Wenn wir heute an die alte Bundesrepublik denken, sind es meist die Namen männlicher Politiker, wie Brandt, Kohl und Fischer, die uns als erstes in den Sinn kommen. Die Biografien weiblicher Politikerinnen sind weniger bekannt, ihre Leistungen werden weniger thematisiert. In seinem bewegenden Kollektivportrait „In der Männer-Republik – Wie Frauen die Politik eroberten“ stellt Torsten Körner jene Frauenbiographien in den Vordergrund und beschreibt den, bis heute anhaltenden, Kampf von Frauen um politische Gleichberechtigung.
Ein Mann, der über Frauen schreibt
Torsten Körner ist deutscher Journalist, Autor, Fernsehkritiker – und ein Mann. Bei manchen Leser*innen könnte deshalb die Frage aufkommen: Warum muss gerade ein Mann ein Buch schreiben, in dem es darum geht, die Stimmen weiblicher Protagonistinnen aufzuzeigen? Die Sorge vor einem möglichen Mansplaining ist jedoch unbegründet. Körner schreibt selbstkritisch und reflektiert – nie belehrend. Mit vielen Politikerinnen traf er sich persönlich und lässt sie in seinem Werk zu Wort kommen. Denn wer könnte das Klima im damaligen Bundestag besser beschreiben, als die Frauen selbst? Torsten Körner nimmt die Leser*innen mit auf eine kleine Reise in die Vergangenheit. Diese Reise ist oftmals frustrierend. Sie macht wütend. Vor allem ist sie aber inspirierend und zeigt auf, mit welcher Kraft sich Frauen ihren Weg in die deutsche Politik erkämpften.
Machenschaften und Manipulation
Bei der Betrachtung des politischen Alltags vor ein paar Jahrzehnten scheint es durchaus angebracht, den Weg von Frauen in die Politik als Kampf zu bezeichnen. Männer haben ihre weiblichen Mitstreiterinnen seit jeher klein gehalten, manipuliert, belästigt und lächerlich gemacht.
Ein paar Beispiele gefällig?
In einer Berichterstattung vom Spiegel wird Dr. jur. Elisabeth Schwarz 1961 eine Woche nach ihrer Vereidigung als „Fräulein Schwarzhaupt (‚Bitte, sagen sie Frau Bundesministerin zu mir!‘)“ bezeichnet. Nicht nur wird ihr der eigene Doktortitel abgesprochen und sie wird auf die Bezeichnung „Fräulein“ reduziert – zusätzlich wird ihr Wunsch nach korrekter Anrede ins Lächerliche gezogen.
In den 70er Jahren wollte Lenelotte von Bothmer eine Rede im Bundestag halten. Es war geplant, das Regime wegen seiner Menschenrechtsverletzungen bezüglich der Südafrika-Debatte anzuprangern. Sie war die letzte Rednerin des Tages. Sie hatte nur fünf Minuten Zeit. Kurz bevor ihre Redezeit begann, erhob sich der Außenminister und griff mit einem langen Monolog bewusst in die laufende Debatte ein. Als er mit seiner Rede fertig war, schließt der Bundestagspräsident die Debatte. Von Bothmer kam nicht zu Wort.
Eine weitere Situation beschreibt Renate Hellwig im Gespräch mit Torsten Körner:
„Ich hatte in der Fraktion wieder einmal ganz energisch für ein Gesetz gegen die Diskriminierung von Frauen argumentiert. Ein Kollege war über meine Rede dermaßen empört, dass er aufsprang, auf mich zukam und mir eine Ohrfeige gab.“
Dieses Beispiel zeigt auf, dass die Übergriffe von Männern nicht nur verbal stattgefunden haben. Hierbei hat es sich auch nicht um einen Einzelfall gehandelt. Eine 1984 von den Grünen in Auftrag gegebene Studie über sexuelle Belästigung ergab: Jede zweite Frau hat bereits anzügliche Bemerkungen erfahren müssen, jeder fünften Frau wurde bereits an den Busen gefasst und jede zehnte wurde durch ihren Vorgesetzten oder Kollegen zum Geschlechtsverkehr aufgefordert.
Feminat und Frauenrechte
Ebenso wie Fälle von Manipulation und Belästigung beschreibt der Autor auch, wie die Politikerinnen Taktiken entwickelten, um sich im politischen Alltag gegen ihre männlichen Kollegen zu behaupten.
Um sexistischen Kommentaren vorzubeugen, empfahl Heide Simonis (SPD) beispielsweise anderen Politikerinnen, dass sie sich mit ihrem Kleidungsstil an den der Männer annähern sollen. Somit können sie nicht so stark auf ihr Äußeres reduziert werden und bieten weniger Angriffsfläche. Diese Vorgehensweise war nichts für die Frauen der Grünen. Sie drückten ihre Weiblichkeit weiterhin durch ihre Kleidung aus. Sexistische Kommentare wie „Die ist auch besser im Bett als im Parlament“ wurden öffentlich von ihnen bei Bundestagsreden thematisiert. Somit regten sie wichtige Debatten an, wie die bereits erwähnte Studie über Sexismus am Arbeitsplatz.
Die Frauen der Grünen waren auch diejenigen, die 1984 das erste Mal in der deutschen Politik einen Fraktionsvorstand bildeten, der nur aus Politikerinnen bestand. Das sogenannte „Feminat“ bestand aus Heidemarie Dann, Annemarie Borgmann, Antje Vollmer, Erika Hickel, Waltraud Schoppe und Christa Nickels. Körner fässt das Feminat zusammen als „politisches Machtmanöver, bei dem es darum ging, Macht umzuverteilen“. Das Frauenbündnis war auf ein Jahr befristet und galt in vielerlei Hinsicht als Erfolg. Manche Feministinnen waren enttäuscht, dass sich die Politikerinnen nicht mehr für die Frauenbewegung eingesetzt haben. Dies war aber ein bewusster Schachzug, da ihnen somit kein Kalkül von ihren männlichen Kollegen vorgeworfen werden konnte.
„Die politischen Gegner des Feminats konnten die weibliche Führungsriege nicht als radikale Feministinnen abtun, sondern mussten den eher sachlich-pragmatischen Führungsstil anerkennen“ – Torsten Körner
Schritt für Schritt schlossen sich die Politikerinnen auch fraktionsübergreifend zusammen. Ihre gemeinsamen Kooperationen brachten ihnen vor den Männern Respekt und teilweise auch Furcht.
Der Kampf ist noch nicht vorbei
„Frauen, wenn wir heute nichts tun, leben wir morgen wie vorgestern“ – Annemirl Bauer
Auch wenn die Ansichten und Meinungen der Parteien teilweise voneinander abgewichen sind, verband die Frauen doch vor allem eines: Sie wollten ihre eigene Stimme finden. Und sie sorgten dafür, dass ihre Stimmen auch gehört wurden. Auch Nicht-Politikerinnen wissen, wie es sich anfühlt, als Frau nicht gehört zu werden. Leser*innen dieses Buches kommen somit nicht darum herum ehrfürchtig zu sein, vor dem was diese beeindruckenden Frauen erlebt haben, wofür sie gekämpft haben. Und der Kampf um politische Gleichberechtigung ist noch nicht vorbei. Es braucht weiterhin starke Frauen innerhalb und außerhalb der Politik, die sich für dieses Ziel einsetzen.
Melissa Eiseler
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