Eine Sonntagskolumne (am Freitag).
Generation Y. Hinterfragende und Sinnsuchende. Menschen, die Karriere anzweifeln, emanzipierte Familienbilder einfordern und zugleich (oder gerade deswegen) das eigenen Wohlbefinden über alles stellen. Sie prügeln sich nicht mit Polizisten (sind ja auch über 20), aber sie sind auch nicht unpolitisch, denn politische Statements über Twitter sind durchaus wirkungsvoll, wie sich zeigte – Poppolitik oder wie auch immer man das nennen mag. Spannenderweise wird dies aber häufig stark an „das Schöne an sich“ gekoppelt: Mit codierten Kleidungsstilen, einer hohen Begeisterung für Design, dem Sinn für Typographie, der Liebe zu MacBooks, DIY und Handarbeit.
Mal ehrlich, viel mehr als Zynismus fällt mir dazu nicht ein.
Es sind Stadtkinder, die vom Land träumen, aber auf ihren Latte Macchiato nicht verzichten wollen (ach nee, der gute alte Filterkaffee – selbst gemahlen natürlich – ist ja wieder in). Und sorry, „Kinder“ ist das falsche Wort, es sind Leute zwischen Mitte Zwanzig und Ende dreißig mit Flanellhemden, überlangen Vollbärten, Tattoos, Blümchenkleidern und langen Haaren, die in sanften Wellen über die Schultern fallen. Erwachsene Menschen, die Begriffe wie „erwachsen“ oder „Erfolg“ in Frage stellen. Leute, die wieder heiraten und so aussehen als kämen sie aus dem Norden der USA, als würden sie Holz hacken, Bären verjagen, Feuer machen, auf der Veranda Gitarre spielen, Gemüse ziehen und abends „home is where the heart is“ ins Kopfkissen sticken. Gitarre spielen, Sticken und die Balkonkästen befüllen, können die meisten auch. Beim Feuer machen wären sie schon aufgeschmissen und in der freien Natur eh (ohne Smoothie aus dem Marmeladenglas, Berlin-Mitte-Second-Hand-Boutiquen oder YouTube-Tutorials)…
Aber man kann ja träumen… Von einer schönen, friedlichen Welt mit Holzhaus und Veranda am See, einem Mann, der auch aussieht wie ein Mann (Vollbart!), aber bitte mit modernen Ansichten bzw. einer Frau in Blümchenkleid, aber schon auch emanzipiert (wenigstens gibts da keine Rückschritte), einem Baby mit Stoffwindeln (diese Plastikdinger sind ja sooo giftig), einem netten kleinen Hund aus dem Tierheim, ein bisschen Jobberei im Online-Bereich, ein eigener kleiner Blog mit Rezepten (traditionell und regional) und und und…
Nach eigenen Beobachtungen ist die Bildung hoch, die meisten haben studiert (eher Geisteswissenschaften als Wirtschaft), waren früher auf Demos und sind nach wie vor auch irgendwie noch politisch interessiert. Sie haben ab und an auch schon geschuftet. Nur reicht es jetzt damit, der Rückzug ins „eigene Heim“ signalisiert klar „Lasst mich in Ruhe ihr Banker_innen und Manager_innen dieser Welt, ich brauche euer Geld nicht und eure Karrieren können mir sowie gestohlen bleiben“ (durchaus der richtige Ansatz!)
Naja, ich könnte noch mehr lästern… Und mit diesem Statement läster ich auch ganz gewaltig über mich selber, keine Sorge.
Aber sich verstecken bringt ja auch nix.
Die Welt ist nunmal manchmal scheiße, ob mit selbstgezogener Tomate auf dem selbstgebackenen Brot oder ohne. Manchmal spuckt sie einem ins Gesicht und wenn nicht mir, dann jemand anderem. Und wenn man mal ehrlich ist, dann meistens jemand anderem und dann ganz gewaltig. Und sich zu verkriechen macht es leider nicht besser!
Gott sei dank lese ich zumindest noch Zeitung. Jeden Tag. Mehrmals. Ganz in Echt 😉
Danke an meine Freund*innen, die sich mit Gewerkschaftsarbeit beschäftigen, mit Obdachlosen arbeiten, Flüchtlinge unterrichten, feministisch organisiert sind, für ein gerechteres Schulsystem kämpfen und sich politisch mit „echten“ Taten engagieren. Ihr erdet mich mehr als es jede Kaffeemühle und Tomatensamen dieser Welt je könnten!
(Der Dank für die Inspiration geht an Julia Friedrichs, die im ZEIT-Magazin über genau dieses Thema schrieb)
Janina Bartmann
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