Leises Rauschen wurde zu einem dumpfen Trommeln und Donnern. Getaucht in warmes gelbes Licht nahmen die Tänzer*innen von „The Garden“ das Publikum mit in eine andere, magische Welt.
„The Garden“ von Yolanda Morales erzählte aus einer dekolonialen Perspektive die Geschichte der Grenzregion Nordmexikos. Während das Publikum den Saal betrat, standen die Tänzer*innen schon auf der dunklen Bühne. Von der Decke hingen in Streifen weißen Tüchern, wie die Falten eines Bettlakens. „The Garden“ begann still, allmählich wurde das warme gelbe Licht heller und in einem mehrsprachigen Sprechgesang sanken die Tänzer*innen zu Boden. Wie vom Wind geweht bewegten sie sich langsam über den Boden. Aus dem Off erzählte eine Stimme die Geschichte eines Garten in einer Wüstenlandschaft. Im Kontrast zu den langsamen Bewegungen vom Anfang erzählte der Körper der Tänzer*innen mit schnellen, ruckartigen Bewegungen diese Geschichte. So wurde der Körper zur Natur, die Arme zu den Ästen eines Baumes, der ganze Körper zu einem Stein.
Körper erzählen die Geschichte
Ein Detail, das bei dem Tanz immer wieder auffiel, waren die Hände. Mal waren die flachen Handflächen klein und eng am Körper, als würden die Tänzer*innen so wenig Platz wie möglich einnehmen wollen. Dann spreizten sich die Finger wieder weit. Die Bewegungen wurden größer und die Arme streckten sich nach den anderen auf der Bühne aus. Ab und zu bildeten die Frauen Fäuste, mit denen sie den Oberkörper auf und ab kreisten. Es schien, als würden sie etwas an ihrem Körper zermalmen.
Yolanda Morales ist Choreografin, Tänzerin und Performerin, und lebt seit einigen Jahren in Hamburg. Mit „The Garden“, eine Weiterentwicklung des Stückes „The Garden of Falling Sands“, war sie am 20. und 21. Oktober zum dritten Mal in der Schwankhalle. Sie kommt aus Chiapas in Südmexiko, in der Grenzregion zu Guatemala. Dadurch ist sie stark interessiert an Geschichten von Grenzgebieten, deren Spannungsfeldern, und den Folgen von Kolonialismus und Kapitalismus. Teil der Choreografie von „The Garden“ ist der Tanzstil Cumbia Colombiana, ein Tanz, der sich in der Stadt Monterrey entwickelt hat. Morales reiste 2022 dorthin, um mehr über den Tanz und dessen Geschichte von den Menschen vor Ort zu lernen. Die mexikanische Stadt an der Grenze zu den USA leidet stark unter Wassernot, Wasser das aktiv von Firmen aus dem Gebiet gestohlen wird. Die Musik des Cumbia Colombiana ist eine Musik der Arbeiterklasse, und hilft besonders marginalisierten Jugendlichen, ihre eigene Kultur und kollektive Identität zu finden.
Cumbia Colombiana als Widerstand
In ihrer eigenen Recherche zu der Musik und des Tanzes der Cumbia Colombiana schreibt Yolanda Morales darüber, wie die dazugehörige Subkultur einen Raum bietet, den Einflüssen des neoliberalen Kapitalismus entgegenzuwirken. Die Elemente des Tanzes, mit Musik aus Kolumbien und getanzt von mexikanischen Arbeiter*innen, die sich oft wegen ihrer Arbeit von Ort zu Ort bewegen, lassen sich nicht einfach einordnen. Die Identitäten der Grenzregion widerstehen essentialistischen und kolonialen Kategorisierungen. Widersprüche spiegeln sich so im Tanz am Körper wieder, Widersprüche, die aber miteinander im Dialog sind und in der Choreografie von „The Garden“ wiederzufinden waren. Der Tanz wechselte von hypnotisch langsamen zu schnellen und hektischen Bewegungen.
Immer wieder waren die Tänzer*innen getrennt voneinander, mal zu zweit während eine etwas Abseits blieb, mal jede für sich. Besonders in Momenten, in denen Cumbia Colombiana getanzt wurde, schienen alle drei zueinander zu finden. Doch die Heiterkeit dieser Augenblicke hielt nicht bis zum Ende an. Das Licht wurde weiß und kalt, die Bühne wirkte zum ersten Mal abweisend, und aus dem Off sprach eine verzerrte Stimme. Der Tanz wurde hektischer, mit ruckartig zuckenden Armen bewegten sich die Tänzer*innen über die Bühne. Die Hände wurden mit zwei Fingern zu einer Pistole gehalten, und mit manischem Grinsen im Gesicht machten die Frauen Kreuzzeichen, hielten sich die Finger an die Lippen und an den eigenen Kopf. Der Blick richtete sich in Fratzen auf das Publikum. Die Tänzer*innen wurden langsamer, und sanken erschöpft auf den Boden. Während sie dort zitternd saßen, sprach die Stimme aus dem Off: Sie können nicht mehr aufstehen.
Die Performance mit ausdrucksstarkem Tanz und eindringlicher Musik bleibt im Gedächtnis. Wer die Gelegenheit hat, „The Garden“ von Yolanda Morales oder andere ihrer Arbeiten zu sehen, sollte das auf jeden Fall tun!
Juliette
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