Cis-Männern sollte bewusst sein, dass es in dieser Welt ein Privileg ist, sich als Mann zu identifizieren und als solcher geboren zu sein. Schaut man sich die Definition des „Patriarchats“ an, klingt das „System…, das von Vätern und Männern geprägt, kontrolliert und repräsentiert wird“, ziemlich dystopisch. Und das ist es auch. Denn damit werden nachweislich über 50 Prozent unserer Gesellschaft marginalisiert. Und alle, die nicht cis-männlich sind, führen ihren ganz persönlichen Kampf gegen Erwartungen, Stigmatisierung und Diskriminierung. Ich kritisiere nicht das Männlich-Sein, aber ich kritisiere das Ignorieren eines Privilegs. Und wenn du ein solches genießt, solltest du Aufklärung wählen. Ich möchte Cis-Männern die Bequemlichkeit nehmen, sie könnten sich aus dem feministischen Kampf rausziehen. Das können sie nicht. Denn zu jedem gesellschaftlichen Kampf gehören Marginalisierte UND Privilegierte.
Wenn ich in diesem Text von „Männer-Welt“ spreche, meine ich das Patriarchat. Wenn ich in diesem Text von „Männern“ spreche, meine ich jene, die sich mit ihrem von außen zugeschriebenen Geschlecht als solchem identifizieren.
Männerwelt?
FLINTAs nehmen seit Jahrzehnten Tabletten ein, die nur an männlichen Wesen getestet wurden. Menschen und Ratten. FLINTAs setzen sich ans Steuer, werden von einem Gurt geschützt, der nur mit männlichen Test-Dummies getestet wurde. FLINTAs versuchen seit jeher um Rechte zu kämpfen, die Männer automatisch haben. FLINTAs gehen genau so viel arbeiten wie Männer und werden weniger bezahlt. FLINTAs sollten sich um ihr Aussehen bemühen: für Männer. FLINTAs leiden unter menschenfeindlichen Zuständen, aufgrund der Kriege von Männern. FLINTAs leiden eher am Imposter–Phänomen, weil ihnen oft weniger zugetraut wird: von Männern. FLINTAs müssen befürchten, angefasst zu werden: von Männern. FLINTAs sollen das Gesicht wahren, wenn sie angelabert werden: von Männern. FLINTAs werden unterbrochen, unterschätzt, angefasst, belästigt, vergewaltigt und ermordet: von Männern.
Der Fußballsport ist männlich, solange nicht „Frauen“-Fußball dazugesagt wird. Der Entwickler des ersten Computerprogramms ist in deinem Kopf männlich, solange kein „weiblicher“ davor steht. Ich hätte ja auch gendern können, aber hätte dich das dann nicht gestört? Am Schriftbild oder so? Menschen sind Männer und FLINTAs sind Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans- und agender Personen. FLINTAs leben in einer Menschenwelt, nein: Männerwelt.
Ich bin aber gar kein Macker!
Jetzt fühlen sich die emanzipierten Männer angegriffen unter dem Begriff der „toxischen Männlichkeit“, denn es sind doch nicht alle so! Und uns ist das leider so egal. Wir sollen unterscheiden zwischen guter Mann und böser Mann. Wir sollen reflektiert sein, mit der Motivation: „Ey, Feminismus ist auch für Männer gut!“ Ja, ist er, aber eure patriarchalen Männerprobleme sind nicht unser Projekt. Du glaubst, du bist einer von den Guten und willst gar kein Macker sein? Auch du schluckst noch die bittere Pille der toxischen Männlichkeit und versteckst deine weiche Seite? Richtig, auch du führst deinen persönlichen Kampf gegen die stereotypische Männlichkeit.
Ja, du hast einiges vor dir, mein Freund, gute Erkenntnis, viel Erfolg auf deinem Weg. Aber bitte entschuldige uns, wir haben hier vorne noch ein paar Dinge zu erkämpfen. Und nimm uns nicht übel, dass der Feminismus dich jetzt nicht in den Armen wiegt und streichelt. Wir haben wirklich Wichtigeres zutun. Männer missverstehen den Feminismus, denn er ist nicht für sie. Das erste mal in der Welt geht es nicht um sie.
Warum du kein Feminist bist
Als Mann bist du kein Feminist, weil du das Patriarchat auch kacke findest. Du bist kein Feminist, weil du dir auch die Fingernägel lackieren willst. Du bist auch kein Feminist, wenn du daran arbeitest, mehr Emotionen zuzulassen und die „männliche Fassade“ ablegen möchtest. Du bist Feminist, wenn du dich „… für die Gleichstellung aller Menschen, gegen Sexismus und gegen Diskriminierung von Frauen“„… für die Gleichstellung aller Menschen, gegen Sexismus und gegen Diskriminierung von Frauen“ einsetzt. Und das, mein Freund, ist nicht mit lackierten Fingernägeln und Sentimentalität getan. Wir brauchen hier vorne Engagement! Kein Whataboutism.
Also was kannst du tun?
Es braucht ein klares Bekenntnis, Aufklärung und Reflexion. Als Cis-Mann solltest du deine Öffentlichkeitswirksamkeit hinterfragen. Ziemlich genau sogar. Denn das, was du repräsentierst, ist immer noch Teil des Problems. Du musst genau gucken, wo du dich äußerst und wo du dich zurückhältst. Helfen, ohne zu Bevormunden. Versuche einen Weg zu finden, Teil der Lösung zu sein, wo du gleichzeitig ein Problem repräsentierst. Das gelingt vielleicht mit konstantem Fragen, Selbstreflexion und manchmal auch Zurückhaltung. Schau nicht weg, hör zu, frag nach und lerne zu verstehen, dass du privilegiert bist.
Weiße wissen nicht, wie sich Rassismus anfühlt, Cis-Personen wissen nicht, wie sich Trans-Diskriminierung anfühlt, und du weißt nicht, wie sich Sexismus anfühlt. Erwecke das ernsthafte Interesse an einer Gesellschaft, in der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung herrscht. Tue es nicht für deine lackierten Nägel, nicht für dich, es geht nicht um dich. Es geht um Anstand, Respekt, Anteilnahme und Genauigkeit. Es geht um die Rechte und und die Anerkennung der FLINTAs.
„Was wollen Frauen noch alles?“
Das fragt und beantwortet Alexandra Zykonov in ihrem neuen Buch, das unter diesem Titel am 30.11.2023 erschienen ist. Sie fragt im Kapitel Disclaimer, ob die lesende Person „Bock [hat], ganz ohne feministische Vorkenntnisse das Patriarchat anzuzünden“. Alexandra hat Bock, ich auch, du auch? Nicht nur mit Zahlen und Fakten erklärt Zykonov dir, warum das Patriarchat „wirklich so schlimm“ ist. Auch sie möchte keinen Männerhass schüren, sondern das „System dahinter sichtbar machen“. Genau wie ich fragt sich auch Zykonov, wo denn die ganzen wütenden Väter, Brüder, Söhne, Freunde und Partner sind, die die Diskriminierung der FLINTAS nicht dulden wollen. Wo seid ihr denn alle?
„Solange auf die Probleme aufmerksam machen, bis sie einem aus den Ohren raushängen, damit wir gar nicht erst anfangen, uns in der falschen Sicherheit zu wiegen, dass wir den Feminismus eigentlich gar nicht mehr bräuchten“.
Was wir wollen ist, „dass es nicht nur Frauen … sind, die auf diese Ungerechtigkeiten und statistischen Gruseligkeiten hinweisen“. Jede dritte Frau und damit „potenziell [deine] Tochter, Schwester oder Mutter [erfährt] Gewalt“. Jeder dritte deiner Kumpel, Brüder, Söhne oder Kollegen [wird] wohl einmal Täter sein..“. Feminismus adressiert auch euch, „liebe Männer: Fangt endlich an, dieses Dreckspatriarchat gemeinsam mit uns abzubauen.“ Fangt an zuzuhören, lest Bücher, hinterfragt euer Privileg und kämpft nicht für eure lackierten Nägel, sondern für die Gleichberechtigung aller.
Rosa
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