Ein Bericht über eine feministische Utopie.
Musik bedeutet für viele Menschen tanzen, loslassen und sich frei zu fühlen. Bevor die Pandemie unser aller Leben in so vielen Arten und Weisen beeinflusst und verändert hat, nutzten wir die Möglichkeiten, mindestens einmal in der Woche unsere Alltagsprobleme beiseite zu schieben, um uns in der Musik zu verlieren, sowohl mit Menschen, die wir gerne um uns haben, als auch mit Menschen, die wir nicht kennen, mit denen man sich jedoch im Rausch der Nacht, im gemeinsamen Ektase-Gefühl verbunden fühlt.
Freiheit im Tanz?
Doch ganz frei habe ich mich nie gefühlt.
Als ich jünger war hieß tanzen gehen für mich, stark zu hinterfragen, was ich anziehe, weil ich mich einerseits im eigenen Körper wohl fühlen möchte, zum anderen aber auch nicht zu „wild“ oder zu „freizügig“ aussehen darf. Denn das hieße, dass sich mehr Menschen, primär Männer, dazu eingeladen fühlen, ihre Hände ohne Erlaubnis auf meinem Körper zu platzieren oder mir ungeniert zu erzählen, was für schöne Brüste ich hätte; wenn ich sie so präsentiere, könne ich mich doch nicht über einen Kommentar wundern? Ich weiß, dass diese Erfahrung kein Einzelfall ist. Ich weiß, dass Kleidung, Alter und Sexualität bei diesen Erfahrungen variieren und diese Dinge jeder weiblich gelesenen Person passieren.
Partys und Club-Kultur
Die Veranstaltungen auf denen diese Dinge passieren, sind oft Partys, an Orten, an denen viele Menschen nur das eine wollen: die Musik bis in jedes Körperteil spüren und tanzen. Die natürliche Reaktion des Menschen auf Musik. Musik bewegt, innerlich und äußerlich, Musik kann Botschaften wie nichts anderes übermitteln, Musik verbindet. Kann verbinden. Für viele Frauen heißt Musik, vor allem innerhalb der Clubkultur, eben auch vieles anderes. Es heißt, man lässt sein Getränk nicht unbeaufsichtigt. Es heißt, man erwidert nicht jedes Lächeln, um keine „mixed signals“ zu senden. Es heißt, dass man die Blicke seiner Freund*innen versteht, wenn sie aus einer Situation gerettet werden müssen. Es heißt, nach einer Party vielleicht alleine nach Hause gehen zu müssen, durch Straßen, in denen man den Schlüssel fest zwischen die Finger klemmt, um sich notfalls zu wehren. Selten können Frauen diese Dinge ausklammern, auch nicht auf Partys, auf denen sich konsequent gegen Sexismus ausgesprochen wird; denn dieser ist in vielen Menschen verinnerlicht. Er wird vielleicht nicht direkt als solcher erkannt, nichtsdestotrotz von vielen so empfunden.
Tanzperformance als feministische Utopie
Die Bremer Künstlerin Chiara Trojke hat mit ihrem Abschlussprojekt versucht, eine feministische Utopie zu schaffen und wird dabei tänzerisch von Theresa Arzenheimer unterstützt. In ihrem selbst verfassten Text erzählt Chiara eine Geschichte, in der diese Utopie real wird. Sie strebt darin nach Freiheit, danach, frei von Konventionen und Verurteilung zu sein. Daher steht Theresa mit ihrer Tanz-Performance im Vordergrund. Auch wenn hier keine Club-Situation gezeigt wird, wird mit dem aufgenommenen Video eine Beobachter*innen-Situation simuliert. Die beobachtende Person rückt jedoch in den Hintergrund, während die Tänzerin frei von Zwängen oder bewertenden Blicken ihre Schönheit, Stärke und Ungezwungenheit in den Vordergrund stellen kann.
In der Geschichte handelt es sich um eine Frau, die ohne Druck oder Zwang von außen tanzt, die willkommen geheißen wird und die andere willkommen heißt, die ohne Angst durch die nächtliche Stadt spaziert und sich auf einem Feld für die Nacht schlafen legt. Auf ihrem Rückweg begegnet ihr ein Auto mit einem Mann am Steuer und er bringt sie sicher nach Hause. Dort wartet ihr Kind auf sie, behütet von Menschen, denen sie vertraut, die sie liebt.
Sie stellt eine (feministische) Utopie auf vielen Ebenen dar.
Die Protagonistin des Textes kann tanzen, alleine und trotzdem sicher, sie kann sich schlafen legen, egal wo, und verspürt keine Angst. Alten Geschlechterrollen wird getrotzt, die Mutter-Vater-Kind- Konstellation wird aufgebrochen durch die Vorstellung einer Familie aus Menschen, mit denen man nicht verwandt ist, doch zusammenlebt und sich die täglichen Aufgaben teilen kann; unabhängig von Geschlecht und der von der Gesellschaft zugeteilten Rollen.
Es wird eine Welt beschrieben, die für viele Frauen ihr Leben lang nur eine Utopie sein wird. Der Sexismus und die Misogynie, mit der sich Frauen täglich konfrontiert sehen, ist systematisch und steckt in jedem und jeder von uns. Wir wachsen damit auf, aufpassen zu müssen, sich anpassen zu müssen, mit dem Gedanken, dass Care-Arbeit Frauensache sei. Wir müssen uns für unrasierte oder rasierte Beine, für Haarschnitte, für unser Aussehen rechtfertigen und entschuldigen. Doch Künstlerinnen wie Theresa und Chiara zeigen, dass diese Utopie keine bleiben muss, denn alleine durch das geschaffene Kunstwerk machen sie diese zugänglich und real.
“ and you paint your nails and you wear loose clothes and you shave your heads while you spray a line on the wall and you fall while you dance and you cut your skirts while you scream your fails while you spray a line on the wall and you fall while you dance
and you dance our romance
“
Anne Preuß
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