Am 24. Juni 2022 hat der Bundestag beschlossen, den Paragrafen 219a aus dem Strafgesetzbuch (StGB) zu streichen. Danach war es Ärzt*innen verboten, „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche zu machen. Als ob jemand auf die Idee kommen könnte, dafür Werbung zu machen. Und als ob es Ärzt*innen nicht sowieso verboten wäre, Werbung für ihre Leistungen zu machen. Allerdings dürfen sie durchaus auf ihren Websites darüber informieren, welche Behandlungen sie anbieten und welche Methoden sie anwenden. Nur für den Schwangerschaftsabbruch galt das bisher nicht. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) legte bei diesem Thema die bloße Information schon als „Werbung“ aus. Das führt dazu, dass ungewollt Schwangere enorme Schwierigkeiten haben, sich über Abbruchs-Möglichkeiten zu informieren. Außerdem machen es sich sogenannte „Lebensschützer“ zur Aufgabe, Ärzt*innen anzuzeigen, die über den Schwangerschaftsabbruch informieren.
Absurde Regelung
Während also die fachkundigen Expert*innen nicht über Abbrüche informieren durften, war es jedem und jeder anderen erlaubt, etwas darüber zu veröffentlichen. Selbst sogenannte „Abtreibungsgegner“ konnten die infamsten Lügen und Unwahrheiten verbreiten, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Vollkommen absurd!
Der Ärztin Kristina Hänel haben wir es letztendlich zu verdanken, dass dieser unsägliche Paragraf nun gestrichen wird. Denn sie wehrte sich gegen ihre Verurteilung nach § 219a, nachdem ein „Lebensschützer“ sie angezeigt hatte, und brachte das Thema in die Öffentlichkeit. Sie wurde zur Galionsfigur der Kampagne zur Abschaffung des § 219a, die nun zum Erfolg führte.
Nun ist der Spuk also vorbei. Alles gut?
Leider nein!
Es bleiben eine Reihe von Problemen, die alle mit dem Paragrafen 218 StGB zusammenhängen. Was vielen nicht bewusst ist: Dieser Paragraf stellt den Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich unter Strafe und erlaubt ihn nur unter bestimmten Bedingungen. Im übrigen ist er im Strafgesetzbuch gleich hinter Mord und Totschlag verortet. Am 20. Juni 2022 veranstaltete profamilia Berlin zu dieser Thematik ein Pressegespräch mit einer Situationsanalyse, in der die Dinge benannt wurden, die durch den Wegfall des Paragrafen 219a nicht gelöst sind.
Schwangerschaftsabbruch ist weiterhin eine Straftat
Die grundsätzliche Strafbarkeit hat zur Folge, dass Ärzt*innen eine Behandlung – außer bei „medizinischen Notfällen“ verweigern können. Aus demselben Grund ist der Schwangerschaftsabbruch nicht Teil der medizinischen Ausbildung – nicht einmal in der Gynäkologie. Ärzt*innen müssen sich also selbst privat fortbilden, wenn sie diese Behandlung lernen wollen. Noch dazu sind die Zulassungsbedingungen in jedem Bundesland verschieden.
All dies führt zu Versorgungsengpässen, wobei die Lage hier in Bremen im Vergleich zu ländlichen Gegenden noch relativ gut ist. Weitere Engpässe gibt es insbesondere auch bei der kriminologischen und medizinischen Indikation. Diese sind wahrscheinlich sogar noch größer als offiziell bekannt. Es wird nämlich vermutet, dass die kriminologische Indikation (zum Beispiel nach einer Vergewaltigung) nicht immer gemeldet wird. Die Betroffenen gehen dann nach der Beratungs-Regelung in die Statistik ein, weil mit dieser schneller Termine zu erhalten sind.
Die Betroffenen
Für die Betroffenen sind die Zwangsberatung und die Wartezeit nach der Beratung eine Zumutung. Ebenso die zunehmende Belagerung von Beratungsstellen durch sogenannte Lebensschützer. Eine wirkliche Wahl der Methoden (Ausschabung, Absaugmethode, medikamentöser Abbruch) ist nicht gegeben. Eine weitere Hürde ergibt sich daraus, dass der Schwangerschaftsabbruch – aufgrund der grundsätzlichen Strafbarkeit – keine reguläre Leistung der Gesundheitsversorgung durch die Krankenkassen ist. Die ungewollt Schwangeren müssen ihn selbst bezahlen – oder, wenn sie dazu nicht in der Lage sind, aufwendig beantragen.
Damit verstößt Deutschland gegen die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW), obwohl es diese bereits 1985 unterschrieben hat und sich also verpflichtet hat, sie umzusetzen. Danach müssen alle Unterzeichnerstaaten ihren Bürgerinnen einen sicheren Zugang zur Gesundheitsversorgung, einschließlich Familienplanung gewährleisten (Artikel 12).
Noch kein Grund zum Feiern….
Was bleibt zu tun?
Wie Dr. Julia Bartley vom Vorstand von profamilia Berlin bei der einleitenden Rede zur pro familia-Veranstaltung sagte: „Die bevorstehende Streichung des §219a kann begrüßt, aber nicht gefeiert werden.“ Denn es bleibt noch viel zu tun. Die 150 Jahre alte feministische Forderung „Weg mit § 218“ ist immer noch nicht eingelöst!
Irene Meyer-Herbst
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