Was sind sexuelle Skripte? Normieren sie die Gesellschaft und unser Sexleben oder geben sie uns doch einen Handlungsrahmen? Und inwiefern spielt Pornografie da eine Rolle?
Am 6. Juni kam die Theaterwissenschaftlerin, Philosophin und Performancekünstlerin Dr. Lea-Sophie Schiel aus Berlin in die Schwankhalle für den fünften Vortrag der öffentlichen Ringvorlesung Critical Porn Studies des IKFK Bremen. In ihrer Arbeit bewegt Lea-Sophie Schiel sich an der Schnittstelle von feministischer Theorie und Praxis und ihre Forschungsschwerpunkte sind Gender-, Queer- und Sexuality Studies sowie kollektive Ästhetik. Zudem ist sie Mitbegründerin des Performancekollektivs „Hysterisches Globusgefühl“. Anstatt den Vortrag zusammenzufassen, führte ich ein persönliches Interview mit Lea-Sophie Schiel, um direkt den Fragen der sexuellen Skripte auf den Grund zu gehen. Hier kommt nun der sechste Recap!
frauenseiten: Du warst letzte Woche in der Schwankhalle und hast über „Performing Porn? Sexuelle Skripte und die Performance des Sex“ gesprochen. Magst du erstmal erzählen, worum es in dem Vortrag eigentlich ging?
Lea: Ich bin mit einem Beispiel eingestiegen, einem Live-Sex Chat. Der Vortrag basierte auf den Forschungen aus meiner Dissertation. Mein Besuch in diesem Live-Sex Chat war 2017. Ich habe beschrieben, wie da sexuelle Handlungen vorgenommen werden und funktionieren. Zudem stellte ich dar, wie man als Besucher*in in dieses gesamte Geschehen involviert ist und wie monetäre und ökonomische Fragen an Lustempfinden gekoppelt werden. Ich habe dann meinen Fokus auf die Sextechnik der Penetration gelegt, die dort total stark als „natürlicher harter Kern“ von Sexualität – hard core – dargestellt wird. Das definiert oft, ob Handlungen als soft porn, Erotik oder eben als hard core eingestuft werden.
Ich habe nach den Gründen dafür gesucht und meine These dazu ist, dass in der heterosexuellen Mainstream Pornografie sehr widersprüchliche Dinge passieren. Einerseits wird dort eine Natürlichkeit von Sexualität behauptet, in dem vor allem die Sextechnik der Penetration als Höhepunkt und wichtigster Moment dargestellt und inszeniert wird. Andererseits ist eben in den heterosexuellen Mainstream Pornografien ganz schnell klar, dass es eine Inszenierung ist und, dass es bestimmte Skripte gibt. Da passieren Dinge täglich, die oft wiederholt werden. Daran wird deutlich, dass es nichts Natürliches ist, sondern etwas Erlerntes und Geskriptetes. Dabei ist heterosexuelle Mainstream Pornografie sehr, sehr dominant darin, unsere kulturelle Ebene der sexuellen Skripte, mit denen wir aufwachsen, zu prägen. Diese schlägt sich dann auf die interpersonelle Ebene nieder, aber auch die intrapsychische Ebene. Sexualität ist dann einerseits ein hoch individuelles Phänomen, was aber andererseits einen total starken Bezug zu einer Gemeinschaft/Kultur herstellt, in der Sexualität auch gelehrt und gelernt wird und auch ganz anders aussehen könnte.
frauenseiten: Ich finde das Thema super spannend. Es ist schon ein schwieriges Thema, vor allen für Menschen, die sich gar nicht damit beschäftigen und ich versuche durch die Recaps diese Themen so verständlich wie möglich darzustellen. Wie würdest du denn die Begriffe „sexuelle Skripte“ und „Performance des Sex“ so simpel wie möglich erklären?
Sex nach Drehbuch
Lea: Es gibt ein Skript wie bei einem Film oder Theaterstück, welches man bewusst oder unbewusst, in vielen Fällen eher unbewusst, mit an die Hand gegeben bekommt, wenn es darum geht, sich zu überlegen, wie ich mich in sexuellen Situationen verhalte. Wie funktioniert das? Was mache ich da eigentlich? Und auch, wie funktioniert Begehren und was für eine Art von Begehren halte ich für erstrebenswert, weil es als „normal“ und „natürlich“ gilt? Was ist vielleicht ein Begehren oder eine Lust, die ich mir untersage und verbiete, weil es in diesem Skript nicht vorkommt oder rausgestrichen worden ist, bevor ich da rauf schauen konnte?
Diese Skripte funktionieren laut den Wissenschaftlern Simon und Gagnon auf drei Ebenen: Die intrapsychische Ebene (individuelle Ebene), die interpersonelle Ebene (wie ich mit anderen Personen Sexualität erlebe) und die kulturelle Ebene, auf der es verschiedene Arten gibt, über Sexualität zu kommunizieren, kulturelle Bilder zu prägen und so weiter. Das passiert durch Pornografie, aber auch durch Werbung, Sexualpädagogik und, und, und… Also diese ganzen Dinge, die eben nicht total geheim und ganz persönlich sind, sondern bei denen Sexualität auch eine Rolle spielt.
Meine Überlegung dazu ist, dass diese drei verschiedenen Skriptebenen total voneinander abweichen können. Ich kann mir Dinge in einem Skript/Drehbuch vorstellen, die ich aber mit anderen Leuten so nicht unbedingt ausführen möchte. Oder Begehren und Vorstellungen, die ich zwar habe, aber weiß, wenn ich das jetzt mit einer Person mache, die das nicht möchte, dann ist das scheiße. So funktioniert es irgendwie nicht und da gibt es Reibungen zwischen den Skripten. Vor allem, weil wir oft feststellen, dass unsere Sexualität nicht so aussieht, wie die in der heterosexuellen Mainstream Pornografie oder in anderen Pornografien. Das sieht irgendwie anders aus, da klappen Sachen nicht oder man fühlt sich mal unwohl. Meine These dazu ist, dass wir gerade in einer Zeit leben, in der wir sehr stark versuchen, diese drei Ebenen alle miteinander in Übereinstimmung zu bringen, sodass alles möglichst reibungslos ineinander aufgehen soll. Die Anerkennung dieser Reibungen ist total wichtig, um für sich neue Skripte finden zu können, die anders sind, weil einem die Skripte nicht gefallen, die man mitgegeben bekommen hat. Diese Freiheit findet man, wenn man sieht, wo wir unfrei sind oder in Muster gedrängt werden.
frauenseiten: Du meintest ja schon, dass die Skripte erlernt sind und man sie irgendwo gesehen hat. Passiert das hauptsächlich durch Pornografie?
Lea: Klar ist das viel in Pornografie. Ich glaube, dass mit Beginn der sozialen Medien die Art und Weise wie Sexualität überhaupt vermittelt wird, an eine ökonomische Komponente angedockt ist. Also wie funktioniert Vermarktung? In einer Welt, in der sich jede*r selbst vermarktet, wird natürlich auch Erotik zu etwas, was ein knallharter Kassenfaktor ist. Je erotischer die Bilder (insbesondere von cis-weiblichen Personen), desto besser lassen sie sich vermarkten. Ich glaube, über diese Dinge lernen wir viel, aber auch über die Art und Weise, wie wir miteinander darüber sprechen. Wie funktioniert überhaupt Sexualpädagogik, also wie spricht man in der Schule darüber? Wie funktioniert das sogenannte „aufgeklärt-werden“?
Die Gesellschaft steht vor der Herausforderung, mit dieser riesigen Datenmenge an Pornografie umzugehen. Gerade dafür ist es total wichtig, sexualpädagogisch viel mehr Konzepte zu haben, wie wir damit eigentlich umgehen wollen, weil Kinder zum Teil Kinderpornografie-Konsument*innen sind. Das ist einfach eine Realität. Wir brauchen mehr Wege und Möglichkeiten, um mit Kindern, Jugendlichen und mit uns selbst darüber sprechen zu können. Wir können gerade noch nicht mal als erwachsene Personen darüber sprechen, umso schwieriger ist es, mit Kindern und Jugendlichen einen guten Umgang zu finden.
Queer-feministische Pornos sind kein Heilmittel
frauenseiten: Meinst du, dass wenn alternative, also queer-feministische Pornografie, zugänglicher wäre, das anders aussehen würde? Also, dass dann andere Skripte gelehrt werden würden oder wären das wieder Skripte, die auch normieren? Wäre das besser oder schlechter?
Lea: Das ist immer die Frage nach der Henne und dem Ei – was ist zuerst da? Die sexistische Gesellschaft und damit auch die sexistische/rassistische/homophobe/transphobe etc. Pornografie. Oder doch anders rum? Ich glaube, die Krux ist, dass es sowohl als auch ist. Wenn man sich eine Welt vorstellt, in der es hauptsächlich queer-feministische Pornografie als Mainstream Pornografie geben würde, dann würde es gar nicht mehr queer-feministisch heißen, weil es einfach Pornografie wäre, wie man sie sich vorstellt. Das würde aber auch bedeuten, dass wir in einer völlig anderen Welt leben würden. Es würde andere Konsument*innen-Gruppen erreichen und Sexualität hätte sich stark verändert. Aber wenn wir vom jetzigen Zustand ausgehen, würde ich sagen, dass es auf jeden Fall cool ist, wenn mehr queer-feministische Pornografie zugänglich ist. Dennoch gibt es die Einschränkung, dass diese Art von Pornografie kein Heilmittel ist, weil die Sehgewohnheiten immer noch von einem Diskurs dominiert sind, der eben nicht queer-feministisch ist. Überhaupt andere Formen von Erotik zu finden, ist eine Aufgabe, die nicht so leicht zu erfüllen ist.
frauenseiten: Das klingt ja ein bisschen so, als ob die sexuellen Skripte wie ein Käfig sind. Wir sind gefangen zwischen „Was darf ich machen? Was ist natürlich?“ und „Was ist pervers? Was sollte ich lieber unterdrücken?“. Kann man da irgendwie ausbrechen oder ist man da kulturell gefangen?
Lea: Also ich glaube schon, dass man Sachen bis zu einem gewissen Grad verschieben kann. Das passiert auch innerhalb eines menschlichen Lebens. Sexualität ist nicht etwas, was einfach feststeht. Es hängt auch davon ab, wie sich Dinge im Laufe der Zeit verändern und anders werden können. Vor allem die Reflexion über die Art und Weise, wie wir geprägt sind, kann uns helfen, überhaupt die Begrenztheit zu erkennen und dann eventuell zu überwinden. Für manche Leute mag es so sein, dass diese Art von Sexualität, in der wir leben, total gut funktioniert und es keinen Grund gibt, darüber nachzudenken. In dem Moment, in dem es für viele Leute ein Problem ist und es keinen einfachen, leichten Zugang zur eigenen Sexualität gibt, ist es dann wichtig darüber nachzudenken und diese Prägung zu kennen und verschieben zu können.
frauenseiten: Das klingt so, dass vor allem queere Menschen und diejenigen, die nicht in die binäre Ordnung passen, davon ausgeschlossen sind?
Lea: Ich glaube, da verändern sich gerade auf politisch-kultureller Ebene Dinge. Gleichzeitig würde ich bzw. die Theoretikerin Gayle Rubin sagen, dass Sex ein „Vektor der Unterdrückung ist, der quer durch alle Diskriminierungsebenen läuft“. Auch cis-Männer werden durch Sexualität diskriminiert, weil bestimmte sexuelle Handlungen, zum Beispiel das Penetriert werden, total schwer akzeptierbar sind oder oft mit einer bestimmten Form von Herabwürdigung assoziiert wird. Sich darüber im Klaren zu sein, kann helfen, andere Wege zu gehen. Das zeigt eben auch, dass diese Diskriminierung nicht so einfach auf die klassisch minoritären Gruppen übertragbar ist. Ich glaube da fast gar nicht dran, dass in unserem Sexualitätsdispositiv die Mehrheit zufrieden ist, ansonsten gäbe es überhaupt nicht diese ganzen Konflikte um Sexualität und Gewalt, die wir die ganze Zeit erleben müssen. Dennoch wird in einer patriarchalen Sexualitätsdispositiv Lust eher cis-männlichen Personen zugestanden.
Obszön, also abseits der Szene?
frauenseiten: Das ist ein sehr interessanter Punkt. In deinem Buch hast du öfter die Wörter „obszön“ und „onszön/on-scene“ benutzt. Kannst du vielleicht ein wenig darüber sprechen?
Lea: Das Obszöne ist so ein riesiges, langes theoretisches Kapitel, worüber man sehr, sehr viel sagen könnte. Ich versuche mich kurz zu fassen. Ich habe mich viel mit der Frage beschäftigt, was fliegt raus bei der sexuellen Performance, was darf nicht auf der Bühne zu sehen sein. Es gibt viele Mechanismen, die in der Sex-Performance immer abgeschnitten und rausgeschnitten werden, die sich nicht gut verkaufen oder bei einer allgemeingültigen Vorstellung von Lust rausfallen. Dann gibt es aber auch wieder Dinge, die gerade weil sie als „pervers“ gelten, plötzlich wieder auf der Bühne des Sexuellen zusehen sind. Das macht Pornografie so hochparadox. Wo es in der Pornografie kaum Begrenzungen gibt – also auch schwieriger Weise, weil manchmal der Konsens nicht gut eingehalten wird – gibt es aber kaum Handlungen, die man nicht auf den Pornoseiten findet. Dort sind dann Dinge zu sehen, die eigentlich gesellschaftlich als obszön gelten, aber dann nicht mehr obszön, also abseits der Szene sind. Sie sind dann onszön, also genau das, was wir dann eben sehen und mitbekommen können. Genau dieses Wechselspiel zwischen Was-fliegt-raus? und was ist dann zu sehen, habe ich als „Theater des Obszönen“ bezeichnet, was zwischen den Polen ob- und onszön pendelt.
frauenseiten: Wer bestimmt was obszön ist? Sind das wirklich die Darsteller*innen selbst oder das Publikum, die Gesellschaft?
Lea: In der Theaterwissenschaft gibt es diese schöne Theorie der „autopoietischen Feedback-Schleife“. Die besagt, dass Publikum und Darstellende gleichermaßen an der Konstruktion der Szene beteiligt sind, was so viel bedeutet wie alle sind daran beteiligt; sowohl das Publikum als auch die Darstellenden als auch die Gesellschaft als auch gesellschaftliche Normen als auch der Raum, in dem sich das Ganze befindet. So ein bisschen stell ich mir das immer vor wie beim Gläser rücken: Das Glas bewegt sich irgendwann irgendwie und man weiß eigentlich gar nicht, wer da jetzt genau den Ausschlag gibt. In einem nicht definierbaren Zwischen entstehen dann diese Ein- und Ausschlüsse, die wir dann erleben. Das sind total politisch geprägte Mechanismen.
frauenseiten: Gibt es denn auch eine positive Seite an den sexuellen Skripten und dem Obszönen? Also gibt es auch Vorteile, dass etwas wirklich nicht gesehen oder gelebt werden sollte?
Lea: Klar, wir hätten sexuelle Skripte nicht, wenn sie uns nicht in irgendeiner Form nützen würden oder uns irgendwas bereitstellen würden. Simon und Gagnon sagen zum Beispiel, es der Vorteil wäre, dass sie uns Befriedigung beschaffen können, also vielleicht einen Orgasmus oder die Erfahrung von körperlicher/sozialer/emotionaler Nähe. Auch die Ausschlüsse innerhalb der Skripte: nicht konsensuellen Sex auszuschließen, ist total sinnvoll. Aber das ist auch noch nicht lange so. Das muss man sich auch vorstellen: Es gab Skripte, die diesen Konsens nicht vorgesehen haben oder Konsens ganz weird definiert haben. „Ihr seid verheiratet, dass bedeutet Konsens in alle Ewigkeit“. Vergewaltigung in der Ehe wurde erst 1997 unter Nicht-Zustimmung von Friedrich März als Verbrechen anerkannt. Da verändert sich ja Gott sei Dank etwas. Es ist klar, dass dieses sexuelle Skript so nicht mehr aufrechterhalten werden kann und, dass dann Dinge sinnvollerweise in den Bereich des Obszönen verschoben werden.
frauenseiten: Also genau wie du schon sagst: Sexuelle Skripte müssen nichts Schlimmes sein, sie geben uns ja einen Handlungsrahmen, aber gleichzeitig normieren sie uns und können uns auch in unserem Handeln beschränken. Da fällt mir noch eine Frage ein: Welche Rolle spielen Körpernormen, die in der Pornografie vermittelt werden innerhalb der sexuellen Skripte? Gehört das einfach dazu?
Körpernormen und „Natürlichkeit“
Lea: Ja total. Körpernormen sind ja Kategorien, die ganz offen auf pornografischen Seiten aufgelistet werden, was es ja wieder zu einem spannenden Phänomen macht, auf eine traurige Art und Weise. Manchmal sind bestimmte gesellschaftliche Diskriminierungen gar nicht so leicht zu erfassen. In der Pornografie hat man dann einfach „in your face“-Kategorien von Körperumfang oder Brustumfang bis Penislänge, all diese Dinge, wo diese Einteilungen total stark mit Lustempfinden plötzlich verbunden und auch scheinbar natürlich überbrückt werden. Insofern ja, spielen die da auch eine große Rolle. Es existiert ja auch eine total weirde Vorstellung darüber wie diese Körper funktionieren, ähnlich wie Maschinen.
frauenseiten: Da zeigt sich wieder, dass Sex in Pornos natürlich und etwas Gegebenes ist, was einfach funktionieren sollte, oder?
Lea: Ja genau. Gleichzeitig wird aber auch immer klarer, dass es maschinenartige Körper sind, die oft sehr gut durchtrainiert sind und da mehr einen Sport draus machen und trotzdem in der Erzählung an diesem Natürlichkeitsparadigma festhalten.
frauenseiten: Ja, das mit dem „natürlichen Sex“ hat mich an den Vortrag von Leonie Zilch erinnert, als sie über „authentischen Sex“ gesprochen hat. Da sehe ich die Parallele. Mir ist gerade noch etwas eingefallen: Du meintest ja, dass sich sexuelle Skripte auch ändern können, also könnten sie sich auch in etwas Diverseres und Offeneres verwandeln in der Zukunft? Wie könnte man das als Gesellschaft vorantreiben?
Gibt es Hoffnung?
Lea: In dem man zum Beispiel Porn Studies sehr viel Geld gibt *lacht*. Es gibt wahnsinnig wenig Geld für Porn Studies und es ist meiner Meinung nach einer der zukunftsträchtigsten Forschungsfelder, die wir sehr dringend brauchen. Wir könnten so viele Ebenen unserer Gesellschaft besser verstehen und das ist nicht nur die Sexualitätsebene, die schon total wichtig ist, sondern eben auch Ebenen der Ökonomie, verschiedene Diskriminierungsformen usw. Ich glaube, eine Reflektion darüber und auch eine Edukation, was ich vorhin schon meinte mit Sexualpädagogik, ist total wichtig, um ein Bewusstsein zu schaffen. Aber wie wollen wir es eigentlich haben? Und da passieren leider auch viele Rückschritte, wenn man sich jetzt zum Beispiel Abtreibungsrechte in den USA anguckt. Da werden Skripte wieder in die Richtung gedrängt, dass Verhütung die Aufgabe der Frauen ist oder der weibliche Körper wieder alleine für Sexualität und Fortpflanzung verantwortlich gemacht wird.
frauenseiten: Bist du denn eher optimistisch oder siehst du eher, dass es in eine negative Richtung läuft?
Lea: Das ist schwer zu sagen. Ich glaube, sowohl als auch. Im Moment würde ich sagen, dass ich für den europäischen Raum gerade eher optimistisch bin. Wenn man sich jetzt aber anguckt, dass die AfD bei 20% liegt, weiß ich auch nicht, ob das doch so eine Bubble-Hoffnung ist. Es ist immer so schwierig, weil immer wieder so widersprüchliche Prozesse passieren.
frauenseiten: Als letztes wollte ich nur noch fragen, woran du gerade forscht.
Lea: Ich habe jetzt sozusagen meinen Schwerpunkt von Sexualität und Sex Performances erstmal weggelegt und bin jetzt in so einer Post-Doc-Phase, in der ich mich gerade viel mit kollektiven Schreibprozessen innerhalb feministischer Performancekunst beschäftige. Da fokussiere ich mich sehr auf die Arbeit von meinem Kollektiv „hysterisches Globusgefühl“, wo ich versuche autoethnografisch zu arbeiten und zu gucken, wie sich Subjektarrangements durch Prozesse des eigenen Schreibens verändern. Was wird da alles ausgehandelt und miteinander verhandelt und wie verfasst man eigentlich einen Text, der keine singuläre Autor*innenschaft mehr für sich in Anspruch nimmt. Gibt es überhaupt sowas wie Texte, die nur Individuen zugeschrieben werden können, weil das ja auch schon lange literaturwissenschaftlich in Frage gestellt worden ist. Da gibt es eine schöne Spannung, weil mich Widersprüche in meiner Forschung immer interessieren, da wo Sachen eigentlich nicht mehr richtig aufgehen. Damit beschäftige ich mich gerade.
frauenseiten: Ach krass! Das klingt ja nach einem völlig neuen Thema.
Lea: Ja genau, wenn man sich acht Jahre mit pornografischen Inhalten beschäftigt, wird es Zeit für einen Wechsel. Vor allem sind das ja nicht nur total schöne Inhalte. Es geht immer viel um Grenzen und Körperlichkeit und irgendwann war ich einfach sehr, sehr froh mich davon auf wissenschaftlicher Ebene verabschieden zu können. Für viele ist das der Grund, warum sie die Porn Studies nicht so lange machen können. Ich hatte manchmal das Gefühl, ich arbeite mit radioaktivem Material: Gefühle von Verstrahlung.
frauenseiten: Ja das ist verständlich. Ich bin gespannt zu deinem neuen Thema mehr zu lesen. Vielen Dank für deine Zeit und das tolle Gespräch!
Isabella Schefner
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