Inhaltswarnung: In diesem Artikel geht es um sexuelle Grenzüberschreitung, Übergriffe und Gewalt an Kindern und Jugendlichen.
Die Wanderausstellung ECHT KRASS! ist zurzeit im BDP Jugendhaus ausgestellt und thematisiert sexuelle Grenzverletzungen an und unter Kindern und Jugendlichen. Die Ausstellung ist vom 16.-28.10.2021 für Kinder, Jugendliche und Interessierte ab der achten Klasse von Montags bis Freitags von 12-17 Uhr, sowie Samstags von 12-15 Uhr kostenlos besuchbar.
Die eigenen (sexuellen) Bedürfnisse und Grenzen
Wir können uns wahrscheinlich alle noch genau an den prekären Sexualunterricht in Bio erinnern: Die peinlich berührte Lehrerin erklärt der kichernden Klasse, wie ein Kondom überzuziehen ist oder dass Tampons nicht im Klo runtergespült werden dürfen. That’s it. Abgesehen davon, dass die kurze Unterrichtseinheit ziemlich heteronormativ und technisch ist, lässt sie die wirklich wichtigen Themen komplett aus. Was sind meine (sexuellen) Bedürfnisse und Grenzen und wie lerne ich sie richtig zu kommunizieren? Was kann ich machen, wenn ich sexuelle Grenzverletzungen erlebe oder mitbekomme? Leider ist das Thema Sex unter Jugendlichen im gesellschaftlichen Diskurs und mehr noch sexualisierte Gewalt noch immer tabuisiert. Mit der Wanderausstellung ECHT KRASS! des Kieler Präventionsinstituts Petze e.V. schafft das BDP Haus einen Ort für Jugendliche, sich mit sexuellem Grenzverhalten, sexualisierter Gewalt und Übergriffen auseinanderzusetzen, mit Gleichaltrigen ins Gespräch zu kommen, um eigene Bedürfnisse und Grenzen zu erkennen.
Die Ausstellung ist in fünf Themenfelder unterteilt: Sex sells: sexistische Werbung und Pornografie- Trial & Error: eigene Bedürfnisse und die des*der Partner*in- Stop & Go: Kommunikation in Teenager Beziehungen- Love & Hate: Gruppendruck und emotionale Abhängigkeiten- Law & Order: Gesetzeslage und Hilfe bei sexuellen Grenzverletzungen.
Die einzelnen Stationen sind mit Audio- und Videobeiträgen, sowie Erfahrungsberichten von Jugendlichen über die verschiedenen Themenbereiche ausgestattet. Daneben gibt es Infomaterial und Denkimpulse, die durch spielerische Interaktionen anregen, Situationen für sich zu bewerten und einzuordnen. So klärt die Ausstellung Mythen über Pornos auf, entlarvt sexistische Werbung oder vergleicht coole und übergriffige Flirtsprüche. Auf einer Skala, auf der das Publikum kleine Szenen bewerten kann, wird deutlich, dass sexualisierte Gewalt nicht erst bei der Vergewaltigung beginnt. Auch ungefragte Küsse, sexistische Anmachsprüche, drängendes Verhalten können gewaltvoll und verletzend sein.
Über Grenzen reden macht Spaß
Nora Dillling, die die Ausstellung in das BDP Haus holte, erzählt uns von den Sorgen vieler Eltern und Erziehungsberechtigten. Die Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt würde ihre Kinder verängstigen. Doch das sei ein Trugschluss! Die Jugendlichen, die bereits die Ausstellung besuchen konnten, haben durchweg positive Rückmeldung gegeben. Der gemeinsame Austausch über Grenzen und Grenzüberschreitung mache Spaß. Sexualisierte Gewalt ist eben kein Einzelfall und muss enttabuisiert und thematisiert werden. Und eigene Grenzen formulieren zu können und sexuelles Grenzverhalten zu erkennen, kann ein wichtiger Schritt sein und extrem empowern!
Um die Ausstellung ECHT KRASS! herum, gab und gibt es Fortbildungen, die Lehrkräfte auf den Ausstellungsbesuch mit ihren Klassen vorbereiten. Dabei wurde auch der nachfolgende Umgang im Unterricht angeleitet. Außerdem gab es zur Ausstellungseröffnung ein Vernetzungstreffen für Pädagog*innen, die präventiv arbeiten, um sich hier in Bremen zu vernetzen. Denn das Petze-Institut erklärt „eine Kultur des Hinsehens“ als wichtiges Ziel, sexualisierte Gewalt zu verhindern. Das könne nur dann entstehen, wenn Ansprechpartner*innen präsenter werden und gewaltvolle Situationen frühzeitiger erkennen.
Digitale Gewalt als neue Herausforderung?
ECHT KRASS! bietet für Schulklassen und Jugendliche eine Möglichkeit, eigene Grenzen besser zu erkennen. Schade ist allerdings, dass die sieben Jahre alte Ausstellung in ihren Abbildungen und Videos ausschließlich weiße, heteronormative, able-bodied Menschen zeigt. Außerdem bleibt die Darstellung von sexualisierter Gewalt im Internet oberflächlich, indem sie neuere Phänomene der digitalen Gewalt auslässt. Spannend wäre hier sicherlich auch, auf neuere soziale Medien einzugehen, um Kinder und Jugendliche genau dort abzuholen, wo sich sich aufhalten.
Das BDP Haus öffnet mit der ECHT KRASS!-Ausstellung von Petze Raum für Gespräche und Austausch für Jugendliche. Ich hätte die Ausstellung allemal gegen meinen Sexualunterricht in Bio eingetauscht!
Toni Engel
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