Sätze wie „Hast du ein Glück, dass dein Mann zu Hause so viel mithilft“ oder „Selbst Schuld, wenn sich Frauen gegenseitig die Augen auskratzen„, haben wohl die meisten von uns schonmal gehört. Das im Ullstein Verlag erschienene Buch der Journalistin Alexandra Zykunov wurde im März 2022 veröffentlicht. Es zeigt 25 dieser von ihr bezeichneten „Bullshitsätze“ auf und gemeinsam mit ihr zerlegen wir Bedeutung und Hintergründe. Zykunov ist Co-Leiterin des Magazins Brigitte BE Green und Redakteurin für feministische und gesellschaftliche Themen. Auf Instagram hat sie unter ihrem Benutzernamen @alexandra_z eine hohe Reichweite. In dem sozialen Netzwerk spricht sie über Unsichtbarkeit von Frauen und Familienthemen in der Politik. Mit viel Wortwitz und einem ironisch-zynischem Unterton kommentiert sie ihre eigenen Erfahrungen auf Spielplätzen und Diskussionen mit Freund*innen. Dabei mischen sich als Leser*in immer wieder Fassungslosigkeit, Wut und Überraschung in die eigene Gefühlswelt. Und genau das macht dieses Buch so lesenswert!
Altbewährtes (Aufreger-)Thema: Care Arbeit
Eines der Hauptthemen in diesem Buch ist natürlich die unbezahlte Care Arbeit, die immer wieder durch folgende Sätze gezeigt wird: „Er arbeitet voll, sie nur Teilzeit – ist doch klar, dass sie zu Hause mehr übernimmt“ oder „Aber ich liebe mein Kind- da kann ich doch fürs Kümmern kein Geld verlangen„. Die Autorin grätscht bei diesen Sätzen direkt ein, dass Care Arbeit mehr ist als nur Windeln wechseln und ein bisschen den Haushalt zu schmeißen. In ihrem Bekannt*innenkreis hat sie dann auch direkt mal gefragt, wer alles zum Elternabend gehen wird. Die Antwort: Die Frau natürlich. So viel übrigens zu Gleichberechtigung, wie Zykunov anmerkt. Das Buch nimmt das Thema dabei in dreierlei Hinsicht in den Blick: Durch nackte Zahlen und Statistiken, aus der eigenen Erfahrung sowie Social Media und historischen Aspekten. Aus diesem Mix spürt man für sich selbst, welche Bedeutung diese (Bullshit-) Sätze haben können.
Besonders in dem Bereich „Care Arbeit“, stellt die Autorin den Kapitalismus und das Patriarchat als Hauptursachen heraus. Damit zeigt sie die gesellschaftlich anerkannte Rolle der mütterlichen Hausfrau auf, die nur Teilzeit arbeitet, weil der Mann ja Hauptverdiener ist. „Frauen wollen die Verantwortung doch gar nicht abgeben“ habt ihr auch schon mal gehört? Der dazugehörige Begriff nennt sich Maternal Gatekeeping, weil die Mutter damit Probleme hat Pflichten abzugeben. Es ist aber auch den patriarchalischen Strukturen geschuldet, denn die Aussage ist gleichzusetzen mit: „Sie ist ja selber Schuld!“ Ist zwar nicht so gut für den Mental Load, aber die Frau soll sich ja dem auch nicht entziehen.
In der heutigen Zeit beläuft sich der bereits vorhandene Gender Pay Gap plus die Extrastunden für Care Arbeit bei Frauen übrigens bei 45 Prozent! Frauen arbeiten also länger und verdienen dafür 45 Prozent weniger Geld. Ist übrigens ein gutes Argument, wenn Frau mal gefragt wird, warum sie gerne mehr Bezahlung für all ihre Extrastunden haben will.
Fehlende Vorbilder – Ein Problem der Sozialisation?
Das Patriarchat zeigt sich von klein an: In der Schule, in Kinderfilmen und -serien und in der Rollenverteilung im familiären Umfeld. Damit rückt die Problematik der Sozialisation in den Vordergrund, bei der sowohl Medien als auch das Verhalten der eigenen Mutter eine Rolle spielen. Dabei lässt die Autorin natürlich die anderen Bezugspersonen außer Acht, die auch eine Rolle spielen, wie der Vater oder auch die Großeltern. Wenn in Schulen dann auch nur männliche Literatur ÜBER Frauen gelesen wird, dann vermittelt das ein falsches Bild von der Gefühlswelt einer Frau. Dies hat Konsequenzen, wie die Gesellschaft Frauen und Mädchen sieht. Zykunov stellt das in allerhand Beispielen dar und zeigt damit, dass sich dieses Land grundsätzlich verändern muss. Auch in diesem Kapitel zu konkurrierenden Frauen („Selbst Schuld, wenn sich die Frauen selbst die Augen auskratzen„) verschwimmt die Grenze zwischen Meinung und Fakten, gepaart mit ironischem Wortwitz à la:
…weil Frauen einfach mal andere Menschen in ihrem Körper heranzüchten, weil Frauen Herzen, Lungen, Gehirne, Knochen, das komplizierteste Nervensystem der Welt in sich erschaffen und gebären können, quasi das Göttlichste, was ein Mensch herstellen kann – und selbst DAS kommt nicht ansatzweise an die Begeisterung und Anerkennung heran, die Männer einem Sportereignis mit einem Ball und zwei Toren entgegenbringen können. (S. 150)
Frauen am Arbeitsplatz: Bist du sicher, dass du so viel verlangen solltest?
Die Autorin deckt auch den Bereich (Bullshit-) Sätze auf der Arbeit ab. Auch hier beschreibt sie das Dilemma der Frauen in vielerlei Hinsicht. Wenn die Frau zu karrieregeil ist, wird sie abgestempelt. Hat die Frau ein Kind, bekommt sie bestimmt bald das Nächste. Hat sie noch keine Kinder und ist Mitte 20 bis Anfang 30, dann wird es bald so weit sein.
Die Probleme bestehen also nicht nur im viel diskutierten Gender Pay Gap, sondern schon bei der Bewerbung, bei der sie sich viel öfter erklären muss. Rein rechtlich darf sie zwar nicht nach der Planung gefragt werden, aber leider ist dies auch oft ein Thema, so die Autorin. Besonders, wenn es um Geld geht, stehen sich laut Zykunov, oft auch Frauen untereinander selbst im Weg. Ein besonderer Aufreger ist für die Autorin die Elternzeit, die sie ausführlich in ihrem Buch darstellt. Die Länge der Elternzeit einer Frau unterscheidet sich maßgeblich von der des Mannes. Und auch wieder das Dilemma: Kommt sie zu früh zurück, dann ist sie herzlos und lässt ihr Kind alleine, bleibt sie zu lange, dann ist sie eine Glucke. Zykunov zeigt gelungen auf, wie die gesellschaftlichen Konventionen und Normen Mütter und Frauen immer wieder vor schier unüberwindbaren Herausforderungen stellt.
Was ist nun die Antwort auf diesen Satz: Bist du sicher, dass du so viel verlangen solltest? Wie immer können wir es mit der folgenden Gegenfrage beantworten: Würdest du das Gleiche einen Mann fragen?
Warum ist das Buch so empfehlenswert?
Diese und viele andere Aussagen verleiten zum Nachdenken und Reflektieren über ein immer wiederkehrende Thema ein: Ungleichheit des weiblichen Geschlechtes. Die Autorin versteht es Fakten und Studien so zu verwenden, dass es das Ausmaß der Ungerechtigkeit aufzeigt. Dabei muss man natürlich bedenken, dass sie es aus einer sehr heteronormativen Perspektive schreibt und andere Konstellationen weitestgehend außer Acht lässt. Dies ist natürlich auch den eigenen Erfahrungen geschuldet, da sie in diesem Modell lebt. Wir müssen uns bewusst werden, dass diese (Bullshit-)Sätze vielleicht zu unserem Alltag gehören, wir diese aber nicht unkommentiert lassen sollten. Gute Antworten liefert das Buch, auch wenn es natürlich aus der Perspektive einer gut situierten Mutter stammt, die von sich selbst sagt, dass sie in einer ausgeglichenen, hetero Partnerschaft lebt. Dies verklärt aber nicht die Aussagen, wenn sie sich auch in die Schwierigkeiten einer alleinerziehenden Mutter rein versetzt. Dieses Buch ist sehr empfehlenswert, da es zum einen mit ironischen Aussagen provoziert und zum anderen zum Nachdenken über die derzeitige Gesellschaft anregt.
Und wenn euch nochmal jemand kommt mit: „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt“, dann seid ihr mit diesem Buch gut vorbereitet.
Larissa
Birgit Reimann meint
Dies ist das erste „Sachbuch“, das ich „verschlungen“ habe – meine Tochter hatte es mir empfohlen. Die Folgen der Nicht-Wertschätzung der Carearbeit wird meine Generation, Jahrgang 1965, spätestens dann merken, wenn der Partner, der nach dem 1. Januar 1962 geboren wurde, verstirbt. Vielleicht wird nicht jeder Frau dann bewusst werden, dass sie auch noch nach dem Tod ihres Mannes von seinem Einkommen abhängig ist, aber sie wird es spürbar merken. Zum einen war die Betreuungsinfrastruktur noch schlechter als heute und für verheiratete Frauen noch schlechter zugänglich, weil sie ja einen Ehemann hatten, der für das Einkommen Sorge tragen konnte, zum anderen scheuten sich Arbeitgeber Mütter zu beschäftigen oder gar zu fördern. Wenn ich mir heute sagen lassen muss, dass die Witwenrente „auslaufendes Recht“ ist und daher zukünftig immer öfter Null Euro betragen wird (ohne Versorgungsausgleich wie bei geschiedenen Paaren), weil „Frauen in der Lage sind, eigenständig für ein auskömmliches Einkommen zu sorgen“, kann ich nur noch mit dem Kopf schütteln: Nicht nur Scheidung ist ein Armutsrisiko, sondern auch der Tod des Partners!