Umeko Tsuda war eine Pionierin der Bildung für japanische Frauen. Sie inspirierte eine ganze Generation Anfang des 20. Jahrhunderts. Nicht nur wagte sie sich mit sechs Jahren in die weite Ferne des Auslands für ihre eigene Bildung, zusätzlich verbrachte sie ihr ganzes Leben damit, diese Bildungschancen den Frauen Japans zu ermöglichen. Und noch heute gehört das von ihr gegründete Tsuda College zu den Top Universitäten des Landes.
1864 wurde Umeko Tsuda in der Stadt Edo in Japan geboren, die heute Tokyo heißt. Ihr gebürtiger Vorname war Ume, benannt nach der japanischen Aprikose. Zu der Zeit war es in der japanischen Kultur normal, den Vornamen im Verlauf des Lebens zu ändern. Bei den Änderungen wurde der Name an die Lebensumstände, Hoffnungen und Wünsche mit seiner Bedeutung angepasst. 1902 änderte sie ihren Namen in Umeko. Ume Tsuda war die Tochter von Sen Tsuda, einem Samurai der damaligen Sakura Domäne. Ihr Vater war ein Experte für westliche Agrarwissenschaften und setzte sich für westliche Einflüsse in Japan ein. Mit westlichen Einflüssen sind dabei Mittel- und Westeuropa sowie Nordamerika gemeint. Außerdem war ihr Vater Mitgründer der Aoyama Gakuin Universität.
Die Iwakura Mission
1871 wurde die Iwakura Mission von der japanischen Regierung in Zusammenarbeit mit den USA und Teilen Europas veranlasst. Die Mission sollte Japan dabei helfen, die Gesellschaften des Westens kennenzulernen, um Japan mit diesem Wissen zu modernisieren. Dabei wurden sowohl Regierungsmitglieder auf der Mission in die USA und nach Europa geschickt als auch fünf japanische Mädchen, welche für zehn Jahre in den USA leben sollten.
Das sollte den kulturellen Austausch fördern, sowie den Mädchen die Möglichkeit geben, die amerikanische Bildung kennenzulernen, um als Botschafterinnen nach Japan zurückzukehren. Dies war der erste kulturelle und akademische Austausch dieser Art zwischen Japan und den USA. Hierbei war Ume Tsuda mit nur sechs Jahren das jüngste der fünf Mädchen, die auf diese Mission geschickt wurden. Und das war im neunzehnten Jahrhundert, in dem die einzige Kommunikation mit der Familie über Kontinente hinweg meist nur über den Postweg möglich war, die teils Monate dauerte. Doch das hielt Ume Tsuda nicht auf. Und so zog sie mit nur sechs Jahren los, um in einem fremden Land, mit einer fremden Sprache, nach langer Reise über das Meer, zu lernen und zu leben. Von den fünf Mädchen blieben drei übrig, welche die Mission erfolgreich absolvierten: Ume Tsuda, sowie Shigeko Uryo und Sutematsu Oyama, über welche wir ebenfalls bereits als FLINTA* der Woche berichteten. Tsuda lebte das Jahrzehnt der Mission in Washington D.C. bei dem kinderlosen Paar Adeline Lanman und Charles Lanman. Dort wurde sie an privaten Mädchenschulen unterrichtet.
Die Rückkehr nach Japan
Nach etwas mehr als zehn Jahren, 1882, kehrte Ume Tsuda mit siebzehn Jahren nach Japan zurück. Dort arbeitete sie erst als private Lehrerin und dann als Englischlehrerin an der Peeresses Schule. Jedoch war ihre Ankunft zurück in der Heimat alles andere als sanft. Ume Tsuda erlebte einen starken Kulturschock. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie länger in den USA gelebt als in ihrem Herkunftsland. Tsuda hatte Probleme mit ihrer Muttersprache, die sie ihr ganzes Leben lang verfolgen würden. Vor allem im Schreiben auf Japanisch würde sie nie das Wissen aufholen, dass sie durch ihre Jugend in einem fremden Land ohne Japanisch zu nutzen verloren hatte.
Zudem hatte Ume Tsuda Probleme mit dem konservativeren Rollenbild, das von Frauen in Japan gelebt und erwartet wurde. Es war letztendlich eine alte Freundin aus den USA, Alice Bacon, die Tsuda ermutigte weiter in den USA zu studieren. Und so macht sich Ume Tsuda ein weiteres Mal auf der Suche nach Bildung und Freiheit auf den Weg in die Ferne.
Verbotene Bildung in der weiten Ferne
Wieder in den USA studierte Ume Tsuda von 1889 bis 1892 Lehrdidaktik am Bryn Mawr College, einem Frauencollege in Philadelphia. Hier erlangte sie zusätzlich zu ihrem Abschluss auf Lehramt auch einen Abschluss in Biologie. Dabei umging sie das Verbot Japans dieser Zeit. Denn es war damals in Japan für adelige Frauen verboten, Naturwissenschaften zu erlernen. Doch was in den weitentfernten USA passiert, kann nicht reguliert werden und so blühte Ume Tsuda in ihrem Studium der Biologie auf. Zu ihren Lehrern zählte unter anderem der spätere Nobelpreisträger Thomas H. Morgan. Ume Tsuda zählte zu den besten Studentinnen des Fachbereichs Biologie. Das College bietete ihr auch an, ihre Forschungen nach ihrem Abschluss dort fortzusetzen. Doch Tsuda lehnte ab und entschied sich, nach Japan zurückzukehren. Denn ihre Ambitionen waren bereits auf ein anderes Projekt gerichtet: Die Chance auf Bildung auch anderen Frauen zu ermöglichen, indem sie eine Universität gründete.
Eine höhere Bildung auch für Frauen in Japan
1900 verwirklichte Ume Tsuda endlich ihren Traum, eine Universität für Frauen zu gründen. Zweifelsohne half ihr hier auch das neue Selbstbewusstsein durch ihre „verbotene” Ausbildung in den USA. So gründete sie die Joshi Eigaku Juku (女子英学塾), welche sich in „Englische Universität für Frauen“ übersetzt. Heute heißt sie Tsuda College, in Ehren ihrer Gründerin.
Bei der Gründung halfen auch Sutematsu Oyama und Shigeko Uryo mit, die beiden Mädchen, die Tsuda damals auf der Iwakura Mission begleiteten. Innerhalb der nächsten Jahre nannte Ume sich in Umeko um. Und 1905 wurde ihre Schule auch als offizielle Universität anerkannt. Die Universität begann mit zehn Studentinnen. Sie wuchs jedoch schnell dank der modernen Lehrinhalte und der liberalen Atmosphäre. Bis heute zählt das Tsuda College zu den angesehensten Universitäten Japans. Die Universität gab Studentinnen das Wissen, finanziell unabhängige Englischlehrerinnen zu werden. Das war einer der wenigen Berufe, die Frauen zu dieser Zeit in Japan ausüben durften. Somit gab die Universität Frauen in Japan die Möglichkeit, eine höhere Bildung zu erreichen und hob den Status vieler Frauen.
Einsatz für Bildung und kulturellen Austausch bis zum Ende
Während sie sich in den folgenden Jahren um ihre Universität kümmerte, besuchte Umeko Tsuda 1907 und 1913 erneut die USA, um für den kulturellen und akademischen Austausch zwischen den USA und Japan zu werben. Im Laufe der Jahre verschlechterte sich jedoch ihre Gesundheit und 1919 erlitt sie einen Schlaganfall. Infolgedessen entschied Tsuda sich, in den Ruhestand zu gehen und zog nach Kamakura. Dort verbrachte sie weitere zehn Jahre, bis sie nach einem langen Kampf an Diabetes verstarb. Umeko Tsudas Körper wurde auf dem Anwesen ihrer Universität zur Ruhe gebettet, die ihr Lebenswerk war.
Trotz ihrer fantastischen Taten hatte auch Tsuda ihre Kontroversen. So unterstützte sie nicht die feministische Bewegung, die zu ihrer Zeit in Japan stattfand. Auch war sie gegen das Wahlrecht von Frauen. Die Gründe hierfür sind jedoch nicht bekannt. Dennoch war Umeko Tsuda eine Pionierin der Bildung von Frauen in Japan. Dafür wird sie nun auch 2024 geehrt, indem sie auf dem 5000 Yen Geldschein in Japan abgebildet wird. Und auch heute noch bildet das Tsuda College Student*innen, nun auch aller Geschlechter, in MINT-Fächern, sowie Rechts-, Geistes-, und Sozialwissenschaften aus. Somit lebt auch heute noch Umeko Tsudas Erbe weiter.
Sarah Hamer
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