Frau Dr. phil. Reyhan Şahin, auch bekannt als Lady Bitch Ray, hat eine ungewöhnliche Geschichte. Sie spielt mit der Sprache, vereint Wissenschaft mit Rap und erreicht so neue Zielgruppen.
Der Weg zur Dissertation
Reyhan Şahin wird 1980 in Bremen geboren und wächst im Stadtteil Gröpelingen auf. Die junge Frau macht ihr Abitur, studiert an der Bremer Universität Sexualpädagogik, Germanistik und Linguistik. Sie versteht, wie Sprache funktioniert, wirkt und wie man diese einsetzen muss. Sie promoviert mit dem Titel Die Bedeutung des muslimischen Kopftuchs in Deutschland und leitet anschließend Lehrveranstaltungen wie die Einführung in die Kleidungssemiotik an der Universität in Bremen.
Ausgezeichnete Arbeit
Für ihre Dissertation bekommt sie den 2. Preis des Deutschen Studienpreises 2013 in ihrer Fächergruppe der Geistes- und Kulturwissenschaften. Ihrer Freude verleiht sie auf Facebook Ausdruck:
„Gestern den Deutschen Studienpreis 2013 für meine Doktorarbeit erhalten,Yeah!!!Thanx an alle SupporterInnen! Aber auch an alle Hater! Haltet die Klits und Schwänze steif und bleibt fair! Pussy Deluxe“
Des Weiteren ist sie bis Ende des Jahres 2013 Nachwuchsstipendiatin der Universität Hamburg. Von 2014 bis 2017 leitet sie dort das Projekt Islamische Religiosität in sozialen Netzwerken Deutschlands.
Seltener Kontrast: Wissenschaft und Rap
Ihr Interesse an der Vielfalt der Sprache beginnt schon als Kind. Ihre Eltern kommen aus der Türkei. Früh beginnt sie zu rappen. Trotz des rauen Umgangstones, den sie in ihren Stücken pflegt, ist sie in der Wissenschaft erfolgreich. Sie wechselt ihr Vokabular und passt sich an. Dabei trifft sie bewusst mit ihren Worten die Fremdscham der Menschen. Der Betreuer ihrer Magisterarbeit erzählt der Zeit:
„Ich hatte lange Zeit überhaupt keine Ahnung, dass Frau Şahin berühmt ist. Von einer Lady Bitch Ray hatte ich nie gehört, ich kannte nur die seriöse Studentin Reyhan Şahin. Als Rapperin gibt sie sich ja recht provokant und lasziv, an der Uni war davon nicht zu spüren.“
Sowohl ihr Doktorvater, als auch ihre Seminarteilnehmer*innen schwärmen von ihr. Dabei hatte sie nicht so einen einfachen Start, wie andere. Ihre Eltern sind aus der Türkei eingewandert und sprechen Deutsch nicht als Muttersprache. Und Reyhan Şahin findet, dass die deutsche Regierung es den türkischen Frauen im Hinblick auf die Bildung nicht leicht macht, wie sie gegenüber dem Spiegel sagt. Über ihren Werdegang rappt sie auch in ihrem Song Mein Weg.
„Ich habs nicht leicht gehabt, ihr habt’s mir schwer gemacht, doch ich hab’s weit gebracht und es bis hierher geschafft! Und selbst wenn mir jetzt noch die halbe Welt im Weg steht, ich geb‘ nich‘ auf, ich werd mein Weg gehen!“
Überhaupt umreißt sie in dem Lied viele prägnante Punkte ihrer musikalischen und darstellerischen Karriere.
Musik und mehr
„Jeder kennt mein Namen, ich bin ein Phänomen. Ich spalte Deutschland, sie sagen ich bin zu extrem. Sie ist zu stark, sie ist zu krass, sie ist zu provokant.“ (Aus Mein Weg, 2017)
Ihre Texte sind viel diskutiert. Ihre Arbeit als freie Moderatorin und Redakteurin von Funkhaus Europa muss sie 2006 aufgrund ihrer freizügigen Art der Musik verlassen, obwohl sie nach Angaben von Spiegel Online versucht dagegen rechtlich vorzugehen. In ihrem Songtext kommentiert sie dies wie folgt:
„Ich bin zu heftig drauf, ich bin zu unbequem, ich hab mein Job verloren, ich war bei Radio Bremen! Von wegen „jung und frech“, die sind nur Pseudo, jetzt hab ich sie verklagt auf 40.000 Euro!“ (Aus Mein Weg, 2017)
Ein Jahr darauf gründet Reyhan Şahin ihr eigenes Musik Label mit dem Namen Vagina Style Records.
„Ich trau keiner Fotze mehr, ich trau nur mir allein, ich bin der Chef von meinem Label „Vagina Style“!“ (Aus Mein Weg, 2017)
2008 spielt sie in dem Kinofilm Chiko eine Sexarbeiterin. Die Folge der Sendung Schmidt & Pocher, in der sie den Film bewirbt, wird nicht wie üblich wiederholt, den Mutmaßungen nach aufgrund der Wortwahl der Rapperin.
„Lies den Spiegel, die Space und die FAZ, sie staunen und feiern so viel Sex und Intellekt! Ob im Internet, im Fernsehen, im Kino – ich bin überall! Wer bitte ist Sido?“ (Aus Mein Weg, 2017)
Vorbild als Künstlerin, als Wissenschaftlerin, als Frau
Gerade als Frau, ist es mutig sich zu geben, wie Reyhan Şahin es tut. Sie bricht das Klischee der Rolle der „typischen“ Frau. Sie nutzt ungewöhnliche Vokabeln, um zu provozieren. Sich selbst nennt sie Lady Bitch Ray. Dabei sei „Bitch“ kein negativer Begriff für sie, sondern stehe für eine Frau, die sich nimmt, was sie will – und das auch auf sexueller Ebene.
Lady Bitch Ray und die Kontroverse
Sie widmet sich den Gender Studies, ist wissenschaftlich versiert und provokativ. Ihre Texte mögen viel diskutiert sein, das ist schließlich ihr Ziel. Aber egal, wie man zu ihrer Musik steht, stellt man fest, dass diese Frau ihren Weg geht. Trotz der Rollenklischees, in die sie passen soll, als seriöse Sprachwissenschaftlerin oder als Frau, die sowohl von den türkischen als auch den deutschen gesellschaftlichen Erwartungen abweicht. Sie spiegelt die oft sexistischen Umgangsformen und das Auftreten der überwiegend männlichen Rapszene, bei der nicht so eine Welle des Entsetzens durch die Massen geht. Wenn man ihre Texte in diesem Kontext liest, sieht man, dass die Wissenschaftlerin Reyhan Şahin in ihren Absichten und Zielen nicht soweit entfernt ist von der Rapperin Lady Bitch Ray, wie es anfangs scheint. Nur die Methode ist anders. Es lässt erkennen, dass die vermeintlich gegensätzlichen Arbeitsfelder der Künstlerin sich in einem Menschen vereinen können. So erkennt es auch der Professor Wolfgang Wildgen:
„Lady Bitch Ray mag eine Künstlerrolle sein, aber auf mich wirkt sie nicht wie eine künstliche Rolle. Ich glaube, Frau Şahin spielt das nicht nur, es ist ein Teil von ihr.“
Mit diesem Mut zur Haltung, ihren Weg zu beschreiten, mit herkömmlichen Rollenbildern zu brechen, ist sie verdient erfolgreich und unsere Frau der Woche.
Nele Woehlert
Georg Schanz meint
Was will trotz oder mit ihrer derben Sexualsprache erreichen. Alle Erklärungen, die ich als Mixtur zwischen Wissenschaft und Rap gelesen habe, sind für mich unscharf und verschwommen. Ich glaube, dass sie einen sozialen Raum schaffen will, bei dem die Geschlechtlichkeit aufgehoben ist und alle tatsächlich „gleiche“ Chancen haben, wie immer das konkret funktionieren soll. Ich habe Zweifel, dass das in der Realität möglich ist.
Sie erinnert mich an einen russischen Kosmonauten, der in der Erdumlaufbahn gefangen war und den man damals mangels technischer Möglich-keiten nicht zur Erde zurückholen konnte – er musste sterben.
Sie befindet sich anscheinend in einer Sackgasse, was sie möglicher Weise gar nicht weiß, und sie kennt bzw. erkennt den Ausweg nicht. Meines Erachtens sollte sie uns eher Leid tun, als dass wir sie ausgrenzen und beschimpfen.
Was wünsche ich Ihnen zum Abschluss?
Vielleicht schaffen Sie doch noch, erwachsen zu werden.
Klaus von der Mosel meint
Häää Georg?
sie hat üblen Männerslang zur Kunstform hochgejubelt,
und ‚mans brain‘ läst sich zum Schwurbeln verleiten?
Schau doch mal tiefer ins patriarchalich Repertoire
mit dessen Ausgeburten sie, unter anderem, UNS(M) den Spiegel vorhält,
da kommt „Patriarch“ dann ins Schleudertrauma, gäälll?
Touché?