Heute gibt es den dritten Teil unserer Reihe “Ein Jahr Bremische Bürgerschaft”. Dieses Mal stellen wir euch Dariush Hassanpour von der Partei “Die Linke” vor. Dort ist er Sprecher für Jugend, Ausbildung, Medien, Digitalisierung, Flucht und Subkultur. Nebenbei studiert der gebürtige Hamburger Soziologie an der Uni Bremen.
Für das Gespräch ist Dariush zu uns in die Redaktion gekommen.
frauenseiten: Zum Anfang erst mal die Frage, wie du dein erstes Jahr als Abgeordneter in der Bremischen Bürgerschaft zusammenfassen würdest. Gab es unerwartete Herausforderungen oder Überraschungen?
Dariush Hassanpour: Eigentlich war alles unerwartet. Ich hatte Erwartungen, die haben sich aber nicht bestätigt bzw. wurden übertroffen. Ich bin da relativ blauäugig reingegangen und dachte mir, „Sprecher für Flucht, das mach‘ ich“, weil es ein Thema ist, das mich früher schon politisiert hat. Natürlich bin ich noch nervös, wenn ich da vorne (am Rednerpult, Anm. d. Red.) stehe, aber ich kriege nicht mehr so krasses Herzrasen.
Ich dachte, ich würde mich mehr damit beschäftigen, wie man Sachen umsetzt. Wir reden aber die ganze Zeit nur, ob wir irgendwelche Sachen machen können. Es geht also ums Geld. Jetzt gerade bin ich in einem “Kürzungsapparat”. Das finde ich ein bisschen schade, weil ich auch für mich persönlich nicht die größten Erfolge vorweisen kann.
frauenseiten: Das wäre jetzt tatsächlich die nächste Frage gewesen. Aber gibt es Momente, in denen du gemerkt hast, dass deine Arbeit in der Bürgerschaft oder dein politisches Engagement was bewirkt?
Dariush Hassanpour: Ich glaube, ich werde in Bremen nicht den Kapitalismus abschaffen können. Ich bin inzwischen ein bisschen desillusioniert und weiß, wie der Betrieb läuft und wie die Prozesse sind. Ich merke, dass ich die großen Veränderungen nicht einfach so machen kann. Ich denke aber schon, dass ich auf einer kleineren, persönlichen Ebene einen Impact auf einige Leute haben kann. Das sind zum Beispiel Menschen, die sich früher nicht für Politik interessiert haben. Weil ich bei denen in der Schule war, haben sie gemerkt, nicht alle Politiker*innen laufen im Anzug durch die Gegend. Das können auch normale Leute sein, die Adidas-Pullover und Jeans tragen.
Wenn Leute nach einer Podiumsdiskussion zu mir kommen und sagen, „Wo kann ich mich engagieren? Krass, wie hast du das genau gemacht?“, dann freut mich das schon. – Dariush Hassanpour
frauenseiten: Es ist wichtig, dass sich junge Leute für Politik interessieren. Gibt es für dich konkrete Schritte, die unternommen werden können, um jüngere Menschen dafür zu begeistern? Warum sollten sie überhaupt Lust darauf haben? Gerade, wenn sie nebenbei noch im Studium sind und andere Verantwortungen haben.
Dariush Hassanpour: Das Hauptproblem, warum sich verhältnismäßig wenige Leute engagieren, ist, dass wir in unserer Arbeitswelt von morgens bis abends durchstrukturiert sind. Wenn du 40 Stunden arbeitest, erwarte ich nicht von dir, dass du nochmal zehn Stunden ehrenamtliche Arbeit machst.
Das Erste, was die Politik machen könnte, ist, den Menschen mehr Freizeit in ihrem Leben zu schenken, beispielsweise durch eine Vier-Tage-Woche für Berufstätige. In Schulen sollte das Thema Politik mehr integriert werden. Ein anderer großer Punkt ist, dass junge Menschen erfahren müssen, dass Politik was bringt und wirklich konkrete Veränderungen für sie entstehen.
frauenseiten: Abschließend zu diesem Themenblock die Frage, wie du dich im ersten Jahr in der Bürgerschaft als junger Abgeordneter gefühlt hast. Gab es Momente, in denen du dich aufgrund deines Alters oder deiner “Unerfahrenheit” nicht ernst genommen oder herausgefordert gefühlt hast?
Dariush Hassanpour: Es ist wahrscheinlich das Gesamtpaket. Einmal war ich bei einer Beiratssitzung und da war ein Typ neben mir, der ganz wild geworden ist und angefangen hat, mit mir zu diskutieren. Ich meinte zu ihm: „Wenn du ein Problem mit dem hast, was ich gerade gesagt habe, dann komm eben raus und wir klären das”. Bei der Sitzung waren 200 Leute, also konnte ich nicht mit ihm diskutieren. Dann nahm er das Mikro und sagte “Der Mann hat mich bedroht“. Da merke ich schon, dass ich anders behandelt und wahrgenommen werde – und das nicht wegen meines Alters, sondern wegen meines Aussehens.
Wenn junge Menschen immer wieder spüren, dass Politik nicht für, sondern gegen sie gemacht wird, dann verlieren sie natürlich die Hoffnung in die Politik und interessieren sich nicht mehr dafür. – Dariush Hassanpour
frauenseiten: Dann gehen wir über zu der feministischen Perspektive dieses Interviews: Gibt es konkrete Maßnahmen, die du ergreifen möchtest, um die Interessen und Anliegen von FLINTA* Personen oder anderen unterrepräsentierten Gruppen in der Bürgerschaft zu vertreten?
Dariush Hassanpour: Die erste Maßnahme ist, dafür zu stehen und das nicht nur zu sagen, sondern auch zu machen. Darauf zu achten, dass Gremien und die Zusammensetzung von Gruppen so gestaltet sind, dass alle Menschen in der Gesellschaft repräsentiert werden. Das heißt für mich in erster Linie ein Frauenanteil von mindestens 50 Prozent und im nächsten Schritt auf Alter, Herkunft und soziale Herkunft zu gucken. So kann man dafür sorgen, dass Entscheidungen oder Positionen, die in Gremien getroffen oder erarbeitet werden, eine gesellschaftliche Meinung widerspiegeln und nicht nur eine Partikularmeinung einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe.
frauenseiten: Gibt es aus deiner Sicht Möglichkeiten, um eine Geschlechtervielfalt oder allgemeine Vielfalt in der politischen Arena zu fördern?
Dariush Hassanpour: Die Frauenquote ist immer so ein Thema. Es wäre schön, wenn es anders gehen würde, aber das geht es gerade nicht. Deswegen wäre ich offen dafür, dass die Listen von den Parteien paritätisch besetzt werden. Wenn man sich die Landtage anguckt, haben wir eine durchschnittliche Frauenquote von 20 bis 30 Prozent. Man kann auch gezielt versuchen, Menschen, die unterrepräsentiert sind, in der Politik zu fördern, beispielsweise durch Mentoring-Programme.
frauenseiten: Du hast es gerade selbst angesprochen. Der Frauenanteil in der Bürgerschaft ist nach der letzten Legislaturperiode gestiegen und liegt jetzt bei 42 Prozent. Damit ist Bremen auf Platz zwei im Deutschland-Ranking. Wie beurteilst du diese Entwicklung? Wie bewertest du dessen Bedeutung und wie wichtig ist sie für die politische Landschaft?
Dariush Hassanpour: Es ist auf jeden Fall noch nicht genug, weil 42 Prozent sind nicht 50 Prozent. Dennoch ist die Entwicklung super wichtig. Wir hatten bis in die 90er Parlamente in Deutschland, die ausschließlich von sehr alten und sehr weißen Männern besetzt waren. Das hat dazu geführt, dass Leute immer über andere gesprochen haben. Wenn es um Gesetze zur Gleichstellung von Frauen ging, haben Männer über Frauen gesprochen. Wenn es um Migrationsgesetze ging, haben weiße Leute über andere gesprochen. Jetzt kommen wir langsam an den Punkt, an dem die Parlamente durchmischter sind. Das bedeutet, dass Leute endlich für sich selbst sprechen können. Die Ideen und die Lösungsvorschläge, die daraus entspringen, sind in der Regel zielführender, weil Frauen deutlich besser als Männer wissen, was für sie gut ist.
Das Interview führte Lena B.
lene meint
starker typ!