Laut Amadeu Antonio Stiftung kamen zwischen 1990 und 2021 219 Menschen durch rechte Gewalttaten ums Leben. Die Bundesregierung stufte allerdings nur 113 Todesdelikte als rechts motiviert ein. Die meisten Opfer sind mittlerweile in Vergessenheit geraten und wurden von der Gesellschaft wenig bis gar nicht zur Kenntnis genommen. Das Bremer Projekt Köfte Kosher machte es sich zur Aufgabe, dies zu ändern. Es wählte zwölf Todesopfer rechtsextremer Gewalt aus, um visuell im öffentlichen Raum an sie zu erinnern.
Jährlich wird am 1. Juli der Tag gegen antimuslimischen Rassismus begangen. In Bremen findet die Yortsayt-Gedenkveranstaltung am Marwa-El-Sherbini-Platz statt.
Gemeinsam gegen Gewalt
2012 startete die Künstlerin Elianna Renner das Projekt Köfte Kosher. Laut Köfte Kosher wurden zwischen 1990 und 2020 rund 20.000 antisemitische, rassistische und politisch rechte Gewalttaten in Deutschland verübt. Das sind ungefähr eineinhalb Gewaltverbrechen pro Tag. Zusammen mit zwölf jüdischen und muslimischen Jugendlichen kreierte Elianna Renner während einer Aktionswoche einen Gedenkpavillon für Todesopfer rechtsextremer Gewalt. Dieser dient sowohl der Sichtbarmachung jener Todesopfer als auch dem Dialog mit der Öffentlichkeit. Zudem schaffte das Projekt einen Raum, in dem sich Menschen über eigene Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen austauschen können. Die Jugendlichen wurden animiert, ein Zeichen gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zu setzen. Sie beschäftigten sich mit den Geschichten von zwölf durch rechte Gewalt zu Tode gekommenen Einzelpersonen und erstellten Steckbriefe. Dann wurden Porträts dieser Personen an die Wände des Pavillons gesprüht. Nach einer Restauration 2018 liegen die aufgefrischten Porträts nun unter Schutzglas. Darüber hinaus entwickelten Schüler*innen der Bremer Wilhelm Wagenfeld Schule ein Konzept, mit dem sich der Gedenkort virtuell erleben lässt. Interessierte können die jeweilige Biographien seitdem mit einer VR-Brille entdecken.
Der Gedenkpavillon ist ein Trafohäuschen und befindet sich auf dem Marwa-El-Sherbini-Platz im Steintorviertel in Bremen.
Wer ist Marwa El-Sherbini?
Am 1. Juli 2009 wurde Marwa El-Sherbini im Landgericht Dresden von einem rechten Gewalttäter ermordet. Die studierte Pharmazeutin wurde 1977 in Ägypten geboren. Gemeinsam mit ihrem Ehemann kam sie 2005 nach Deutschland. Nachdem sie im Sommer 2008 auf einem Spielplatz rassistisch beschimpft wurde, stellte sie Strafanzeige gegen den Täter. Ein knappes Jahr später kam es zur Gerichtsverhandlung, bei der sie als Zeugin geladen war. Beim Verlassen des Gerichtssaales wurde sie vom Angeklagten getötet. Seitdem gilt der 1. Juli als Tag gegen antimuslimischen Rassismus und für das Eintreten für eine tolerante und solidarische Gesellschaft. Die Amadeu Antonio Stiftung definiert antimuslimischen Rassismus als „feindselige Ablehnung des Islams“ und als „Ausgrenzung und Hass gegen Muslim*innen oder Menschen, die für Muslim*innen gehalten werden.“ Köfte Kosher plädierte erfolgreich für die Umbenennung des Platzes, auf dem der Gedenkpavillon steht. Seit 2018 heißt dieser Marwa-El-Sherbini-Platz.
Yortsayt
Der Begriff „Yortsayt“ kommt aus dem Jiddischen und beschreibt den ersten Jahrestag einer Beerdigung. An diesem Tag gedenken Angehörige der verstorbenen Person. In den Jahren danach wird die Yortsayt statt am Beerdigungstag am Todestag begangen. Seit dem 15. Jahrhundert ist dies bei deutschen Jüdinnen und Juden Tradition. Es ist zudem gebräuchlich, eine Yortsayt-Kerze anzuzünden, die 24 Stunden lang brennt. Diese Kerze symbolisiert die Erinnerung an den*die Verstorbene*n. Aus diesem Brauchtum heraus entstand die Idee, eine öffentliche Gedenkveranstaltung für Marwa El-Sherbini zu organisieren.
Am 1. Juli 2023 könnt ihr in der Zeit von 15.00 Uhr bis 18.00 Uhr an der Yortsayt-Gedenkveranstaltung teilnehmen. Die Veranstalter*innen haben ein abwechslungsreiches Programm zusammengestellt. Ihr könnt euch auf Poetry Slam, Redebeiträge, Musik und vieles mehr freuen. Das Grußwort wird die Bremer Integrationsbeauftragte Nadezhda Milanova sprechen. Weitere Informationen dazu und den Ablaufplan als pdf-Datei findet ihr auf der Homepage von Köfte Kosher und auf Instagram.
Adresse: Marwa-El-Sherbini-Platz, Fehrfeld / Humboldtstraße, 28203 Bremen
Als Auftaktveranstaltung wird morgen Abend (30.06.) um 20.30 Uhr der Film „Born in Flames“ im City46 gezeigt.
Jana Keller
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