Wie wir die Gesellschaft sehen, hat viel mit den Bildern zu tun, die uns im Alltag begegnen. Und die sind oft männlich geprägt. In der Literatur, in der Werbung und im Film. Doch das geht auch anders: Seit einiger Zeit kursiert der Begriff des female gaze und hinterfragt den omnipräsenten männlichen Blickwinkel auf die weiblichen Charaktere und die erzählte Geschichte.
Der male gaze
Männer schauen auf Frauen und stellen diese dar: als potentielle sexuelle Partnerinnen, als Objekte des männlichen Vergnügens. Das ist – verkürzt gesagt – die Definition des male gaze von Laura Mulvey, die diesen Begriff in den siebziger Jahren prägte. Wir alle kennen das: Megan Fox in Transformers, Marilyn Monroe in The Seven Year Itch, jedes Bond-Girl in jedem Bond-Film (im Internet kursiert der Begriff des bond gaze) – Szenen, in denen die Kamera den weiblichen Körper abfährt, um die Frau in ihrer Attraktivität zu zeigen.
Der Autor und sein Accessoire
Der Mann ist aktiv, die Frau passiv; er agiert als Autor und Interpret, sie als Accessoire. Die Kamera gibt dabei den Blick vor, meist folgt eine Einstellung, in der wir Männern dabei zuschauen können, wie sie Frauen anstarren. Der männliche Blick existiert also (mindestens) drei Mal: in der männlich geführten Kamera, im männlichen Protagonisten und im männlichen Zuschauer. Aber das bedeutet nicht, dass die weibliche Zuschauerin oder die weibliche Filmemacherin gefeit ist vor dem male gaze: Immerhin sind auch wir indoktriniert von dieser jahrelang dominierenden Darstellung der Frau. Auch Filme wie Wonder Woman von Regisseurin Patty Jenkins können dem male gaze nicht entfliehen. Denn nein, nicht die Darstellung einer starken Frau in der Hauptrolle bedeutet, sich vom male gaze abgewandt zu haben.
Es geht auch anders
Jetzt zu den guten Nachrichten: Ja, es existiert auch ein female gaze. Er ist weniger dogmatisch und dadurch weniger leicht zu erklären. Er definiert sich nicht dadurch, Männer zu objektivieren, und sie von Frauen begaffen zu lassen. (Immerhin bedeutet Feminismus auch nicht, dass Frauen nicht mehr emotional sein dürfen, oder Männer Kleider tragen müssen – auch wenn beides absolut ok ist). Denn Problem des male gaze ist sicher auch seine heteronormative, weiße Sicht, die der female gaze versucht, aufzubrechen.
Der female gaze
Der female gaze beschreibt, wie Frauen – und die Welt – nicht aus einer cis-männlichen Perspektive betrachtet werden. Es geht nicht um die oberflächliche Objektivierung von Personen, sondern um eine diverse, nicht auf den Körper bezogene Darstellung. Dabei entsteht vor allem eine Frage, die in der Vergangenheit oft keine Rolle gespielt hat: Was wollen Frauen sehen? Was passiert mit all diesen Action-Filmen, die primär darauf ausgelegt sind, Männern zu gefallen und Frauen als Objekte ihrer Begierde zu inszenieren? Tja, vielleicht verschwinden sie. Dafür kommen neue, spannende, vielseitige Filme und Serien dazu.
Was Frauen sehen wollen
Fleabag von der großartigen Phoebe Waller-Bridge, die von einer Frau erzählt, die zynisch und absolut unangepasst vögelt, streitet und leidet. Die wunderbare Serie Transparent von Joey Soloway, (die in diesem Video eine Definition des female gaze vorschlägt), in der die binäre Geschlechterdefinition aufgehoben wird. Das Erwachsenwerden von jungen Frauen in der Banlieue von Paris in Mädchenbande von Céline Sciamma. In Little Women schafft Greta Gerwig es, uns eine Reihe diverser femininer Lebensentwürfe vorzustellen, die geprägt sind von gesellschaftlichen Einflüssen und sich doch ihre eigene Daseinsberechtigung erkämpfen.
Der female gaze in Kunst, Literatur, Musik – und überall?
Die Reihe geht (ein Glück!) so weiter und hört nicht auf an den Grenzen des Formats Film. Der female gaze existiert genauso in der Kunst, in der Literatur, in der Musik. In ihrem Buch Girl on girl. Art and photography in the age of the female gaze zeigt Charlotte Jansen uns eine Reihe von Bildern, die entstehen können, wenn Frauen sich selbstbestimmt auf die Suche machen nach Perspektiven auf sich selbst.
Und natürlich ist der female gaze und die daraus resultierende Darstellung der Welt nicht den cis-Frauen vorenthalten, sondern erkämpft sich, fingers crossed, seinen Weg in das Alltägliche – und damit auch in die Vorstellung der Gesellschaft der nächsten Generationen. Dass wir von männlich gelenkten Bildern umgeben und davon beeinflusst sind, ist kein Geheimnis. Umso wichtiger ist es, dieses Dogma zu sprengen und die Gesellschaft in ihrer Diversität zu zeigen; der Ansatz des female gaze gibt diesem Gedanken einen Namen.
Lea Lünenborg
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