Patriarchale Strukturen sind allgegenwärtig spürbar. Gerade für FLINTA*. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass in allen gesellschaftlichen Bereichen die patriarchalen Strukturen merklich mein Leben beeinflussen. Das fängt schon an der Universität an, wo ich schon zu hören bekam, dass ich nicht für die Forschung geeignet sei und einen traditionelleren Weg, Heirat, Kinder, eingehen solle. Oder im Fitnessstudio, wo man mir sagte, ich könne viel Gewicht stemmen, für eine Frau. Aber auch bei meiner Denkweise bemerke ich häufiger, dass ich in diese patriarchalen Strukturen reinfalle. Mich bei Technik eher an Männer wende, lieber Männer als Frauen beim Aufbauen von Möbeln nach Hilfe frage.
Das Thema Patriarchat wurde bereits auf den frauenseiten erläutert. Wenn wir gegen das Patriarchat kämpfen, fordern wir nicht nur eine Gleichstellung von Mann und Frau. Wir müssen auch alle anderen Formen der Diskriminierung, zum Beispiel Sexualität, Identität und Rassismus, bekämpfen. Und genau um diese und weitere Themen geht es in dem Buch „Unlearn Patriarchy“. Die Autor*innen sind Lisa Jaspers und Naomi Ryland, herausgegeben wurde es von Silvie Horch. Was dieses Buch so besonders macht, sind die 17 unabhängigen Aufsätze, aus denen es besteht.17 Autor*innen haben das Buch durch ihren Beitrag mitgestaltet und geformt. Sie haben sich mit den verschiedenen Facetten des Patriarchats auseinander gesetzt und ihre Erfahrungen, Meinungen und Lösungsvorschläge geäußert.
Patriarchat ist allgegenwärtig
Das Buch hat deutlich gezeigt, dass in allen Bereichen des alltäglichen Lebens das Patriachat immer noch stark vertreten ist. Sei es im Beruf, in der Liebe oder aber auch im ganz normalen Alltag, die Auswirkungen des Patriachats sind überall stark spürbar. Besonders problematisch für FLINTA*, besonders profitabel für männlich gelesene Personen. Im Folgenden werden drei Aufsätze zu den Themen Wissenschaft, Sprache und Sexualität und deren Verfasser*innen vorgestellt.
Patriarchat in der Wissenschaft
Ein Aufsatz befasst sich mit dem Thema, inwiefern das Patriarchat in der Wissenschaft noch deutlich spürbar ist. „Unlearn Wissenschaft“ wurde von Friederike Otto verfasst, einer Physikerin und Klimatologin, die seit 2021 am Imperial College in London arbeitet und dort Teil des Forschungsnetzwerkes „Climate Strategies“ ist. Auch bei den frauenseiten wurde sich bereits mit dem Thema Frauen und Wissenschaft auseinandergesetzt. Die Reihe „frau erfunden“ zeigt verschiedene Facetten innerhalb der Naturwissenschaft auf, die bis heute vom patriarchalem Denken geprägt sind und demnach auch schwieriger zugänglich sind.
In diesem Aufsatz zeigt Friederike Otto deutlich auf, inwiefern Frauen noch Schwierigkeiten haben, sich in der Wissenschaft erfolgreich zu etablieren. „Mein Studium der Physik bestand aus vielen Vorlesungen, alle von Männern gehalten. Für die Prüfungen las ich Bücher, alle von Männern geschrieben. Es war also Männerwissenschaft durch und durch.“ Schreibt Friederike Otto zu diesem Thema und weist dort auf ein erhebliches Problem in der Wissenschaft hin. Die Anzahl der Wissenschaftlerinnen ist gering, sie scheint zwar zu steigen, es ist aber lange noch nicht ausgeglichen. Friederike Otto ertappt sich auch selber dabei, dass sie männlichen Kollegen oftmals mehr zutraut. Am Anfang ihrer wissenschaftlichen Laufbahn hatte sie sich hinter den männlichen Kollegen oft angestellt. Gerade wenn es um die Reihenfolge der Autorin*innen beim publizieren geht, wurde sie oft hinter männlichen Kollegen eingereiht. Auch wenn dies nicht von der Leistung her stimmte. Die Reihenfolge der Autor*innen ist wichtig, da sie die erbrachte Leistung widerspiegelt.
Otto zeigt verschiedene Lösungsmöglichkeiten auf, wie man gegen dieses patriarchische Denken auf verschiedenen Ebenen vorgehen könnte. Unter anderem gibt es bereits an verschiedenen Universitäten Kurse, in denen direkt trainiert wird, gegen das patriarchale Denken vorzugehen. So wird in einem Kurs gelernt zu hinterfragen, warum man bestimmte Personen einstellt oder diese für Gastvorlesungen auswählt. Ein weiterer Vorschlag bezieht sich auf die Elternzeit. Sobald es etablierter ist, dass auch Männer in Elternzeit gehen, würden die Pausen des wissenschaftlichen Forschens und Publizieren, die dadurch entsteht, nicht nur primär Frauen betreffen.
Sprache und Sein
Ein anderer Aufsatz befasst sich mit dem Thema Sprache. “Unlearn Sprache”, verfasst von Kübra Gümüşay, schaut sich die Barrieren innerhalb dieser an. Sie geht darauf ein, dass viele Personen sich nicht mit ihrer Sprache identifizieren. Sie vermag nicht all das auszudrücken und zu beschreiben, was beschrieben werden möchte. Schon beim Thema Gendern wurde gemerkt, dass man dort auf Grenzen trifft und dass der alltägliche Sprachgebrauch um weitere Begriffe erweitert werden müsste.
“Wie sollen wir umgehen mit einer Sprache, die unsere Realität nicht abbildet? Die keine Worte findet, um uns in unserem ganzen Sein zu erfassen? Die Ungerechtigkeit verstärkt, Gewalt und Unterdrückung in sich trägt? […] Wie können wir sein in einer Welt, die nicht für uns gemacht ist?” Kübra Gümüşay, S. 21
Sprache ist nicht statisch, verändert sich stätig und wächst. Gerade in diesem Zusammenhang sollte sie dafür erweitert werden, um mehr Menschen zu inkludieren. Sprache wird auch oft dafür genutzt, um andere auszuschließen. So nennt Kübra Gümüşay das Beispiel von einem Stadtzentrum, in diesem gibt es eine besondere Sprache. Das Stadtzentrum liegt in Cambridge, einer Universitätsstadt. Gerade Menschen, die nicht in diesen universitären Kreisen aufgewachsen sind, haben oft Schwierigkeiten, sich in solchen sozialen Kreisen zurecht zu finden. Dies kann wiederum zu Ausgrenzung und Abgrenzung führen. Dieser Aufsatz weist einen darauf hin, dass man über seinen eigenen Horizont blicken sollte, sich außerhalb seiner eigenen Bubble bewegen sollte. Dadurch kann wirklich gesehen werden, wo die Probleme und Schwierigkeiten liegen. Denn nur wenn man sich selber bewusst ist, dass diese immer noch existieren, kann man bewusst gegen sie angehen.
Kübra Gümüşay ist eine deutsch-türkische Journalistin, die sich selber als Netzaktivistin sieht. Sie setzt sich offen dafür ein, dass die Sprachbarriere zu den Themen Sexismus und Rassismus durchbrochen werden muss. Sie schrieb das Buch “Sprache&Sein“, in diesem setzt sich ebenfalls mit dem Thema auseinander, dass Sprache für viele Menschen nicht die Möglichkeit bietet, sich durch diese zu identifizieren und auszudrücken.
Sexualität im Patriarchat
Sexualität ist ein Thema, welches aus vielen Facetten besteht. Es wird auf unterschiedlicher Weise betrachtet, auch bezüglich der Geschlechter. Laura Gehlhaar schrieb den Aufsatz “Unlearn Sex” und betrachtet aus diesem heraus die Erwartungen der Gesellschaft bei dem Thema Sex und Partnerschaft, sobald man körperlich behindert ist. Sie erzählt davon, wie ihr Körper, in den Augen der Doktor*innen und Fotograf*innen, selbstverständlich dokumentiert wurde, wie sie sich damit gefühlt hat und wie sie diesem Kreislauf letztendlich entflohen ist. Auf ihre Ängste geht sie ausführlich ein, ihr wurde bereits in jungen Jahren erzählt, dass eine Partnerschaft für sie ausgeschlossen sei, aufgrund dessen dass sie als “anders” betrachtet wurde. “Male Gaze”, die Sicht auf Dinge aus ausdrücklich männlicher Sicht, ist ebenfalls ein wichtiger Punkt in diesem Aufsatz. Sie setzt sich mit diesem kritisch auseinander, vor allem in Hinblick darauf, dass sie keinen der Norm entsprechenden Körper hat. Ein Aufsatz voller Motivation, das Leben trotz Schwierigkeiten und Hindernisse zu leben. Unabhängig von der Meinungen anderer, glücklich im Leben zu sein.
“Laura hatte sich ihren Körper zurückgeholt und entschied jetzt selbst, was sie damit macht – und mit wem. Ich ließ mir nicht länger immer neue Grenzen von anderen aufzeigen, die alle mit meiner Behinderung begründet wurden. Stattdessen schnappte ich mir meinen behinderten Körper und holte mir meine Freiheit zurück.” Laura Gehlhaar, S. 117
Laura Gehlhaar ist Autorin, Aktivistin und Coach im Bereich Diversität, Gerechtigkeit und Inklusion. Sie engagiert sich für mehr Barrierefreiheit und unterstützt das Projekt “Wheelmap” des Berliner Vereins “Sozialhelden”. 2016 veröffentlichte sie ein Buch mit dem Titel “Kann man da noch was machen? Geschichten aus dem Alltag einer Rollstuhlfahrerin” im Heyne Verlag und betreibt außerdem seit 2014 einen Online Blog “Frau Gehlhaar”, in dem sie über ihr Leben im Rollstuhl schreibt.
Über das Buch
Das Buch ist gut strukturiert und die einzelnen Aufsätze sind klar erkennbar. Besonders gut finde ich, dass am Anfang des Buches Definitionen von genutzten Begriffen vorhanden sind. Diese gehen auf verschiedene Begriffe ein, welche in den Aufsätzen benutzt werden und erklären genau, wie sie gemeint sind. Gerade Begriffe wie „Mann“, „Frau“, „weiß“ und „Schwarz“ werden explizit erläutert, damit in diesem Kontext keine Schwierigkeiten und Unstimmigkeiten auftreten können. Was auch positiv zu bemerken ist, dass das Literaturverzeichnis am Ende des Buches explizit bezüglich der Aufsätze aufgeteilt ist. So fällt das Nachschauen für spezifische Quellen um einiges leichter.
Das Buch ist abwechslungsreich geschrieben, gerade durch die unterschiedlichen Autor*innen. Dies ist jedoch kein Buch um es nebenbei zu lesen. Jedes Thema bringt einem zum Reflektieren, man überdenkt die eigenen Ansichten und Handlungen. Auch nach dem jeweiligen Aufsatz bleiben die Gedanken oft noch beim gleichen Thema. Deswegen ist es nicht ratsam, dieses Buch wie einen guten Krimi in einem Anlauf zu verschlingen. Stattdessen sollte man sich hier die Zeit nehmen, ausgiebig zu reflektieren. Und sich so das Thema wirklich durch den Kopf gehen zu lassen.
Die Themen sind breit gefächert, die Autor*innen divers und sie kommen aus verschiedenen Bereichen im Leben. Familie, Wissenschaft, Sex und Sprache sind nur einige Bereiche, die ausführlich thematisiert werden. Jeder Aufsatz ist in mehrere thematische Abschnitte mit Zwischenüberschriften gegliedert, diese sind klar erkennbar. Bezüglich des Inhalts setzt sich jeder Aufsatz aus einem ausführlichen Einblick in das Thema, in Erfahrungsberichte, in Denkanstöße und in Ideen für Lösungsvorschläge zusammen. Für den komplexen Inhalt ist die Sprache gut verständlich. Spezifische Fachbegriffe in den einzelnen Aufsätzen werden ausführlich erklärt.
Wer sollte dieses Buch lesen?
Meiner Meinung nach ist das Buch für jede*n interessant, die*der sich für die Auswirkungen des Patriarchats in verschiedenen Bereichen interessiert. Dieses Buch zeigt eine große Auswahl verschiedener Facetten des alltäglichen Lebens auf, alle sind abgedeckt und behandelt worden. Alle Autor*innen geben einen sehr guten Einblick in ihr Leben und in die Schwierigkeiten, denen sie begegnen.
Durch nachvollziehbare zwischenmenschliche Interaktionen und Beispiele entsteht ein guter Bezug zum Inhalt. Auch Jugendliche ab 16 Jahren, profitieren von diesem Buch, da es ihnen bereits in jüngeren Jahren die Problematik aufzeigt und ihnen so helfen kann, aktiv gegen die patriarchalischen Probleme und Handlungen vorzugehen. Und somit auch aktiv nach Lösungen zu suchen. Das Buch richtet sich jedoch nicht nur an die jüngere Generation. Jeder Mensch kann aktive Schritte einleiten, um gegen die vorherrschenden patriarchalischen Strukturen, vorzugehen, die Verbreitung zu unterdrücken und das Patriarchat zu bekämpfen. Das Buch bietet viele Anstöße, bei denen man anfangen könnte.
Yvonne Weber
Schreibe einen Kommentar