Am 08. Mai ist Muttertag. Jetzt gerade, Ende April, sitze ich an einem Gleis am Bahnhof und schaue zu, wie das Kind neben mir auf seinem Daumen kaut. Die Mutter steht daneben und koordiniert, Kind 1, Kind 2, großer schwarzer Koffer, Telefon am Ohr. Ich stehe mit dem Handy daneben und frage nach und nach bei meinen Freund*innen an, was sie von dem Thema Kinderkriegen halten.
Spätestens seitdem es die Single „King“ von Florence and the Machine gibt, ist die Frage der Familienplanung auch bei uns Mitt-Zwanzigern angekommen. In dem Lied singt Florence Welch „I am no mother. I am no bride. I am king“ – und setzt sich damit herkömmlichen, heteronormativen Geschlechterrollen direkt entgegen.
Auch Katja Kullmann hat für sich einen neuen Weg gefunden, welchen sie in ihrem Werk „Die Singuläre Frau“ beschreibt. Singulär fühlt sie sich vor allem, da sie ohne Partner*in und Kinder lebt. Wenn auch kinderlose (hetero) Frauen durchaus noch einigem Stigma begegnen, stellt Katja Kullmann zusammen mit Paul Dolan fest, dass sie trotzdem nicht unglücklicher sind als kinderhabende
Zunehmend wird das Kinderbekommen in unserer Gesellschaft nicht mehr als selbstverständlich, sondern als freie Wahl gesehen. Gründe, keine Kinder zu haben, reichen laut Online-Angaben von einer Priorisierung der Karriere bis hin zu Klimakrise und Pandemie. Zudem ist die Welt ohnehin überbevölkert.
Achtung, Sarkasmus
Die oben genannten Gründe dagegen würde ich durchaus auch selbst aufführen, sollte mich jemals jemand nach meiner eigenen Familienplanung fragen. Wenn man davon ausgeht, dass sexuelle Orientierung zumindest teilweise genetisch bedingt ist, kommt ein gewisser Zynismus dazu, der behauptet, dass ich laut evolutionärer Logik ohnehin keine Kinder bekommen sollte. Mit meinen 27, theoretisch höchst fruchtbaren Jahren, finde ich Frauen, gerne auch ein paar Jahre älter, attraktiv. Dazu kommt ein Leben als angehende Akademikerin und Single mit-ohne Niveau, welches ohnehin nur bedingt irgendeine Art von Langzeitplanung zulässt. Ich möchte mich also hiermit sowohl vom Kinderkriegen als auch bitte von der dazugehörigen Periode abmelden. Also: wo muss ich den Wisch einreichen, und wie lange dauert in der deutschen Bürokratie wohl die Genehmigung? (Vermutlich, bis ich in den Wechseljahren bin). Und hat mein Plan eventuell irgendwas damit zu tun hat, dass ich einfach keine Kinder möchte?
Denn leider muss ich feststellen, dass die Angelegenheit wohl doch nicht auf biologischem Determinismus beruht, da ich ausreichend queere Freund*innen habe, die sehr wohl einen Kinderwunsch verspüren. Aufgeführt sind hier ihre Statements, welche sie großzügigerweise für mich und alle Leser*innen verfasst haben.
Sarkasmus Ende, Expert*innen Anfang
Hannah [25, pansexuell, single]: Ich möchte unbedingt Kinder haben, aber nicht auf dem üblichen Weg – ich möchte Mutter sein, nicht schwanger. Zurzeit ist mein Plan, eines Tages zu adoptieren und ich freue mich riesig darauf, dieses Kind großzuziehen und eine kleine Familie zu gründen. Dafür brauche ich nicht zwingend eine*n Partner*in, wobei es natürlich schön wäre, jemanden an meiner Seite zu haben – das können aber auch Familie und Freunde sein, die mich unterstützen. Das ist meine derzeitige Zukunftsvorstellung – allerdings stelle ich es mir auch schön vor, wenn ich eine Partnerin fände, die selbst schwanger sein möchte und wir auf diesem Wege ein Kind bekommen könnten. Leider werden beide Wege nicht einfach sein – sowohl künstliche Befruchtung als auch Adoption als alleinerziehende Frau. Am einfachsten wäre wohl Adoption in einer Beziehung mit einem Mann, wobei auch dieser Weg schwieriger ist als der „Standard“. Leider werden alternativen Familienplanungen immer noch viele Steine in den Weg geworfen, wo es für heteronormale Paare teilweise sogar zu einfach ist. Für mich ist einfach wichtig – und absolut glasklar – dass ich eines Tages Mutter sein werde, egal wie kompliziert es sein wird.
C. [27, non-binär/queer, verheiratet]: Ich hätte gerne Kinder, definitiv. Im Moment ist ein Kind mehr als genug, aber später, wenn ich älter bin, möchte ich viele haben. Meine Frau und ich können uns eigentlich nur vorstellen Kinder zu adoptieren. Im Moment durchlaufen wir in Deutschland das Adoptionsverfahren, aber wir hoffen auch, später (in ein paar Jahren) wieder in die USA zu ziehen und dort Kinder zu adoptieren, die älter sind oder schon lange in Pflegefamilien waren. Für unsere Familie freue ich mich besonders darauf, mein Leben mit Menschen zu leben (denn auch Kinder werden irgendwann alt und erwachsen), die ich respektiere und liebe. Für mich bedeutet Familie, jemanden bedingungslos zu lieben. Daher wird die Liebe, die mir aufgrund meines Queerseins nicht zuteilwurde, die Grundlage für das sein, was ich mit meiner zukünftigen Familie aufbauen möchte. Natürlich gibt es bei der Adoption von Kindern viele Herausforderungen, insbesondere für das Kind, das eine höchst traumatische Erfahrung machen musste, um einfach adoptiert zu werden. Ich glaube, das ist die Wurzel unserer Herausforderungen als queere Adoptiveltern, aber ich bin mir dessen bewusst und werde mein Bestes tun, um ein Umfeld zu schaffen, in dem mein zukünftiges Kind alles hat, was es braucht und/oder will, um im Leben erfolgreich zu sein […]. [Übersetzung d.A.]
„Vielleicht in ein paar Jahren“
Familienplanung ist, wie diese Aussagen unter anderem belegen, Langzeitplanung. Auch geht diese Planung mit langzeitigen Veränderungen in unserer Gesellschaft einher, wie Hannah, C. und andere ebenfalls beschreiben. Hier sind ein paar Beispiele:
Veränderung 1: Frauen machen auch Karriere. Das betrifft sowohl queere als auch hetero Frauen. Wenn A. [27, heterosexuell, nach langer Beziehung wieder single] zum Beispiel ans Kinderkriegen denkt, geht sie von circa zwei Kindern aus, „aber erst in 4 Jahren; wenn man studiert und noch eine Weiterbildung macht, zieht sich das ja.“
Veränderung 2: Frauen bekommen später und seltener Kinder. Das ist unter anderem kulturell bedingt, wie diese Statistik zeigt:
(Quelle: • Infografik: Wann Frauen Mütter werden | Statista)
Veränderung 3: Es gibt neue Definitionen von Familie und Elternsein, welche weit über heteronormative und/oder romantische Zweisamkeit hinausgehen.
E. [29, bisexuell, feste Beziehung] zum Beispiel schreibt: „Meine Familie sind meine engsten Freund*innen. Meine jetzige Vorstellung vom Kinderkriegen ist es, irgendwann mit den besten Freund*innen nah beieinander zu wohnen. Am besten in der Nachbarschaft. Wenn wir dann irgendwann ein wenig senil werden, finden wir das Kind im Gegenüber oder in uns selbst wieder.“ Aktuell kann sie sich nicht vorstellen, eigene Kinder zu haben. „Vielleicht in ein paar Jahren.“
Leider bleiben die Schwierigkeiten, als queerer Elternteil ein Kind zu bekommen, nach wie vor bestehen, wie die Aussagen von Hannah und C. sehr gut beschreiben. Ich wünsche jeder Person, welche ein Kind haben möchte und verantwortungsvoll damit umgeht, eine gerechte rechtliche Lage und volle staatliche und private Unterstützung dazu. Zudem bitte ich anzuerkennen, dass auch kinderlose Frauen durchaus einen Beitrag zur Gesellschaft leisten. Auch ohne eigenen Kinderwunsch freue ich mich zum Beispiel darauf, noch an einige Bachelorstudent*innen mein Wissen weiter zu geben. Oder die neuen Anfänger*innen beim Boxtraining willkommen zu heißen. Oder die nächste Freundin zu trösten, die weinend in meinen Armen liegt.
Ein letzter Disclaimer sollte noch genannt werden. Ich denke, es gibt bei der allgemeinen Lebensplanung keine absoluten Wahrheiten. Ich kann mit Sicherheit sagen, und das trifft vermutlich auf viele Menschen zu, dass ich meinen Familienplan für die nächsten fünf Jahre kenne. Danach? Wer weiß das schon so genau. Ich halte es da wie A., die sagt: „Also ich mache mir darüber quasi nicht so sehr Gedanken. Es ist noch so weit weg.“
Jack
Schreibe einen Kommentar