Als ich vor fast 20 Jahren nach Island auswanderte, wusste ich herzlich wenig über die kleine Insel hoch im Norden. Das Einzige, was ich wusste, war: hier habe ich Arbeit, um meine beiden Kinder (damals 10 und 13 Jahre alt) und mich ernähren zu können und dass wir ein ganzes Haus mit Garten bewohnen würden. Das hat mir gereicht, weil es viel mehr war, als ich bis dahin in Berlin hatte.
Isländer*innen sowie auch Ausländer*innen bewundern immer wieder meinen Mut und dass ich mich getraut habe, auszuwandern – vor allem als Alleinerziehende.
Mutig fand ich mich damals ganz und gar nicht. Ich war nur stolz darauf, es zu tun
Erst heute verstehe ich warum: Ich war stolz darauf, etwas zu wagen, was andere sich nicht trauen würden. Ich glaube, mein Lebensmodell war schon immer „Anderssein zu wollen“, nicht in der grauen Masse unterzugehen. Dazu gehörte auch mit über 40 Jahren ein neues Lebensziel zu entwickeln, innerhalb von drei Monaten alles in einem Container zu verstauen und sich nach Island ins Ungewisse zu begeben. Zum Glück haben weder die Kinder noch ich es jemals bereut. Und gut, dass ich damals nicht wusste, wie schwer es werden würde!
Ausserdem war da die Sehnsucht, mir und den Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen.
Ich hatte den Eindruck damals nach der Wende, dass in Berlin sich weder eine Änderung meiner Wohnsituation ergeben noch eine angemessene Arbeit als Sozialarbeiterin zu bekommen war. Alles in allem also schlechte Zukunftsaussichten.
In dem neuen Land Fuß zu fassen, war nicht einfach. Es dauerte viel länger als ich dachte, die Sprache zu lernen. Zudem hat jede Nation einen anderen National-Charakter, geprägt von deren Geschichte, Traditionen und Gewohnheiten. Auf Island erlebte ich viele mir unbekannte, also anders gewachsene Gewohnheiten. Das Fehlen mir vertrauter Botschaften und Verhaltensweisen machte mir deutlich, wie wichtig sie im täglichen Leben sind. Es hat mir sehr geholfen, dass ich ein Mensch bin, der nicht einfach aufgibt und es mir ein sehr großes Bedürfnis ist, die Dinge um mich herum zu verstehen. Dies hat es mir möglich gemacht mich heute wohl auf Island und zuhause zu fühlen.
Was mich nicht umbringt, macht mich stärker
In meiner Kindheit wurde ich in der Grundschule von anderen Kindern gehänselt. Damals erklärte ich den Spruch „Was mich nicht umbringt, macht mich stärker“ zu meinem Leitspruch. Er half mir, zu mir zu stehen. Später, als ich dann Sozialpädagogin und Sozialarbeiterin war, empfand ich ihn eher als traurig. Er zwang mich dazu, stark zu sein und etwas auszuhalten, was wirklich kein Menschen(kind) ertragen sollte. Wenn ich mich heute an diesen Spruch erinnere, hat er aber wieder eine positive Bedeutung für mich.
All die Schwierigkeiten, die ich in meinem Leben erlebt habe, erst in Deutschland und dann auch hier – sind ein Teil von mir und meiner Aufgabe im Leben. An diesen Aufgaben reife ich noch immer und bin inzwischen auch richtig dankbar dafür. Hätte ich sonst noch einmal einen Neustart, diesmal in die Selbstständigkeit gewagt? Ausgewandert wäre ich ganz sicher auch nicht, wäre mein Leben in Deutschland zuckersüss gewesen. Der alte neue Spruch „Was mich nicht umbringt, macht mich stärker“ impliziert heute etwas, was vielleicht mit zärtlichen Gefühlen mir gegenüber am besten erklärt werden kann. Mein Leben war, wie auch das der meisten anderen Menschen, oft schwierig und ist es immer noch. Aber ich habe durchgehalten, durch Hoch und Tiefs (und manchmal sehr tiefe Tiefs) und mich nicht unterkriegen lassen. Mein Leben hat mich zu der gemacht, die ich heute bin.
War ich vermutlich schon immer irgendwie stark, jetzt weiß ich es!
Ich liebe diese Frau (MICH), die immer etwas anders machen muss als andere
Und das kapiere ich erst jetzt so richtig. Es ist mein Lebensmodell: meine andere Art zu leben, mein Haus einzurichten, meinen Garten zu gestalten, mit 60 ein Unternehmen zu gründen, finanzielle Unsicherheit zu ertragen, weit von der Familie weg zu sein, eine neue Sprache zu lernen, Auszuwandern und und und…
Waren in Deutschland immer Menschen um mich herum, die mich in meine (ihre) Schranken weisen wollten – hier ist keiner, der mich reglementiert. Isländer*innen sind alle kleine Könige, weil die Individualität hier eine gesellschaftlich verankerte Institution ist.
Liebe Grüße von eurer Königin Helga
Helga Hausner
Über Helga Hausner:
64 Jahre, wanderte mit ihren zwei Kindern 1997 nach Island aus. Heute ist sie mit zwei Unternehmen selbstständig dem Ísafjördur Guide und den Islandfrauen.
Johanna meint
Auf jeden Fall war Deine Entscheidung mutig. Tätigkeit ist schließlich das Leben! Weiterhin alles Gute und viel Freude am Leben in Island mit viel Natur und herrlich frischer Luft (selbst erlebt).