Um Angehörige der Risikogruppen zu schützen und ihnen beispielsweise den Einkauf abzunehmen, haben sich allerorts Menschen zusammengeschlossen. Doch Engagement muss wohl geplant sein. Sonst geht gut gemeinte Hilfe an den Ansprüchen Hilfesuchender vorbei und setzt Menschen im schlimmsten Fall einem noch höheren Risiko aus. Wie also solidarisch und sicher helfen? Hierzu können zwei Bremer Projekte als Blaupause dienen.
Solidarität ist in Zeiten der Krise unabdingbar. Dies gilt zum einen für die gesellschaftliche und damit politische Ebene, denn nicht alle sind gleich stark vom Risiko einer Infektion betroffen. So essenziell die politische Umsetzung gesellschaftlicher Solidarität ist, so zentral ist individuelles Engagement. Denn da für Angehörige der Risikogruppen alltägliche Routinen immer riskanter werden, sind sie auf die Unterstützung von Familienmitgliedern, Bekannten und Ehrenamtlichen angewiesen.
Um Angehörigen der Risikogruppen den Einkauf abzunehmen, haben sich vielerorts – meist über das Internet organisiert – Gruppen zusammengeschlossen. Neben Telegram-Gruppen werden auf „nebenan.de“ und anderen Plattformen Hilfsanfragen mit möglichen Helfer*innen vermittelt. Doch wie lässt sich Hilfe so strukturieren, dass vor allem älteren Menschen sicher und effizient geholfen werden kann, die oft nicht ansatzweise so internetaffin sind wie die Helfer*innen? Um Angehörige der Risikogruppen möglichst effektiv und sicher zu unterstützen, lohnt es sich von den Erfahrungen der Profis der ehrenamtlichen Hilfe zu profitieren: Der Freiwilligen-Agentur Bremen und dem Nachbarschaftshaus Marßel.
Von den Profis lernen: Netzwerke ausbauen
Um Angehörige der Risikogruppen vor einer Ansteckung möglichst gut zu schützen, bieten sowohl die Freiwilligen-Agentur Bremen als auch das Nachbarschaftshaus Marßel Einkaufshilfen an. Dabei ist von Anfang an auffällig: Beide Angebote setzen verstärkt auf Kooperationen: Während die Freiwilligen-Agentur mit dem Weser-Kurier zusammenarbeitet, kooperiert das Nachbarschaftshaus Marßel mit der „Aufsuchenden Altenarbeit“ und steht in regem Kontakt mit Kirchen und Pflegediensten.
Dieser Netzwerkcharakter der Angebote ist essenziell für den Erfolg der Einkaufshilfen. Vor allem jetzt, wo Hausbesuche nicht möglich sind, ist laut Christina Mehrtens vom Nachbarschaftshaus Marßel ihr großes Netzwerk besonders hilfreich. Indem sie im engen Kontakt mit den Partnerorganisationen der Altenpflege stehen, können sie auf ältere Menschen zugehen, die sich bei der Frage um Hilfe noch etwas schwertun.
Auch das Angebot der Freiwilligen-Agentur Bremen bietet optimale Hilfe durch die Kooperation mit dem Weser-Kurier. Diese Zusammenarbeit ermöglicht es, vor allem ältere Menschen verstärkt zu erreichen, die zu einem großen Teil die Leserschaft des Weser-Kuriers ausmachen. Durch die Veröffentlichung von Hinweisen auf die Einkaufshilfe im Weser-Kurier können Menschen erreicht werden, die sich nicht auf Telegram oder „nebenan.de“ tummeln. Und die Hilfe scheint laut Frau Blum, Leiterin der Freiwilligen-Agentur, gut angenommen zu werden. Abgesehen von dem Weser-Kurier bestünden auch Kooperationen mit anderen Unternehmen.
Von den Profis lernen: Sicherheit garantieren
Nicht nur das Zurückgreifen auf Netzwerke, auch der Fokus auf der Sicherheit der Hilfesuchenden ist beiden Projekten besonders wichtig. Die Freiwilligen-Agentur garantiert auch das durch die Kooperation mit dem Weser-Kurier. Letzterer hat einen Teil seiner Mitarbeiter*innen freigestellt, um Einkäufe für Hilfesuchende zu erledigen, wodurch die Identität der Helfenden bestätigt werden kann. Frau Blum betont die Wichtigkeit einer Identitätsprüfung der Helfer*innen, um Hilfesuchende nicht in Gefahr zu bringen. Dass die prekäre Lage Hilfesuchender nicht ausgenutzt wird müsse unbedingt sichergestellt werden.
Laut Frau Mehrtens werde die Sicherheit der Hilfesuchenden beim Angebot des Nachbarschaftshaus Marßel vor allem durch das Vertrauensverhältnis garantiert, das jahrelang mit den Senior*innen etabliert wurde. Denn Sicherheit kann nicht unbedingt nur bürokratisch erzeugt werden, wie durch die Identitätsprüfung durch Mitarbeiter des Weser-Kuriers. Gerade in Zeiten der Krise kann Sicherheit auch auf einem Vertrauensverhältnis durch jahrelange Beziehungsarbeit basieren. Frau Mehrtens selbst ist bereits seit zwei Jahren in der „Aufsuchenden Altenarbeit“ aktiv, die Hilfesuchenden wüssten also, dass sie sich auf sie verlassen könnten.
Hilfe ist nicht gleich Hilfe
Beide Projekte gehen unterschiedlich mit den momentanen Herausforderungen um. Dennoch lassen sich, was die Strukturierung und den Aufbau der Hilfsangebote angeht, Anleitungen für andere Unterstützungsprojekte ableiten. Denn aus der langjährigen Erfahrung in der ehrenamtlichen Unterstützung älterer Menschen, die beide Projekte eint, haben sich zwei Schwerpunkte für den Umgang mit der jetzigen Situation herauskristallisiert: der Ausbau von Netzwerken und die Haftung für die Sicherheit für Hilfesuchende. Damit geht eine erhöhte Effizienz einher. Denn durch die Ballung gemeinsamer Kräfte und die gleichzeitige Wahrung der Sicherheit der Einzelnen kann Hilfe in Corona-Zeiten wahrlich das Risiko Hilfsbedürftiger minimieren.
Sowohl das Zurückgreifen auf bestehende Kooperationen, Bekanntschaften, aber auch das empathische Einfühlen in sicherheitsbedürftige Menschen kann dabei eine große Hilfe sein. Laut Frau Blum könne dies besonders gut realisiert werden, indem man zunächst im ‚kleinen Kreis‘ hilft. Und falls die Nachbarn oder Großeltern keine Hilfe benötigen, könne man auf Vereinsstrukturen zurückgreifen, in denen man Mitglied ist, und intern Hilfe organisieren.
Ansteckungsrisiko minimieren? Auch eine strukturelle Frage
Dass man immer noch viele ältere Menschen in Supermärkten antrifft, liegt sicherlich nicht nur an suboptimal organisierten Hilfsangeboten. Denn der Gang zum Supermarkt ist für viele ältere Menschen ein Teil Selbstbestimmung. Sich selbst das Gemüse auszusuchen und nicht auf Hilfe Fremder zurückgreifen zu müssen: das ist Lebensqualität und Autonomie. Viele werden sich wohl zunächst nicht davon abbringen lassen einkaufen zu gehen und daran lässt sich vielleicht so schnell nichts ändern.
Was jedoch gemacht werden kann, ist die Hilfsangebote möglichst angenehm und sicher für Menschen zu gestalten, die Hilfe gerne annehmen würden. Um herauszufinden, wie sich das bewerkstelligen lässt, können die beiden hier vorgestellten Projekte als Vorbild dienen. Zwar ist nun umso mehr ein schneller, innovativer und kreativer Umgang mit der Situation gefragt. Doch gerade deswegen lohnt es sich, bevor man wild drauflos hilft, sich etwas bei ‚Profis‘ abzuschauen. Projekte, die bereits eine langjährige Erfahrung mit der Organisation von ehrenamtlichen Strukturen haben, können die Bedürfnisse und möglichen Handlungsoptionen im Zweifelsfall am präzisesten abschätzen.
Denn eines ist klar: So wichtig solidarisches Handeln momentan zur Bewältigung der Krise ist, so wichtig ist es, das eigene Handeln nach den möglichen Konsequenzen zu überdenken. Dazu gehört das Durchführen des Hilfsangebotes, also beispielsweise das Wahren eines Sicherheitsabstandes, genauso wie der strukturelle Aufbau der Hilfsangebote. Ansonsten werden die, die Hilfe benötigen, nicht erreicht und vielleicht sogar noch mehr gefährdet.
Pia Reiter
Schreibe einen Kommentar