungen sein, wie zum Beispiel sexualisierte Witze. 2. Non-verbale sexualisierte Gewalt. Dies kann beispielweise das Entblößen von Körperteilen sein. 3. Körperliche Gewalt. Dies sind ungewollte kurze Berührungen, bis hin zu massiven Übergriffen.
Für die Studie wurden 901 Pfleger*innen aus unterschiedlichen Gesundheitsbranchen (Krankenhäuser und psychiatrische Einrichtungen, Pflegeeinrichtungen und Behinderteneinrichtungen) befragt. In allen Gesundheitsbranchen gaben die Befragten an, dass sexualisierte Gewalt innerhalb der letzten 12 Monate stattgefunden habe. Am häufigsten wird verbale sexualisierte Gewalt ausgeübt. Hier gaben 67 Prozent der Befragten an, dass sie verbale sexualisierte Gewalt in den letzten 12 Monaten erlebt haben. 63 Prozent der Befragten gaben an, Betroffene nonverbaler sexualisierter Gewalt zu sein. Hier sind insbesondere mehr Männer als Frauen betroffen. Bei den anderen beiden Formen von Gewalt waren Frauen häufiger betroffen als Männer. Die körperliche Gewalt findet am seltensten statt. Ein wenig mehr als die Hälfte der weiblichen Beschäftigten gaben an, körperliche sexualisierte Gewalt in den letzten 12 Monaten erfahren zu haben. Insgesamt zeigt sich, dass die Quoten der Betroffenheit von sexualisierter Gewalt in der Gesundheitsbranche sehr hoch sind.
Folgen der sexualisierten Gewalt
Die Studie zeigt, wie extrem Pfleger*innen sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind. Dies hat einen Einfluss auf die psychische Gesundheit der Pfleger*innen. Die Studie stellte zudem weiterhin fest, dass die Erfahrung der sexualisierten Gewalt mit emotionaler Erschöpfung, Depressivität und psychosomatischen Problemen zur Folge haben kann. Dabei scheint es so, dass die Betroffenen häufig mit dem Problem allein gelassen werden, denn ein Drittel der Befragten gaben an, dass ihnen keine Maßnahmen der Einrichtungen gegen sexualisierte Gewalt bekannt sind. Dabei sind Arbeitgeber*innen dazu verpflichtet, ihre Arbeitnehmer*innen zu schützen und entsprechende Vorkehrungen zu treffen.
Pfleger*innen halten den Laden am Laufen
Pfleger*innen generieren einen sehr hohen Mehrwert in unserer Gesellschaft, auf den wir nicht verzichten können. Wem das vorher nicht bewusst war, weiß dies spätestens seit der Pandemie. Es ist gut, dass endlich die Arbeitsbedingungen der Pfleger*innen in unserem Gesundheitssektor auch medial diskutiert werden. Dennoch reichen Klatschen und Lippenbekenntnisse nicht aus. In vielerlei Hinsicht müssen sich die Arbeitsbedingungen der Pfleger*innen verbessern. Dies betrifft nicht nur die finanzielle Entlohnung, sondern auch die Rahmenbedingungen, die die psychische und körperliche Unversehrtheit der Pfleger*innen schützen sollten.
Mara
Schreibe einen Kommentar