Unter den gängigen Schönheitsidealen leidet die Gesamtgesellschaft. Die körperliche Attraktivität von weiblich gelesenen Personen ist nach wie vor von höherer Relevanz als die Attraktivität von männlich gelesenen Personen.
Die Ideale werden sowohl bewusst als auch unbewusst konsumiert, da sie für die Betroffenen einen vermeintlichen Vorteil in der Gesellschaft darstellen und/oder ein Zugehörigkeitsgefühl auslösen können. Der weibliche Körper unterliegt, je nach Jahrzehnt, einem Trend. In den 80er und 90er Jahren war es der Trend des „Heroin Chic“ mit seiner prominentesten Vertreterin Kate Moss, charakterisiert durch blasse Haut, dunkle Augenringe und eine dünne, androgyne Körperform. In den 2010er Jahren lag der Trend bei herausstechenden Kurven, wie sie bei Kim Kardashian zu sehen waren. Bei vielen dieser Trends lässt sich außerdem der Wunsch nach einem flachen Bauch erkennen.
Meine Freundinnen und ich waren Anfang der 2000er Teenagerinnen. Eine Zeit, in der Hüfthosen und bauchnabelfreie Oberteile auf jeder „Gerade In“- Seite in Magazinen gezeigt wurden. Eine Zeit, in der Britney Spears und Christina Aguilera ihre durchtrainierten Körper in ebensolchen Outfits zur Schau stellten und gnadenlos miteinander verglichen wurden. Die dauerhafte Präsentation solcher Schönheitsideale führte zum permanenten Baucheinziehen, ohne dabei an mögliche gesundheitliche Folgen zu denken. Heutzutage hat dieses Phänomen einen Namen: „hourglass syndrome“.
Symptome des „hourglass syndrome“
Unter dem Stichwort „hourglass syndrome“ erzählen viele Frauen von diesem Phänomen auf Social Media.
Beschrieben wird ein gestörtes Verhaltensmuster, bei dem das Baucheinziehen zur Gewohnheit wird. Das Zwerchfell sinkt durch die angespannte Haltung beim Einatmen weniger nach unten.
Dadurch hat der Brustkorb weniger Platz sich auszudehnen. Atemprobleme und eine verringerte Sauerstoffaufnahme können die Folge sein.
Durch das Baucheinziehen entsteht zudem ein Ungleichgewicht der verantwortlichen Muskelgruppen im Oberkörper. Die Muskeln im mittleren und unteren Rücken, die für die Unterstützung des Oberkörpers verantwortlich sind, werden so in ihrer Funktionsweise beeinträchtigt. Dies kann sich durch Nacken- und Rückenschmerzen bemerkbar machen. Weitere gesundheitliche Beschwerden durch das bestehende Muskelungleichgewicht können Sodbrennen oder auch eine Schwächung der Beckenbodenmuskulatur sein, wodurch z.B. Inkontinenz begünstigt wird.
Aastha Agrawal ist eine Betroffene, die auf der multinationalen Website „Refinery29“ über das „hourglass syndrome“ spricht. Schon als Kind wurde ihr Körper von ihrem Umfeld kritisiert, was letztendlich dazu führte, dass sie konstant ihren Bauch einzog, um dünner zu erscheinen. Jahre später ist ihr die ungewöhnliche Form ihres Bauches bewusst: Der obere Bauchbereich wirkt trainiert, die untere Bauchregion ist deutlich weicher. Der Bauchnabel ist leicht nach oben gerichtet mit einer auffälligen horizontalen Falte darüber. Mit den möglichen gesundheitlichen Folgen ihres eigenen stetigen Baucheinziehens konfrontiert beschließt Agrawal, an ihren Verhaltensmustern zu arbeiten – und auch wenn jahrelange Verhaltensweisen schwer veränderbar sind, hat sie nun einen Namen für ihre Beschwerden.
Aasta Agrawal kritisiert zudem in ihrem Artikel den gesellschaftlichen Schönheitsdruck, der Frauen dazu zwinge, trotz Gefährdung der eigenen Gesundheit einem bestimmten Ideal zu entsprechen.
Was kann helfen?
Wie bei den meisten Anliegen, bei denen eine intrinsische Motivation zur Veränderung besteht, ist ein Bewusstmachen der Thematik der erste Schritt zur Besserung. Sich mit „Body Neutrality“ oder „Body Positivity“ zu beschäftigen, kann helfen, den eigenen Körper zu akzeptieren und wertzuschätzen. Therapeutische Unterstützung kann zudem bewirken, verinnerlichte Glaubenssätze umzuschreiben.
Auch mithilfe von Physiotherapie kann das „hourglass syndrome“ behandelt werden. Dort wird durch spezielle Übungen die richtige Aktivierung des Zwerchfells geübt, um die überanstrengten Bauch- und Rückenmuskeln zu entlasten. Yogaübungen wie die „Kobra“ oder die „Stellung des Kindes“ können beim Dehnen der entsprechenden Muskelgruppen ebenfalls unterstützend wirken, genauso wie Atemübungen und Meditation.
All dem voraus gilt: Versuche Dinge zu finden, die dich und deinen Körper gut fühlen lassen in dem, wie du bist und was du tust. Das kann in Form von Kleidung passieren, du kannst ein inspirierendes Hobby ausüben und/oder dich mit Menschen umgeben, die dich für deine Person lieben und wertschätzen. Du bist mehr, als nur dein Köper und mehr, als nur ein kurzweiliger Körpertrend.
Svenja Fiedler
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