Februar ist Black History Month – eine Zeit, in der die Geschichte und das Leben von Schwarzen Menschen im Fokus stehen. Jedes Jahr ist es eine Gelegenheit, besonders bewusst den Stimmen Schwarzer Aktivist*innen zuzuhören. Wir stellen uns dieses Jahr die Frage, was ist eigentlich Misogynoir?
Der Begriff „Misogynoir“ wurde 2008 von der US-amerikanischen Wissenschaftlerin, Schriftstellerin und Aktivistin Moya Bailey eingeführt. Er beschreibt die spezielle systematische und strukturelle Unterdrückung und Diskriminierung, die Schwarze Frauen erleben. Denn diese sind nicht nur separat von Sexismus und Rassismus betroffen, sondern von einer bestimmen Form von rassistischem Sexismus und sexistischem Rassismus. Dieser unterscheidet sich von dem Sexismus, den nicht-Schwarze Frauen erleben, oder dem Rassismus, den Männer erleben. So steht der Begriff in Verbindung mit dem Konzept der Intersektionalität.
In ihrem Buch „Misogynoir Transformed“ geht Bailey vertieft auf die Bedeutung des Begriffes ein. Sie forscht vor allem zu den Auswirkungen von Misogynoir innerhalb visueller Medien und digitaler Kommunikation. Besonders dort ist ist die bildliche Darstellung von Menschen sehr wichtig. Medien beeinflussen die Wahrnehmung innerhalb von Gesellschaften und können so Stereotype und einengende Rollenvorstellungen produzieren und reproduzieren. Misogynoir und auch alle anderen Formen von Diskriminierung sind in allen Formen von Medien zu finden. Doch besonders durch das Internet können abwertende Bilder von Schwarzen Frauen, die schon lange existieren, schneller und einfacher zirkuliert werden. Auch sind die Medien nicht mehr auf einen regionalen und nationalen Rahmen beschränkt, sondern die sexistischen und rassistischen Darstellungen können global verbreitet werden.
Eine lange Geschichte
Misogynoiristische Darstellungen werden dafür benutzt, um die gesellschaftlich schlechte Behandlung von Schwarzen Frauen zu rechtfertigen. Misogynoir ist zwar als Begriff neu, doch das, was er beschreibt, hat eine lange Geschichte: Eine der historisch bekanntesten Fälle ist die Sensationalisierung von Sarah Baartmans Körper. Baartman war eine versklavte Frau aus dem heutigen Südafrika, die Ende des 18. Jahrhunderts gelebt hat. Sie wurde von ihren Besitzern durch die Welt geschickt, um ihren Körper vor einem weißem Publikum zu zeigen und zu vermessen. Dabei war Baartmans Einwilligung dazu total irrelevant – sogar ihre Vulva wurde gezeigt. Sie wurde für die Unterhaltung einer weißen Publikums ausgebeutet, vollkommen auf ihren Körper und Geschlechtsteile reduziert, und mit Tieren gleichgesetzt. Selbst nach ihrem Tod hatte Sarah Baartman kein recht auf ihren eigenen Körper. Ihre Körperteile wurden weiter in Museen ausgestellt, und erst 2002 wurde ihre Überreste nach Südafrika zurückgebracht und dort bestattet.
Misogynoir und Medizin
Wie alle anderen Formen von Diskriminierung zieht sich Misogynoir durch alle gesellschaftlichen Bereiche. Gefährlich kann das schnell in der Medizin und dem Gesundheitswesen werden. Rassismus in der Medizin betrifft Schwarze Frauen besonders stark. Wegen Vorurteilen kommt es oft zu einer schlechteren medizinischen Versorgung, und dadurch zu einer höheren Wahrscheinlichkeit von Komplikationen und sogar Tod. Die rassistische Behauptung, dass Schwarze Frauen keinen Schmerz spüren würden, wurde benutzt, um körperliche Ausbeutung und Misshandlung zu rechtfertigen. Die Gynäkologie wurde zum Beilspiel entwickelt, indem an Körpern von versklavten Schwarzen Frauen experimentiert wurde, ganz egal ob diese das wollten oder wie viel Schmerzen ihnen bereitet wurden. Außerdem werden in der Forschung Krebszellen einer Schwarzen Frau genutzt, ohne dass sie oder ihre Familie je dazu eingewilligt hatten. Das Problem von Rassismus in der Medizin bleibt eins, was oft verschwiegen wird – und so bleibt es ein Ort, der für viele Schwarze Frauen nicht unbedingt Hilfe, sondern auch Gefahren darstellt.
Die historisch herabwürdigenden Bilder von Schwarzen Frauen und negative Stereotype sind immer noch präsent in heutigen Medien und Institutionen. Sie haben sich vielleicht hier und da ein bisschen verändert und sich den heutigen kulturellen Kontexten angepasst, tragen aber weiter zur Abwertung Schwarzer Frauen bei. Die Körper von Schwarzen Frauen werden stark sexualisiert und exotisiert. In medialen Darstellungen werden sie oft in eindimensionalen und flachen Klischees gezeigt – und diese wirken sich darauf aus, wie Schwarze Frauen gesellschaftlich wahrgenommen werden.
Misogynoir und Queerness
Über Misogynoir zu reden bedeutet auch, über queere Schwarze Perspektiven zu sprechen. Auch queere Schwarze Menschen sind stark von Diskriminierung und Sexualisierung betroffen. Das ganze kann auch lebensgefährlich sein: Besonders Schwarze trans Frauen sind viel Gewalt ausgesetzt. Selbst für Schwarze cis Frauen gibt es eine Verschränkung mit Transfeindlichkeit. Sie wurden seit langem stark maskulinisiert. Zum Beispiel gab es lange Gerüchte über Michelle Obama, und dass sie insgeheim ein Mann sei – alles um sie weiter abzuwerten. Transfeindlichkeit schadet wie so oft am Ende allen. Bailey betont daher, dass im Kampf gegen Misogynoir ein Kampf gegen jede Form von Hetero- und Cisnormativität zentral sein muss.
Widerstand bleibt wichtig
Bailey sieht besonders innerhalb digitaler Räume Möglichkeiten für Widerstand gegen Misogynoir und Gewalt. Von Misogynoir betroffene Menschen können durch soziale Medien neue Bilder und Repräsentationen schaffen, Bilder, die sie selbst kreieren und die keine Fremdzuschreibungen sind. Soziale Medien sind so eine Art der Selbstermächtigung, Empowerments, und des selbstbestimmten Ausdrucks. Es können neue Verbindungen zu anderen geschaffen werden, und Menschen können sich selbst und die Gemeinschaft stärken.
Aber nur Empowerment reicht auf Dauer nicht. Es liegt auch an nicht-Schwarzen Menschen, ihre Annahmen zu Schwarzen Menschen und vor allem Schwarzen FLINTA zu hinterfragen. Die erlernten Vorurteile muss man wieder verlernen, und kontinuierlich gegen Misogynoir ankämpfen. Es wird immer wichtig bleiben, die Perspektive von Menschen, die von Misogynoir betroffen sind, zu zentrieren, besonders innerhalb von feministischen Bewegungen. Nutzt also diesen Black History Month, euch zu informieren und Schwarzen Menschen zuzuhören. Erwartet aber auch nicht, dass jetzt jede Schwarze Person zu einer persönlichen Bildungsmöglichkeit wird. Stattdessen könnt ihr hier anfangen:
Euer Schweigen schützt Euch nicht ist eine Sammlung von Texten über die Schwarze Frauenbewegung in Deutschland und ihre internationalen Verbindungen, unter anderem zu Audre Lorde. Die Mischung aus Essays, Gedichten, Interviews und Erinnerungen macht das Buch besonders zugänglich und persönlich.
Baileys Buch Misogynoir Transformed analysiert Misogynoir besonders in digitalen Räumen und zeigt die Bedeutung von Widerstand im Internet. Besonders die Einleitung lohnt es sich zu lesen – hier erklärt Bailey den Begriff sehr ausführlich.
bell hooks kann man fast immer empfehlen, und auch ihr Buch Ain’t I a Woman ist hier ein guter Hinweis, wenn man mehr zu der Verbindung von Sexismus und Rassismus, und die spezifische Position von Schwarzen Frauen lernen will.
exit RACISM von Tupoka Ogette ist ein guter Anfangspunkt, wenn man sich als weiße Person mit Rassismus auseinandersetzen will. Das Buch ist auch als Hörbuch erhältlich, und fordert einen dazu auf, aus den eigenen Komfortzonen raus zu kommen.
Juliette
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