„Bist du die Frau, die du sein willst?“ – diese Schüsselfrage begleitet die Hauptfigur des neuen Filmes „Elaha“ während sie ihr Leben als junge Deutsch-Kurdin navigiert.
Elahas (Bayan Layla) Leben ist im Umbruch: Sie steht kurz vor ihrer Hochzeit, übt in einer Berufsberatungsschule Bewerbungsgespräche, und überlegt, ob sie noch ihr Abitur nachholen möchte. Nebenbei arbeitet sie in einer Textilreinigung. Ihre Mutter (Derya Durmaz) hat hohe Ansprüche an sie, insbesondere wie sie sich in der Öffentlichkeit verhalten soll, damit ihre Taten kein schlechtes Licht auf die Familie werfen. Diese starke Kontrolle führt dazu, dass Elaha vieles geheim hält. Niemand weiß, dass sie eigentlich gar nicht mehr „Jungfrau“ ist wie es von ihr erwartet ist. Und dass Elaha sich regelmäßig mit einem ehemaligen Mitschüler trifft, weiß auch kaum jemand.
Geheimnisse und Unehrlichkeit
Unehrlichkeit zieht sich durch fast alle Beziehungen in dem Film. Ihren zwei besten Freundinnen gegenüber kann sich Elaha auch nicht öffnen, denn obwohl sehr viel Zuneigung und Unterstützung zwischen den dreien ist, urteilen sie stark über einander. Die drei wiederholen die Vorwürfe von außen, dass man ja nicht schlampig sein soll. Sie müssen um jeden Preis vorgeben, ihre „Jungfräulichkeit“ zu bewahren, und es ist enorm wichtig, wie die Umgebung einen wahrnimmt. Vieles von dem, was Elaha erlebt, kann sie den anderen beiden nicht erzählen. Stattdessen findet sie eine andere Frau, der sie sich öffnen kann: ihre Lehrerin bei der Berufsberatung (Hadnet Tesfai). Elaha gesteht ihr, dass sie sich das Hymen operativ rekonstruieren lassen will. In der anfänglich Fremden findet sie eine neue Freundin und Verbündete. Sie steht Elaha in einigen ihrer schwersten Momente bei und unterstützt sie in Augenblicken, in denen sich Elaha von dem Rest ihres Umfelds total allein gelassen fühlt.
Von ihrem Verlobten bekommt Elaha zu hören, dass man entweder anständig, treu und ehrlich, oder direkt eine Schlampe ist. Diese harten Kontraste lassen kaum Raum für Menschlichkeit, kaum Raum in dem sich Elaha frei ausprobieren kann, sondern vieles von ihrem Innern versteckt halten muss. Der Film zeigt aber auch klar, dass Elaha nicht nur Schlechtes in ihrem Leben und von ihrem Umfeld erlebt. Sie liebt ihre Kultur, zu tanzen, sich um ihren kleinen Bruder zu kümmern, ihrem Vater bei Bewerbungen zu helfen. „Ich liebe meine Familie und meine Tradition – ich bin nur manchmal mit den Regeln nicht einverstanden.“
„Elaha“ gegen das Schwarz-Weiß-Denken
Milena Aboyans erster Spielfilm „Elaha“ hatte seine Weltpremiere bei der 73. Berlinale innerhalb der Kategorie „Perspektive Deutsches Kino“. Der Film, der die Komplexität und Vielschichtigkeit migrantischen Lebens zeigt, wurde mit dem DGB-Filmpreis und dem NDR Filmpreis für Nachwuchs ausgezeichnet. „Elaha“ hatte in Bremen seine Premiere in der Schauburg am 21.November, mit der Hauptdarstellerin Bayan Layla zu Gast. Im Anschluss des Filmes sprachen sie im Panel mit Selin Arpaz, Sprecherin für Gleichstellung, Queer und Jugend der SPD-Bürgerschaftsfraktion, und Naciye Celebi-Bektas, Referentin für Migrationspolitik. Burcu Arslan moderierte das Panel. Layla sprach darüber, wie viel Mitgefühl sie für Elaha hatte, für alle Charaktere im Film. Die Rollen waren nicht in klare Täter*innen und Opfer geteilt, ein Schubladendenken war nicht möglich da alle sehr komplizierte Charaktere waren. Ohne sich an Klischees zu bedienen, wurde man mit der Realität konfrontiert, wie schädlich das Patriarchat für alle Menschen ist, auch für diejenigen, die durch sie gewaltvoll handeln.
Auffällig ist, dass in dem Film besonders die Frauen zur erlebten Enge und patriarchalen Gewalt mit beitragen. Doch so streng Elahas Mutter ist, man sieht, dass sie nicht aus Boshaftigkeit sondern aus Liebe handelt. Sie will ihre Tochter vor den Urteilen der Welt schützen. Dabei beachtet sie nur oft nicht, wie schmerzhaft ihre Grenzen für Elaha sind. Bei anderen Charakteren fällt es einem aber schwer, Verständnis zu haben. Sie handeln teils so brutal, dass man sich von dem Film fast schon ein klareres Urteil über sie wünscht.
Gleichzeitig hat der Film für Layla das Umfeld von Elaha nicht auf die negative Aspekte verkürzt, sonders auch besonders ihre Liebe zur eigenen Familie und Kultur hervorgehoben. Die Art und Weise, wie Elahas Geschichte erzählt wurde, ist aus der Sicht von Bayan Layla besonders deswegen möglich, weil es auch hinter der Kamera Diversität gab. Nicht nur bei Schauspielenden, sondern auch hinter den Kulissen ist es deswegen wichtig, Menschen mit Migrationsgeschichte zu fördern. Nur so kann vielseitig erzählt und gearbeitet werden.
Systematische Förderung und Unterstützung
Auch Arpaz und Celebi-Bektas sprachen darüber, wie zentral Empowerment und Selbstbestimmung besonders für migrantische Frauen ist. Viele von ihnen fühlen sich in dem, was sie erleben, oft allein gelassen. Deswegen ist es so wichtig, Menschen mit gleichen Erfahrungen zu finden, um sich im feministischen Kampf gegenseitig zu stärken. Dafür wird systematische Unterstützung und Förderung gebraucht, die oft noch nicht auszureichend existiert. Frauen müssen gehört, gesehen und wahrgenommen werden. „Elaha“ ist ein Beispiel hierfür, welche komplexe und tiefe Filme entstehen können, wenn die Filmindustrie auch für migrantische Frauen zugänglicher wird.
Am 09. Dezember ist „Elaha“ noch einmal im Cinema im Ostertor zu sehen.
Juliette
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