Am Neujahrsmorgen habe ich zufällig zwei Knoten in meiner linken Brust entdeckt. Ich war wie leer und kann nicht mal sagen, ob ich Angst hatte oder traurig war. Still und ruhig und irgendwie einsam mit mir von einer auf die andere Sekunde. Dann nach einigen Minuten die Frage: Und jetzt?
Wohin mit meiner Angst?
Am 2. Januar versuchte ich, meinen Gynäkologen zu erreichen, der jedoch in Urlaub war. Noch zehn Tage warten, wieder anrufen, einen Termin geben lassen und dann? Die nächste Frage: Wem erzähle ich davon? Erzähle ich es überhaupt jemandem? Muss ich das? In meiner Familie sind alle Frauen an Krebs gestorben, wundern würde es mich nicht, auch nicht in meinem Alter, das hatten wir auch schon bei der Cousine meiner Mutter.
Vor zwei Jahren hat sich meine beste Freundin beide Brüste amputieren lassen, da die Ärzte eine so große genetische Vorbelastung festgestellt haben, dass ihr dazu geraten wurde. Sollte ich ihr von den Knoten erzählen? Wie würde sie es aufnehmen? Sollte ich es meinen Eltern sagen? Sie würden sicherlich große Angst bekommen und es stand doch gar nicht fest, was es nun war. Zwei Knoten. Linke Brust. Fakt. Erst wollte ich es niemandem sagen, einfach für mich behalten, allein zur Untersuchung und wenn dann alles gut ist, dann vielleicht erzählen. Doch würde ich damit nicht alle verletzen? Dass ich mich ihnen nicht anvertraut hatte?
Ich entschied mich am gleichen Tag, meinem Mann davon zu erzählen. Er ist immer sehr ruhig und zeigt nicht, wenn er sich sorgt. Er nimmt erst mal nichts als das Schlimmste an, bis es nicht tatsächlich bewiesen ist. So war es auch: „Mach dir keine Sorgen, ist nichts Schlimmes, mach dich nicht verrückt, ist doch für nichts. Fest steht: Zwei Knoten, linke Brust, sonst wissen wir nichts.“
Banges Warten auf Gewissheit
Die Tage bis zum Anruf beim Frauenarzt zogen sich wie Kaugummi. Irgendwie schaffte ich es, keinem zu zeigen, was in mir vorging. Ich vermied den Kontakt zu einem Menschen, der mir sehr wichtig ist: meinem besten Freund. Er merkt immer als Erster, wenn mit mir etwas nicht stimmt, und ich wollte ihm davon nicht erzählen. Er nimmt auch eher nichts als gegeben und schlimm hin und hat dann eine extrem aufmunternde Art, die mich immer mitreißt. Ich war mir nur nicht sicher, ob ich mir jetzt erlauben wollte, fröhlich zu sein, und mich darauf zu verlassen, dass alles gut wird beziehungsweise gut ist.
Natürlich bemerkte er mein Verhalten und so habe ich es ihm dann doch erzählt. Anders als sonst machte er keine Aufmunterungsversuche und spielte nichts herunter. Er meinte zwar, dass ich mich nicht zu sehr sorgen soll, war aber ungewöhnlich still und zurückhaltend. Der Termin beim Gynäkologen ergab, dass ich recht hatte mit den zwei Knoten, und aufgrund der erblichen Belastung sei es nicht auszuschließen, dass es Krebs sei. Ich bekam eine Überweisung zur Mammographie und musste nochmals zwei Tage warten.
Nicht allein bei der entscheidenden Untersuchung
Zu dem Termin wollte ich alleine gehen. Am Abend vorher erzählte ich es meinem Vater und bat ihn zu entscheiden, ob meine Mutter davon wissen soll. Sie nimmt seit ihrem Herzinfarkt alles Belastende nicht mehr so gut auf. Und so wussten dann mein Mann, meine Eltern und mein bester Freund von den zwei Knoten.
Am Morgen bevor ich allein ins Krankenhaus fuhr, passierte dann eines der besten Dinge, die mir je passiert sind: Mein bester Freund hat sich Urlaub genommen und fuhr mit mir ins Krankenhaus, obwohl ich das vorher abgelehnt hatte. Ich war dann doch unglaublich froh darüber, nicht allein sein zu müssen. Er war einfach nur da, hat nicht viel gesprochen, aber allein seine Nähe hat mich beruhigt.
Nachdem alle Untersuchungen abgeschlossen waren und der Arzt mir mitteilte, dass es sich um Fettablagerungen handelt, die sich von selbst abbauen werden, bin ich den Krankenhausgang vor ihm her entlanggehüpft wie ein Grundschulmädchen, das ein wunderschönes Kleid trägt und barfuß durch morgentaufeuchtes Gras hüpft. Mein Herz hat Purzelbäume geschlagen. Ich habe noch nie eine solche Erleichterung verspürt. Zum Glück gibt es Menschen, die auch mal wissen, was gut für einen ist, wenn man es grad selbst nicht sehen kann.
Michelle Bourguignon
Schreibe einen Kommentar