Das Wetter wird immer besser und viele Menschen planen gerade ihren Festival-Sommer und verfolgen dabei gespannt die Meldungen, welche Acts bestätigt sind. Viel zu häufig blickt man in fröhliche Männergesichter. Viel zu selten entdeckt man Flinta* im Line-up.
Ob Hurricane, Rock am Ring, M’era Luna oder das in Oldenburg stattfindende Festival Tabularaaza – die Flinta*-Quote lässt dermaßen zu wünschen übrig.
Laut einer Studie der MaLisa-Stiftung und des sächsischen Netzwerks für Frauen in der Musikbranche MusicSWomen lag der Frauenanteil auf den deutschen Festivals in den Jahren 2010, 2015, 2019 und 2022 bei insgesamt weniger als 10 Prozent. Der Anteil der nichtbinären Künstler:innen war so gering, dass er nicht darstellbar war. Die Zahl der weiblich gelesenen Personen auf dem Line-up lässt sich also meistens maximal an zwei Händen abzählen. Im Jahr 2023 gibt es immer mehr Newcomerinnen, aber trotzdem Künstlerinnen, die schon jahrelang im Geschäft sind, aber aufgrund der männerdominierten Szene keine Stimmen bekommen und ignoriert werden. Wir fragen: Was ist heute das Problem? Und wir sagen: Bucht sie doch einfach!
Es geht auch anders!
Natürlich darf nicht pauschalisiert werden. Das Hamburger Kunst und Musik Festival MS Dockville, das Dreizehngrad Festival hier in Bremen oder das Reeperbahn Festival zeigen mit einer Vielfalt an Künstler*innen, wie es anders geht. Das DCKS Festival, veranstaltet von und mit der Comedian Carolin Kebekus, welches ein ausschließlich weibliches Line-up vorwies, setzte vergangenes Jahr ein Statement. Der CEO vom Reeperbahn Festival Alexander Schulz ist Gründer des Keychange-Konzepts. Diese Bewegung unterstützt talentierte aber unterrepräsentierte Geschlechter auf Partnerfestivals mit einem 50/50 Versprechen bezüglich der Verteilung der Geschlechter in den Line-ups.
„HipHop ist ein Spiegel der Gesellschaft und darin sieht man halt scheiße aus, wenn man das weibliche Geschlecht hat“ (Edgar Wasser – Bad Boy)
Dabei geht es gar nicht um eine künstliche Hervorhebung von weiblich gelesenen Personen, sondern um ein valides Abbild der Realität. Die Musiklandschaft in Deutschland ist nämlich schon lange nicht mehr männerabsolut, aber es braucht ein paritätisches Line-up bei Festivals, um dieser Entwicklung Raum zu geben. Flinta*s wurde so lange, oft und teilweise immer noch der Raum verwehrt, ihrer Kunst eine Stimme zu geben. Durch die pluralistische Entwicklung der deutschen Musiklandschaft in den letzten Jahren wurde diese Antihaltung stückweise reduziert, denn im Gegensatz zu den Festivals von vor fünf Jahren sind diese Worte Kritik auf hohem Niveau. Somit wurde auf den von der MaLisa-Stiftung und MusicSWomen ausgewerteten Festivals 2010 noch ein Frauenanteil von 7 Prozent festgestellt. 2022 lag die Quote schon bei 16 Prozent.
Völlige Gleichberechtigung ist essentieller Teil des täglichen feministischen Kampfes
Deswegen geben wir uns noch nicht zufrieden mit dem Status quo und fordern mehr Repräsentation von weiblich gelesenen Personen auf Festivals. Es ist lange nicht so, dass es auf dem Papier genauso viele weiblich wie männlich sozialisierte Menschen in den Charts gibt. So wurde von der kalifornischen Universität Aannenberg im März 2021 eine Studie veröffentlicht, die sich mit der Geschlechterverteilung von den 900 populärsten Songs zwischen den Jahren 2012 bis 2020 beschäftigt. Die Studie belegt, dass sich in diesen Jahren in den Charts nur 21,6 Prozent weibliche Künstlerinnen befinden, 12,6 Prozent Songschreiberinnen und 2,6 Prozent Produzentinnen. Der springende Punkt ist aber, dass trotzdem viele Flinta*s in der Szene etabliert sind und eben diese Entwicklung auf Festivals nicht gerecht gezeigt wird. Kürzlich wurde das vorläufige Tabularaaza LineUp gepostet, bei welchem ich auf den zweiten Blick dann doch noch zwei Flinta* Künstlerinnen erspähen konnte. Zwei Flinta*s unter bisher 36 Männern. Wir haben Bremen NEXT als Sponsor von Tabularaaza kontaktiert und um eine Antwort auf die Frage gebeten, warum der Flinta* Anteil so dermaßen niedrig ist.
Interviews
Bremen NEXT schreibt, bei dem Tabularaaza Festival „handelt es sich um eine Präsentation, bei der wir keinerlei Einfluss auf die Auswahl der Acts haben. Soweit den Redaktionen von Bremen Vier und Bremen NEXT bekannt, ist das Lineup für das Festival noch nicht final.“
Außerdem haben wir gefragt, inwiefern und wo die Schwierigkeit bestehe, mehr Female Artists zu buchen. Bremen NEXT schreibt: „Grundsätzlich ist es nicht immer ganz einfach, Female Artists zu buchen – selbst wenn der Anspruch da ist. In dem Segment, in dem speziell Bremen NEXT genretechnisch unterwegs ist, sind weibliche Artists weiterhin deutlich in der Unterzahl.“
Einen anderen Anspruch zu haben und mehr weibliche Artists buchen zu wollen ist zeitgemäß und lobenswert, nur muss es diese Female Artists auch erstmal geben.
Des Weiteren haben wir das Netzwerk für Frauen Music S Women* interviewt, welches sich für eine gerechtere Repräsentation und Chancengleichheit für Frauen in der sächsischen Musikbranche einsetzt.
Gibt es eine positive Entwicklung innerhalb der letzten Jahre, was dieses Problem angeht?
Ja, eine ganz leichte positive Tendenz. Die Festivals mit den kleineren Besucherzahlen steigern ihren Anteil am schnellsten – auch das Lollapalooza sticht da positiv hervor. Doch besonders die großen Player wie Rock am Ring, Hurricane und Deichbrand hinken hinterher und haben seit 2010 kaum Prozentpunkte gutgemacht.
Woran liegt die fehlende Repräsentation?
Das ist sehr komplex und so einfach nicht so beantworten. Es hat im Hier und Jetzt etwas mit Machtstrukturen, dem „Buddy-Business“ und der Marktwirtschaft allgemein zu tun. Zu oft sind Entscheidungsträger in der Musikbranche immer noch cis-männlich und die fördern vor allem Ihresgleichen. Dass oft vor allem an den Instrumenten weiblich gelesene Profis fehlen, ist zwar ein Faktor, wird aber in dem ganzen Gefüge als Ursache erheblich überschätzt. Es gibt auch jetzt schon genügend fantastische Flinta*-Artists, die aber nun mal leider weniger Sichtbarkeit bekommen und daher auch schwieriger zu finden sind.
Was kann gegen die fehlende Repräsentation unternommen werden?
Sichtbarkeit, Sichtbarkeit, Sichtbarkeit. Und offen und ehrlich über die Entscheidungsprozesse im Musikbusiness sprechen. Das Märchen von „wer gut genug ist bekommt auch seine Chance“ begraben. Das Selbstbewusstsein junger Flinta*-Artists gezielt stärken, damit sie an sich glauben. Die fehlende Repräsentation weiter immer wieder sichtbar machen, Daten sammeln. Denn vielen fällt das erst auf, wenn man sie mit der Nase darauf stößt. Das Bewusstsein für die Schieflage sorgt dann auch für den Wunsch, dass es anders gemacht wird und idealerweise äußern das auch alle Musikliebhaber*innen.
Wer ist schuld? Und wie geht es weiter?
Die patriarchale Sozialisierung von weiblich gelesenen Personen unterscheidet sich immer noch immens von der männlichen Sozialisierung. Die Sichtbarkeit von Flinta*-Menschen in der Musikbranche lässt weiterhin zu wünschen übrig. Zum einen liegt das an fehlender mentaler Kraft, sich in der männlich dominierten Branche zu beweisen, sich durchzusetzen und sich eine Plattform zu verschaffen. Labels wie das all-female Label 365xx, oder das sächsische Netzwerk für Flinta* Music S Women* stellen Möglichkeiten dar, Flinta* in diesem Business zu unterstützen und für eine gerechtere Repräsentation zu sorgen, sowohl in der Musikbranche an sich als auch auf Festivals.
Natürlich ist bei der Erklärung der fehlenden Transparenz von Flinta*-Artists auf Festivals nicht nur die benötigte mentale Kraft, Arbeit und Kapazität zu berücksichtigen, sondern auch die verfügbare Zeit der Flinta*, sich überhaupt einem solchen Berufsweg zu widmen. Aufgrund der patriarchalen Segregation sind viele Flinta* in Care Arbeit eingespannt und haben gar keine Zeit, sich kreativ auszuleben, selbst wenn sie wollten.
Das Patriarchat und der Kapitalismus gehen auch bei diesem Problem Hand in Hand, da Männer aufgrund dieser gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umstände Attribute wie, sich verkaufen und vermarkten zu können oder laut und raumeinnehmend zu sein, in die Wiege gelegt bekommen. Das sind Eigenschaften, die im freiberuflichen oder selbstständigen Berufssegment nötig sind, um zu überleben oder sich einen Namen zu machen. Nicht Flinta* sind daran schuld, diese Attribute teilweise oder oft erst lernen zu müssen, sondern das Patriarchat.
Auf jeden Fall ist es kein absolut pures Kalkül, überwiegend Männer für Festivals zu buchen. Aufgrund der patriarchalen Strukturen, in denen wir leben, wird aber oft einfach hingenommen, dass es eben mehr Männer als Flinta* auf Festivals schaffen, trotz der großen Ungerechtigkeit, die dahintersteckt. Wir sagen: Sichtbarkeit schafft Normalität und Normalität schafft Sichtbarkeit. Also ran an’s Mic!
Jule Oeser
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